Russischer Delegierter im UN-Sicherheitsrat

Cross Border: Das Scheitern der UN in drei Akten

Am 10. Juli war erstmal Schluss mit humanitärer UN-Hilfe für Nordwest-Syrien – das Mandat lief aus und konnte durch Russlands Veto nicht verlängert werden. Kurz darauf die Kehrtwende: Die Hilfe läuft weiter. Vorerst. Was genau passiert ist und was das Resultat am Ende heißt, haben wir hier kompakt zusammengefasst.

Russischer Delegierter im UN-Sicherheitsrat

Akt 1 – Vertagung der Abstimmung

Mit großer Spannung war am 7. Juli die Abstimmung des UN-Sicherheitsrates über das Fortbestehen der UN-Resolution 2165 (2014) erwartet worden. Es war Eile geboten, denn ohne Abkommen wären ab dem 11. Juli keine direkten UN-Hilfslieferungen nach Idlib mehr möglich gewesen. Das wäre das faktische Aus einer gesamten Region, deren über vier Millionen Bewohner*innen mittelbar auf die Hilfen angewiesen sind.

Weil die Verhandlungen ins Stocken gerieten, wurde die Abstimmung auf den nächsten Tag verschoben. Das Problem: Die Vetomacht Russland wollte eine Verlängerung der UN-Resolution um maximal sechs Monate, viele andere Ratsmitglieder, darunter der UN-Generalsekretär, und mehr als 30 Nichtregierungsgruppen, drängten auf ein einjähriges Mandat.

Akt 2 – Das Ende der UN-Hilfslieferungen

Auch am 8. Juli konnten die UN-Sicherheitsratsmitglieder ihre Differenzen nicht überwinden und sich auf einen Kompromiss über die Dauer der Hilfslieferungen einigen. In der Abstimmung standen sich deshalb zwei Resolutionsentwürfe gegenüber.

Am späten Abend mitteleuropäischer Zeit dann die Hiobsbotschaft: Russland hat bei der von Norwegen und Irland ausgearbeiteten Resolution, die eine einjährige Verlängerung der humanitären Hilfslieferungen vom türkischen Grenzübergang Cilvegozu nach Bab al-Hawa im Nordwesten Syriens vorsah, Veto eingelegt.

Auch der russische Vorschlag mit sechsmonatiger Laufzeit schaffte es nicht durch die Abstimmung. Denn dieser bringe erhebliche organisatorische Herausforderungen für die NGOs an der Front mit sich, so die Kritik der westlichen Sicherheitsratsmitglieder. Damit war klar, was nicht sein durfte: Die Region Idlib ist zukünftig von humanitären UN-Hilfslieferungen abgeschnitten. Der Kollaps eines Systems, das bereits lange nicht mehr funktioniert und dringend reformiert gehört.

Akt 3 – Nachverhandlungen und Kompromiss

Die tödliche Brisanz des Beschlusses zwingt alle Beteiligten zurück an den Verhandlungstisch. Nach tagelangem Kräftemessen und Verhandlungen verlängert der UN-Sicherheitsrat die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen und nimmt Resolution 2642 (2022) an – unter Enthaltung von Frankreich, Großbritannien und den USA. Damit hat sich letztendlich Russland durchgesetzt, denn die neue Resolution sieht eine Verlängerung um lediglich sechs Monate vor. Die Option einer Fortsetzung um ein weiteres halbes Jahr bis zum 10. Juli 2023 ist gegeben, sofern im Dezember 2022 eine gesonderte Resolution dazu erneut verabschiedet wird. Dazu muss der Generalsekretär bis spätestens 10. Dezember 2022, also zum Ablauf der aktuellen Resolution einen Sonderbericht über die humanitären Bedürfnisse vorlegen. Zudem soll der Generalsekretär den Ratsmitgliedern regelmäßig – mindestens alle 60 Tage – über die Umsetzung der Resolutionen und die Einhaltung der Vorgaben durch die Akteur*innen berichten.

Ende gut, alles gut?

Wohl kaum. Die vorübergehende Verlängerung des Mandats ist besser als nichts, wird aber den Bedürfnissen und der katastrophalen humanitären Situation vor Ort nicht gerecht. Russland hat mehr als vier Millionen Syrer*innen als Geiseln genommen und den gesamten UN-Sicherheitsrat erpresst, während Menschenleben auf dem Spiel stehen – es geht um Macht und geopolitische Interessen, nicht um das Überleben der syrischen Bevölkerung in Idlib. Langfristig möchte Putin, dass die Hilfslieferungen über Damaskus laufen, so sichert er dem Assad-Regime ein vernichtendes Druckmittel gegen die Region.
 
Ein Aufatmen ist es deshalb nicht. Sowohl die UN als auch die beteiligten humanitären Organisationen hatten eindringlich an den Rat appelliert, dass eine Verlängerung um ein Jahr erforderlich ist, um insbesondere im Winter Sicherheit zu gewährleisten. Ansonsten laufen sie Gefahr, in einem Kreislauf von Vorratshaltung und Notfallplanung zu kommen – zu Lasten der bedürftigen Menschen in Idlib. Jetzt sind sie genau damit konfrontiert.

Der Kompromiss ist also ein fauler, der zudem auf sehr wackligen Beinen steht und dessen mögliche Verlängerung im tiefen Winter ansteht – dem denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Situation der dort lebenden Menschen wird sich dann weiter verschlechtert haben und Russland in den Verhandlungen in die Hände spielen. Deshalb müssen die Geberländer bereits jetzt Alternativen finden, um sich langfristig aus der Geiselhaft Russlands zu befreien und den Menschen in Idlib verlässliche humanitäre Hilfe bieten zu können!