Cross Border Idlib
Dank Russland könnten vier Millionen Menschen in Nordwest-Syrien verhungern, wenn die Hilfe zukünftig über Damaskus liefe

Warum UN-Hilfslieferungen nicht über Damaskus laufen dürfen

Wird es weitere humanitäre UN-Hilfe für Nordwest-Syrien über den 10. Juli hinaus geben oder wird Russland das verhindern? Bislang ist es ein Stochern im Dunkeln, Russland lässt sich nicht in die Karten schauen. Eins aber ist sicher: Alternativ Hilfen über Damaskus abzuwickeln, ist keine Option.

Cross Border Idlib
Dank Russland könnten vier Millionen Menschen in Nordwest-Syrien verhungern, wenn die Hilfe zukünftig über Damaskus liefe

Wäre es nicht mit dramatischen Folgen für die Bevölkerung in Idlib verbunden, man könnte dieser Tage müde lächeln über die Drohung Russlands, Veto beim UN-Sicherheitsrat einzulegen und damit die humanitären UN-Hilfslieferungen über den letzten dazu verbliebenen türkischen Grenzübergang Bab al-Hawa zu verhindern. Denn jedes Jahr aufs Neue droht Russland mit seinem Veto – zum Glück konnte es bislang jedes Jahr verhindert werden. Und dieses Jahr?

Die Chancen für eine erneute UN-Resolution stehen schlechter denn je. Zwar hat sich Moskau laut seinem stellvertretenden UN-Botschafter Dmitry Polyanskiy noch nicht entschieden, wie es abstimmen werde. Aber Russland wird derzeit aufgrund seines Angriffskrieges gegen die Ukraine hart sanktioniert. Deshalb ist zu vermuten, dass Putin die Abstimmung am 10. Juli nutzen wird, um eigennützig Zugeständnisse vom Westen zu erzwingen. Wenn die westlichen Staaten eine humanitäre Katastrophe verhindern möchten, gibt es für sie kaum Spielraum. Aber diametraler könnten sich die Interessen der Verhandlungspartner*innen wohl kaum gegenüberstehen.

Assad instrumentalisiert humanitäre Hilfe für politische Zwecke

Die Alternative: Hilfslieferungen könnten über Damaskus laufen, dann würde der Grenzübergang nicht benötigt und Russland müssten keine Zugeständnisse gemacht werden. Das funktioniert aber nur in der Theorie. Denn schon heute läuft ein Großteil der für Syrien bestimmten UN-Hilfen über Damaskus. Das Problem: Das Assad-Regime lässt diese nur jenen Bevölkerungsgruppen zukommen, die ihm treu ergeben sind. Die Bevölkerung Idlibs gehört da nicht zu. Internationale Hilfsorganisationen wiederum haben kaum Druckmittel um die Verwendung der Hilfen zu beeinflussen – ihr Arbeitseinsatz wird genau kontrolliert, ihr Wirkungsraum den bedürftigen Menschen zu helfen ist minimal. In Idlib dürften de facto kaum bis keine Hilfen ankommen – stattdessen hätte das Assad-Regime ein vernichtendes Druckmittel gegen Idlib in der Hand.

Zudem nutzen Günstlinge aus Regimekreisen die UN-Strukturen, um sich selbst zu bereichern. Die syrische Regierung hat das System für die Bereitstellung humanitärer Hilfe manipuliert, um sicherzustellen, dass der Nutzen für den Staat über den Bedürfnissen der Bevölkerung steht. UN-Gelder werden zur Finanzierung staatlicher Aufgaben zweckentfremdet, sodass das Regime freiwerdende Ressourcen für die Kriegsführung nutzen kann.

Ist instrumentalisierte Hilfe wirklich besser als gar keine?

Die Handlungsspielräume der UN sind entsprechend begrenzt. Aber Hilfen über Damaskus zu schicken, ist keine Option. Denn das Argument, dass etwas Hilfe besser ist als gar keine, muss gegen die realen Hindernisse abgewogen werden, die einer menschenrechtsbasierten und umfassenden Hilfeleistung in einem von Assad kontrollierten Syrien im Wege stehen.

Das Durchsickern der Hilfen bis Idlib ist durch das Agieren des Assad-Regimes kaum möglich. Stattdessen werden mit den Geldern faktisch ein verbrecherisches, tödliches Regime und sein Unterdrückungsapparat finanziert. Genau das läuft den Zielen der westlichen Staaten zuwider. Zwar versorgen diese die syrische Bevölkerung humanitär – die EU und die USA bezahlen 80 Prozent der UN-Hilfe – verweigert dem Regime aber die Finanzierung des Wiederaufbaus aufgrund der anhaltenden Menschenrechts- und Kriegsverletzungen. Über die humanitäre Hilfe, die vom Assad-Regime zweckentfremdet wird, wäre es aber eine de facto Wiederaufbauhilfe, die durch die Diskriminierung und Nicht-Beachtung von bestimmten Bevölkerungsgruppen weitere Menschenrechtsverletzungen darstellen.

UN-Organisationen und westliche, staatliche Stellen, die sich am Wiederaufbau beteiligen, riskieren eine Mitschuld an den Menschenrechtsverletzungen der Regierung. Einzelpersonen und andere Organisationen, einschließlich humanitärer Organisationen, können sich ebenfalls strafbar machen, wenn sie wissentlich erhebliche Unterstützung bei der Begehung internationaler Verbrechen leisten.

FAZIT

Durch die Schließung von Bab al-Hawa und die Abwicklung der Hilfen über Damaskus hätte das Assad-Regime ein weiteres Druckmittel gegen Idlib, mehr Geld für seine Staats- und Kriegskassen und eine Stärkung seines Legitimitätsanspruches. Die Menschen in Idlib hätten im Gegenzug so oder so verloren, weil die Hilfe sie niemals erreichen wird. Aus menschenrechtlicher und humanitärer Sicht ist es daher nicht vertretbar, dem Assad-Regime die Kontrolle über alle für Syrien bestimmten UN-Hilfen zu überlassen.