Das Schicksal der Flüchtlinge im Libanon – Presseschau 15.09.2014

Alex Rowell berichtet auf NOW über die jüngsten anti-syrischen, pogrom-ähnlichen Aktionen, welche im Libanon stattgefunden haben. Am Samstag wurde bekannt, dass die Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) zum erneuten Mal in Syrien einen verschleppten Angehörigen der libanesischen Armee enthauptet hat. Mehrere libanesische Soldaten waren bei den Auseinandersetzungen um Arsal an der libanesisch-syrischen Grenze im August von […]

Alex Rowell berichtet auf NOW über die jüngsten anti-syrischen, pogrom-ähnlichen Aktionen, welche im Libanon stattgefunden haben. Am Samstag wurde bekannt, dass die Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) zum erneuten Mal in Syrien einen verschleppten Angehörigen der libanesischen Armee enthauptet hat. Mehrere libanesische Soldaten waren bei den Auseinandersetzungen um Arsal an der libanesisch-syrischen Grenze im August von IS-nahen Gruppen gekidnappt worden. Als Reaktion auf die Enthauptung durch IS kam es zu Dutzenden Übergriffen auf syrische Flüchtlinge von Beirut bis in die östliche Bekaa-Ebene. Medienbilder gingen um die Welt, auf denen Menschen von einem wütenden Mob verprügelt werden. In Baalbek, einer Stadt im Osten des Landes, hatten AnwohnerInnen zwei syrische Flüchtlinge gefesselt und am Eingang der Stadt als „menschliche Hindernisse“ für den Straßenverkehr aufgestellt. Bewaffnete Maskierte haben Checkpoints errichtet, an denen die Personalausweise kontrolliert und unliebsame Menschen inhaftiert werden. KolumnistInnen vergleichen diesen Akt mit dem „blutigen Samstag“, welcher 1975 während des libanesischen Bürgerkrieges stattfand. In zahlreichen Stadtvierteln Beiruts erschienen nun auf den Wänden Hinweise, dass die syrischen Flüchtlinge all jene Orte zu meiden haben. Im Beiruter Viertel Zoqaq al-Blat wurde jenen, die dieser Aufforderung nicht Folge leisten, mit „Schlachtung oder Folter bis zum Tod“ gedroht. Zelte in provisorisch eingerichteten Flüchtlingslagern wurden in Brand gesetzt, woraufhin Hunderte von Familien ihre Habseligkeiten packten und in andere Regionen fliehen mussten.

Ein Zeichen dafür, wie groß die Angst dieser doppelt vertriebenen syrischen Flüchtlinge ist, merkt man an ihrer fehlenden Kooperationsbereitschaft mit den libanesischen Behörden. Viele sind nicht einmal bereit, Auskunft über ihren momentanen Aufenthaltsort zu geben und tauchen lieber unter.

Dieses Problem wird zudem durch mehrere Berichte verschärft, wonach die libanesische Armee begonnen hat, in der südlichen Region von Tyrus Flüchtlingslager abzubauen. Sollten diese Ereignisse zu einer langanhaltenden Verschlechterung der Beziehungen zwischen den syrischen Flüchtlingen und ihren libanesischen GastgeberInnen führen, könnten schwerwiegende soziale und politische Auswirkungen die Folge sein. Die Ereignisse am Samstag könnten das erste Anzeichen einer libanesischen Gesellschaft sein, die wegen der Syrien-Krise auseinanderbricht. Die Ursache der momentanen Krise wird in der politischen Hetze der libanesischen Parteien gegen die syrischen Flüchtlinge gesehen. Vor allem der von der Hisbollah geführte „8. März“-Block wird als Schuldiger für die Übergriffe gesehen. Die Vorfälle stellen hierbei keine spontane Handlung dar, sondern das Ergebnis eines mehrjährigen Diskurses gegen den syrischen Aufstand und das Recht des syrischen Volkes, sein Schicksal selber zu entscheiden. Die syrische Bevölkerung wurde zudem pauschal als Unterstützer der IS gebrandmarkt. Dies schuf eine angespannte Atmosphäre, welche nur einen Grund zum Explodieren brauchte – und sich am letzten Samstag frei entfaltete.

Eine weitere Sorge bezüglich der langfristigen Entwicklung des Libanons ist die mögliche Militarisierung der syrischen Flüchtlinge. Dieser Schritt würde Aspekte der von palästinensischen Flüchtlingen geprägten Geschichte des Landes wiederholen. Je schlechter die Lage wird, desto größer ist die Chance, dass Randgruppen den Wunsch nach Bewaffnung entwickeln. Die mangelnde Organisation der syrischen Flüchtlinge macht sie zudem anfälliger für politische Manipulation.

Hussam al-Zeer berichtet auf ARA News über das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien, welche in den Libanon geflohen sind. Sie sind zwar dem syrischen Bürgerkrieg entkommen, erleiden aber nun eine hohe Ausgrenzung. Sie dürfen, wenn sie einmal in den Libanon geflohen sind, nicht wieder einreisen, nachdem sie Angehörige in Syrien besucht haben. Viele humanitäre Organisationen, darunter Amnesty International, kritisieren dieses Verbot, ohne bisher wirksame Schritte erreicht zu haben. Palästinensische und syrische Flüchtlinge leiden im Libanon aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten sowie der diskriminierenden Arbeitsmarktpolitik unter harten Lebensbedingungen Die Chancen für palästinensische oder syrische Menschen, eine Arbeitsstelle zu finden, sind gering. Jene, die eine Arbeit haben, müssen Repressalien durch arbeitslose LibanesInnen befürchten.

Jan Ali berichtet ebenfalls auf ARA News über die Stadt Kobane (Arab. Ain al-Arab), welche sich der Belagerung von Seiten des „Islamischen Staates“ (IS) widersetzt. Die BewohnerInnen der kurdischen Stadt in Nordsyrien leiden unter dem Mangel der Grundversorgung, da sie seit Monaten durch IS umzingelt sind. Die Kinder leiden Berichten zufolge am meisten unter diesen Bedingungen, da es vor allem an Säuglingsnahrung fehlt, was das Wachstum von Neugeborenen erheblich gefährdet. Angesichts der Belagerung blühte der Schwarzmarkt in der Stadt auf. Es werden Waren mit unbezahlbaren Preisen unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen angeboten. Reiche Familien sind bereit, für diese immensen Kosten aufzukommen. Jene Familien, die sich diese Preise nicht leisten können, müssen auf essentielle Güter verzichten. Die Kritik an den Schmugglern, welche illegal Ware aus der Türkei hineinbringen, wächst. Anstatt lebenswichtige Güter – wie zum Beispiel Säuglingsnahrung – zu beschaffen, wird lieber Tabak geliefert.

Die EinwohnerInnen der Stadt Kobane appellieren fortlaufend an die internationale Gemeinschaft, dringende Hilfslieferungen bereitzustellen, um das Leben von vielen Kindern zu retten.

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