Seit Anfang August kam es in Erbin (Umgebung von Damaskus) innerhalb kurzer Zeit zu mehreren Demonstrationen, die größte mit mehr als 1500 TeilnehmerInnen. Die Forderungen, besonders die nach einem Leben in Würde, stehen dabei exemplarisch für die sämtlicher EinwohnerInnen der östlichen Ghouta. Bereits seit Juni 2014 haben diese unter der Belagerung des Regimes zu leiden und zunehmend auch mit den verschiedenen Oppositionsgruppen im Inneren zu kämpfen.
“Ist es uns denn verboten, in Würde zu leben?” fragt ein Redner bei einer Demonstration in Erbin die Masse, die ihn umgibt. Er kritisiert hierbei nicht nur die Zustände, die durch die Belagerung des syrischen Regimes hervorgerufen wurden, sondern ebenfalls das, was im Inneren der Ghouta vor sich geht. Dort kontrollieren verschiedene Oppositionsgruppen Zugänge und Tunnel, die die einzige Verbindung zur Außenwelt darstellen und durch die unter anderem auch Lebensmittel ins Innere geschmuggelt werden. Streitigkeiten über die Kontrolle der Zugangswege herrschen zwischen den einzelnen Kräften vor und verhindern so eine konstruktive Verteilung der Lebensmittel unter der Bevölkerung. Oft werden Lebensmittel zurückgehalten oder mit hohen Abgaben versehen, was die Preise weiter künstlich in die Höhe treibt und zur Bereicherung einzelner Weniger führt. Der Preis für Brot etwa ist in der östlichen Ghouta 14 Mal höher als im wenige Kilometer entfernten Damaskus und mit Blick auf die kommende Winterzeit wächst der Unmut der BewohnerInnen, da sie dann auch nicht mehr auf selbst angebautes Gemüse zurück greifen können. In ihren Demonstrationen forderten sie daher immer wieder eine zivile Kontrolle der Tunnel, damit eine gerechte Verteilung stattfinden kann, bislang jedoch ohne Erfolg.
Die beiden gewichtigsten Akteure in dem Streit um die Tunnel sind die Jaysh al-Islam (Armee des Islam) unter Führung von Zahran Alloush sowie die Ajnad al-Sham (al-Ittihad al-islami li-ajnad al-sham, Islamische Union der Soldaten der Levante), ein Zusammenschluss einiger islamischer Oppositionsgruppen unter Führung von Abu Mohammad al Fateh (nähere Informationen dazu finden sich hier). Die Jaysh al-Islam und die Ajnad al-Sham hatten sich mit Failaq al-Rahman zur “Vereinten Armee” zusammengeschlossen, doch willkürliche Verhaftungen seitens der beiden großen Kontrahenten hatten immer wieder zu Spannungen innerhalb dieses Bundes geführt. Bereits im Juni sind vermehrt besonders Frauen in der Ghouta auf die Straße gegangen, die die Verantwortlichen aufforderten, ihre gefangen geommenen Männer und Söhne wieder frei zu geben. Besonders häufig wurde hierbei Zahran Alloush addressiert, da die Jaysh al-Islam schon oft durch willkürliche Festnahmen und brutales Vorgehen aufgefallen war. Alloush, Sohn eines salafistischen Predigers, ist nicht gerade der Liebling der EinwohnerInnen der Ghouta. Seine Hegemoniebestrebungen sind nicht nur den konkurrierenden Gruppen ein Dorn im Auge, besonders auch die zivile Bevölkerung leidet zunehmend unter den Kämpfen um die Vorherrschaft in den Vororten östlich von Damaskus. Berichten zufolge sind die Bedingungen in den Gefängnissen der Jaysh al-Islam genauso menschenverachtend wie in denen des Regimes, auch von Folter war die Rede. Einer unserer Partner in Erbin äußerte sich zu den Reaktionen auf die Demonstrationen: “Bis jetzt haben die bewaffneten Gruppen noch nicht reagiert, aber wir vermuten, bald werden sie sie einfach alle einsperren. Sie sind wie das Regime, in den Gefängnissen wird sogar gefoltert.” Hauptsächlich werden die Leute aufgrund willkürlicher Anschuldigungen festgenommen, oft wird ihnen vorgeworfen, sie seien Mitglieder des ISIS, sie wären Spione des Regimes oder homosexuell. Die Menschen, die in Erbin auf die Straße treten, fordern daher einen Umbau der militärischen und zivilen Strukturen in der östlichen Ghouta, da die jetzigen Zustände als extreme Ungerechtigkeit gegenüber ihnen und den Zielen der Revolution empfunden werden. Allerdings richten sich die Demonstrationen nicht ausschließlich gegen die Jaysh al-Islam sondern unterscheiden sich von Ort zu Ort, je nach Einfluss der einzelnen Truppen. Trotz unterschiedlicher Machthaber in den einzelnen Gebieten, ein Leben in Würde jedoch wird für die Menschen überall in der Ghouta zusehends schwieriger.
Zu all dem kommt noch hinzu, dass die Region weiterhin unter ständigem Beschuss durch die syrische Luftwaffe steht: Fassbomben sind hier eine der gefährlichsten Waffen. Die Kampagne #clearthesky hat bereits darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahr von ihnen ausgeht. Unterzeichnen auch Sie den Friedensaufruf von Planet Syrien um ein Ende der Gewalt in Syrien zu fordern!
Adopt a Revolution unterstützt bereits seit 2011 Projekte in Syrien, die die junge Zivilgesellschaft vor Ort fördern. Den AktivistInnen der östlichen Ghouta helfen wir dabei, in Erbin eine Schule und ein Zentrum für Zivilgesellschaft zu betreiben, in Douma beim Aufbau einer Bibliothek. Helfen Sie uns hierbei mit Ihrer Spende!