Die WM in Qatar: Schmutziger Deal mit dem Beautiful Game

Die WM in Qatar ist im vollen Gange – und steht im Zeichen mannigfaltiger Menschenrechtsverletzungen. Deshalb rufen Fußballfans zu ihrem Boykott auf. Das Blut migrantischer Arbeiter*innen, die beim Bau der WM-Stadien im letzten Jahrzehnt umkamen, klebt auch an den Händen westlicher Fußballfunktionäre.

Ob in der Hauptstadt Berlin oder im tiefsten Süden der Bundesrepublik in Freiburg: An den letzten Bundesligaspieltagen der Hinrunde zierten Banner, die zum Boykott der WM in Qatar aufriefen, die Tribünen deutscher Stadien. Eine breite Allianz fußballbegeisterter Menschen weigert sich für die Fußball-WM der Männer in Qatar den Fernseher einzuschalten. Denn: Für die WM und den Bau der Stadien sind in dem kleinen Ölstaat migrantische Arbeitskräfte massiv ausgebeutet worden – Tausende kamen dabei sogar zu Tode. Deshalb riefen deutsche Fußballfans zum Boykott auf. Im Vereinigten Königreich wurde die Eröffnungszeremonie gar nicht erst im Fernsehen gezeigt.

Viele Tote und moderne Sklaverei

Gute Gründe für den Boykott der WM gibt es viele – die Entrechtung migrantischer Arbeiter*innen stechen jedoch besonders heraus. 2016 rechnete Amnesty International mit mindestens 4.500 Arbeitskräften, die allein beim Bau der Fußballstadien aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen bis zum Start der WM zu Tode kommen werden. Laut dem Guardian waren Anfang 2021 bereits 6.500 Opfer zu beklagen – eine Zahl die Qatar seit dem anfechtet und trotzdem als realistisch einzuschätzen ist. Schließlich sind nicht nur Arbeiter*innen auf den Stadionbaustellen von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen: Von den 2 Millionen migrantischen Arbeitskräften in dem Land sind seit der Vergabe der WM an Qatar in 2010 insgesamt 15.000 migrantische Menschen auf der Arbeit ums Leben gekommen – knapp die Hälfte davon für den Bau der WM-Stadien.

Laut einem Bericht der Arbeits- und Menschenrechtsorganisation Equidem ist die Zahl der Toten Arbeiter*innen nur die Spitze des Eisberges. “Diese WM wurde auf moderner Sklaverei gebaut”, klagte Equidem Direktor Mustafa Qadri in einem Interview mit dem Rolling Stones Magazin. In einem über 100 Seiten langen Report listet seine NGO die Verbrechen von Qatari Bauunternehmen an den Rechten migrantischer Arbeiter*innen auf den Stadionbaustellen auf, darunter Lohndiebstahl sowie Gewalt und Einschüchterung auf den Baustellen.

Zudem seien von vielen Arbeitern die Pässe einbehalten worden, damit sie nicht ausreisen können – eine Praxis die als Indikator moderner Sklaverei gilt. Wenn Arbeitgeber*innen den Pass einer angestellten Person für einen unbestimmten Zeitraum einziehen, dann handelt es sich hierbei um eine eklatante Beschneidung ihrer Freiheitsrechte. In anderen Worten: Das Einbehalten eines Passes einer arbeitenden, migrantischen Person steht sinnbildlich für das Anlegen von Ketten.

Der Westen als Importeur von Menschenrechtsverletzungen

Davor steht noch eine lange Liste an Menschenrechtsverletzungen, die in Qatar im bestehenden Arbeitsrecht integriert sind, und zwar in Form des Bürgschaftsystems “Kafala”. Diese gesetzliche Regelung stammt noch aus der britischen Kolonialzeit und reguliert die Anwerbung und Einstellung migrantischer Arbeitskräfte und deren Rechte. Ausländische Arbeitswillige benötigen eine Bürgschaft des Arbeitgebers und können ihren Job nur durch dessen explizite Zustimmung wieder kündigen. In 2017 kam es nach einer Beschwerde durch die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) zu einer Reform dieses Systems, das sich laut Human Rights Watch (HRW) jedoch als ein unzureichendes Reförmchen herausstellte.

Nach wie vor können beispielsweise Arbeitgeber ihre Angestellten den lokalen Behörden als “von der Arbeit fern bleibend” melden . Damit gelten diese unmittelbar als illegale Migranten –Inhaftierung und Abschiebung sind die Folge. Damit haben die Arbeitgeber eine unglaubliche Macht über ihre Angestellten, die viel zu häufig missbraucht wird.

Protestschild von Adopt a Revolution: “Menschenrechtsverbrechen schaffen keinen Frieden.”

Mannigfaltige Menschenrechtsverletzungen

Es sind nicht nur die Rechte von migrantischen Arbeitenden, moderner Sklaverei und tausendfachem Tod auf den Baustellen für diese WM, die über das letzte Jahrzehnt hinweg immerzu für Ärger sorgten. Es spielen ebenfalls die Rechte von Frauen und LGBTQ+ Menschen in Qatar eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung des Gastgeberlandes. Es gibt also viele Gründe, warum deutsche Fußballfans diese WM boykottieren oder boykottieren sollten.

Ob Amnesty International, Equidem oder Human Rigths Watch: es gibt kaum eine große internationale NGO, welche die WM in Qatar nicht verurteilt. Auch weil Menschenrechtsverletzungen in Qatar nicht erst mit der Vergabe der WM an das Land bekannt, sondern schon lange davor von Menschenrechtsorganisationen beklagt wurden. Am Ende, und dies wurde auch vor Kurzem vom ZDF wieder aufgearbeitet, war wohl Korruption innerhalb der FIFA und auch deutscher Fußballfunktionäre dafür verantwortlich, dass die WM an Qatar vergeben wurde.

Beautiful Game, schmutzige Deals

Wen macht man also für den tausendfachen Tod migrantischer Arbeiter*innen auf den Stadionbaustellen verantwortlich? Neben dem Staat Qatar bieten sich auch die FIFA und besonders deutsche Fußballfunktionäre (zum Beispiel der vorbestrafte Karl-Heinz Rummenigge) als ein gutes Ziel für Fanprotest aus Deutschland an. Es sind ihre korrupten Geschäfte, die diese WM erst möglich gemacht haben. Das Blut migrantischer Arbeitskräfte, die für den Bau der WM Stadien ihr Leben ließen oder in moderner Sklaverei leben, klebt auch an ihren Händen.

Deutschen Fußballfans ist dies natürlich bewusst. Schon seit Langem skandieren sie “Fußballmafia DFB” und setzen sich gegen die Kommerzialisierung ihres Sports um jeden Preis ein. Hoffnung macht, dass sie ihren Protest auch in die Chefetagen ihrer Vereine tragen, wie bei der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München geschehen. Damals antwortete Uli Hoeneß auf Fanproteste: “Das ist der Fußballclub Bayern München und nicht die Generalversammlung von Amnesty International.” Doch genau das muss sich ändern. Menschenrechte sind nicht verhandelbar, Korruption inakzeptabel – ob in Deutschland oder anderswo.