Auf den Schildern fordern Demonstrantinnen: “Stoppt die Gewalt gegen Frauen”

Femizide: Keine Frage der Ehre

Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 100 Frauen ermordet. Die Zahl der Femizide wertet das BKA erst seit 2015 aus – erst langsam gibt es hier ein Bewusstsein für den Straftatbestand. Aktuelle offizielle Zahlen zu Femiziden in Idlib oder Syrien gibt es nicht. Sicher ist aber: sie finden auch hier statt. Und die Täter haben kaum etwas zu befürchten.

Auf den Schildern fordern Demonstrantinnen: “Stoppt die Gewalt gegen Frauen”

Als Femizid wird die Ermordung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet. Das Besitzdenken des Mannes gegenüber der Frau ist dabei ein leitender Faktor. Deshalb sind es oft (Ex-) Partnerinnen, die ihrem Mann zum Opfer fallen. Viele Länder gehen gegen Gewalt an Frauen und geschlechtsspezifische Tötungen vor – das senkt die Zahl der weltweiten Fälle jedoch nur geringfügig. Auch in Syrien dürfte die Anzahl der Femizide sehr hoch sein. Die letzte offizielle Zahl stammt aus dem Jahr 2010: Die Tötungsrate lag damals bereits bei 2,2 – das waren insgesamt 463 offizielle Tötungen. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen – damals wie heute.

*(Der Begriff „Ehrenmord“ ist sehr problematisch, weil darin eine Legitimierung mitschwingt, die es nicht gibt. Wir benutzen hier aber den Begriff, weil er zum einen so in Syrien sprachlich benutzt wird und es einen Femizid mit einem speziellen Motiv bezeichnet. Nicht alle Femizide sind sog. Ehrenmorde, aber alle „Ehrenmorde“ sind Femizide. Durch die Differenzierung können die Motive und Strukturen dahinter aufgezeigt werden.)

Denn: Die Angst vor dem gesellschaftlichen Stigma ist hier so groß, dass betroffene Familien meistens komplett schweigen. Die Verwandtschaft versucht so das eigene Gesicht zu wahren, denn auch für sie geht es nach so einer Tat im Kreise der eigenen Familie ums gesellschaftliche Überleben. Von Tätern, aber auch von Familienangehörigen, wird dabei häufig auch der Begriff „Ehrenmord“* ins Spiel gebracht, beispielsweise dann, wenn Frauen von ihren Ehemännern oder Brüdern umgebracht werden, weil sie etwa die Scheidung eingefordert haben. So soll die Tat gerechtfertigt werden – und oft mildert das auch die Strafe.

Milde Strafe für Mord an Frauen

„Uns sind natürlich Fälle von getöteten Frauen bekannt, allerdings erfährt man dann darüber so gut wie keine Details“, erzählt uns auf Nachfrage unsere langjährige Partnerin und Frauenrechtlerin Huda Khaity, Leiterin des Women Support and Empowerment Center in Idlib. „Ich kannte aber eine Frau, die sich wegen häuslicher Gewalt von ihrem Mann trennen wollte. Daraufhin hat er sie entführt, drei Monate irgendwo festgehalten und am Ende auf extrem brutale Weise umgebracht.

Der Mann sei laut Huda Khayti zwar vor Gericht gestellt worden, weil Mord grundsätzlich strafbar ist. Seine Verteidigung stützte sich aber auf die Aussage, seine Frau hätte ihn betrogen. Damit versuchte er, wie es überall so oft bei Femiziden der Fall ist, dem Opfer die Schuld an seiner Tat zu geben – und kam damit durch. „Es ist hier leider die traurige Realität: Für Mord aufgrund von Ehebruch oder ähnlichen „Vergehen“, die angeblich die Ehre des Mannes oder der Familie verletzen, erhalten die Täter eine mildere Strafe. Das ist gesetzlich so festgeschrieben, als wäre es Notwehr. Und auch gesellschaftlich ist das so quasi akzeptiert – die Frau ist bei vermeintlich eigenem Fehlverhalten selbst schuld und der Mann aus dem Schneider. Das ist absurd und so frauenverachtend. Wir haben da noch einen langen Weg vor uns“, so Huda Khayti.

Vom blauen zum Blutfleck

Die Gewaltspirale, die am Ende in einem Femizid enden kann, ist den Aktivistinnen im Frauenzentrum gut bekannt – es sind die immer gleichen Muster toxischer bis hin zu tödlicher Männlichkeit, mit denen sie im Rahmen ihrer Arbeit immer wieder konfrontiert sind. „Wir betreuen hier im Zentrum viele Frauen, die Opfer von Gewalt ihrer männlichen Familienmitglieder geworden sind. Wenn Männer frustriert sind und Probleme in ihrem Leben haben, dann lassen sie es an den vermeintlich Schwächeren um sie herum aus“, erklärt Huda. Diese Dynamik hat aufgrund der herausfordernden Lebenssituation in Idlib in vielen Familien in den letzten Jahren noch einmal zugenommen. „Findet er keinen Job und kann die Familie nicht versorgen? Dann erleben viele Frauen zu Hause Gewalt. Der Mann will sein Versagen für sich umkehren und seine Männlichkeit wiederherstellen, dazu nutzt er Gewalt gegenüber jenen, die er als schwächer empfindet. Das ist ein toxisches Frauenbild, dem wir mühselig versuchen entgegenzuwirken.“


Die Aktivistinnen beraten die Frauen nicht nur rechtlich, sondern bauen auch ein Netzwerk auf, das ihnen so weit wie möglich Sicherheit und einen Raum für Erfahrungsaustausch bieten soll. Denn nur im Kollektiv kann es gelingen Frauen vor Gewalt und Tod zu schützen.

„Derzeit steigen auch die Suizidfälle bei Frauen signifikant an. Und wir fragen uns aus der Erfahrung heraus: Bringen sich diese Frauen aus freiem Willen um oder wurden sie dazu gezwungen? Wurde ihnen vorher gedroht, dass sie getötet werden? Aber auch diese Fälle werden komplett totgeschwiegen. Als Außenstehende gibt es keine Chance genaue Informationen zu den Geschehnissen zu bekommen. Deshalb ist Austausch, Vernetzung und Zusammenhalt sehr wichtig und deshalb arbeiten wir daran. Wenn die Männer uns bedrohen, müssen wir Frauen uns gegenseitig beschützen.“


Die Arbeit der Aktivistinnen des Frauenzentrums Idlib macht für viele Frauen einen konkreten und großen Unterschied – und kann sogar Leben retten.

Helfen Sie mit Ihrer Spende, die lebenswichtige Arbeit des Frauenzentrums zu unterstützen!