Anas Al-Rawi

“Gegen Desinformation hilft nur die Stärkung unabhängiger Medien”

Hunderte Menschen sind letzte Woche in Syrien grausamen Verbrechen zum Opfer gefallen. Zusätzlich behindert gezielte Desinformation die Aufarbeitung und fügt den Opferfamilien weiteres Leid zu. Anas Al-Rawi, Leiter der zivilen Hooz-Zentren, spricht über die verheerenden Folgen von Falschinformationen.

Anas Al-Rawi

Adopt a Revolution (AaR): Anas, nur eine Woche vor dem Jahrestag der Revolution eskaliert die Gewalt in Syrien erneut. Kann unter diesen Umständen noch von einem Tag des Feierns gesprochen werden?

Anas Al-Rawi: Ich bin hin- und hergerissen. Ist es angebracht, zu feiern, wenn so viele Menschen leiden? Gleichzeitig ist dieser Tag für uns ein Symbol des Widerstands gegen Unterdrückung. Die Revolution brach aus, damit Menschen in Freiheit, Frieden und Würde leben können. Gerade jetzt ist es wichtig, sich daran zu erinnern und diesen Tag als Anlass zu nehmen, ein Ende der Gewalt zu fordern.

Welche Schritte sind nun dringend notwendig, um eine weitere Eskalation zu unterbinden?

Al-Rawi: Die Gewalt in Syrien hat eine gefährliche Eigendynamik entwickelt, die kaum noch zu kontrollieren ist. Meine größte Sorge war stets, dass das Land in einen konfessionellen Konflikt abrutscht. Um das zu verhindern, müssen drei Akteure aktiv werden: die Übergangsregierung, einflussreiche Persönlichkeiten der alawitischen Gemeinschaft und die Zivilgesellschaft. Verbrechen auf allen Seiten müssen konsequent geahndet und den Opfern Gerechtigkeit zuteilwerden. Nur so lässt sich verhindern, dass sich solche Taten wiederholen.

Wie beeinflussen Desinformationskampagnen die Wahrnehmung der aktuellen Lage in Syrien?

Al-Rawi: Die Flut an Fehlinformationen ist erschreckend. Täter nutzen sie gezielt, um Berichte als Falschmeldungen abzutun und ihre Verbrechen zu verschleiern. Ich selbst vertraue den Nachrichten kaum noch und verlasse mich stattdessen auf Kontakte vor Ort. Leider überwiegen falsche Informationen die verlässlichen bei weitem. Einige wenige Initiativen bemühen sich zwar um Faktenchecks, doch gegen die massive Propaganda und die Fülle der aufzuarbeitenden Ereignisse stoßen auch sie an ihre Grenzen. Es fehlt an transparenter Berichterstattung, auch von staatlicher Seite, die sich auf überprüfbare Fakten stützt.

Hast du Beispiele für gezielte Desinformation aus den vergangenen Tagen?

Al-Rawi: Es gibt zum Beispiel organisierte Kampagnen gegen Menschen, die sich mit den Opfern solidarisieren – sie werden diffamiert oder als unglaubwürdig dargestellt.

Wie beeinflusst die ständige Desinformation das Vertrauen der Menschen in Nachrichten?

Al-Rawi: Wenn Falschmeldungen allgegenwärtig sind, verlieren viele Menschen das Vertrauen in jede Form von Information. Einige glauben schließlich gar nichts mehr, während andere unkritisch alles übernehmen. Beides ist gefährlich. Die Grenzen zwischen Realität und Propaganda verschwimmen, und Täter können ihre Verbrechen ungestraft fortsetzen. Ohne eine klare Faktenbasis wird es fast unmöglich, Gerechtigkeit einzufordern oder fundierte Entscheidungen zu treffen.

Wie kann man sich gegen diese gezielte Manipulation wehren?

Al-Rawi: Kurzfristig hilft nur, Informationen sorgfältig zu prüfen und sich auf verlässliche Quellen zu stützen. Langfristig müssen unabhängige, lokale Medien gestärkt werden, die faktenbasierte und transparente Berichterstattung liefern. Nur wenn Menschen Zugang zu vertrauenswürdigen Informationen haben, kann sich die Gesellschaft gegen gezielte Desinformation behaupten.