Ghouta Update #3 | Binden sind Nebensache

Für Frauen ist die Belagerung Ost-Ghoutas besonders schwer. Ihre Bedürfnisse werden häufig als nebensächlich abgetan – dabei tragen sie die Hauptlast, wenn es darum geht, die Auswirkungen der Hungerblockade auf die eigene Familie abzufedern.

Während die deutschen Innminister der Länder auf ihrer Herbstkonferenz die Bundesregierung aufforderten, die Sicherheitslage in Syrien neu zu bewerten, um so 2018 erneut Abschiebungen nach Syrien diskutieren zu können, ist die Lage für die rund 400.000 in den östlichen Damaszener Vororten belagerten Menschen weiterhin dramatisch. Neben den täglichen Bombenangriffen leiden unter der Belagerung besonders chronisch Kranke, deren Evakuierung ins nur 15 Kilometer entfernte Stadtzentrum Damaskus’ das Regime rundheraus verweigert. Auch Frauen sind ganz spezifisch von der katastrophalen Versorgungslage betroffen – nicht zuletzt, weil Rebellenführer und Regimefunktionäre ihre Bedürfnisse nach angemessener medizinischer und sanitärer Versorgung als nebensächlich abtun.

Deeskalation bleibt in der Deeskalationszone ein Lippenbekenntnis
Am vergangenen Wochenende war es im belagerten Ost-Ghouta wieder zu massiven Luftangriffen und Artelleriebeschuss gekommen. Am Sonntag allein töteten 30 Luftangriffe und 100 Bomben 24 ZivilistInnen, ca. 100 wurden verletzt. Dabei kamen Berichten der NGO Siege Watch zufolge auch völkerrechtswidrige Streubomben und eine umbenannte Drohne (vermutlich aus iranischen Beständen) zum Einsatz. Während die Deeskalation in der vermeintlichen Deeskalationszone also weiterhin ein bloßes Lippenbekenntnis ist, nahm die Heftigkeit der Bombenangriffe unter der Woche zunächst ab. Dies könnte auch mit einem Abkommen der Rebellenmiliz Jaysh al-Islam und den Kräften des Regimes zusammen zu hängen, nach dem Lebensmittel in bestimmte Teile Ost-Ghoutas geliefert wurden. Die islamistische, der saudischen Regierung nahe stehende Miliz kooperiert seit Jahren mit dem Regime. Den Zorn der Zivilbevölkerung zieht sie damit auf sich, dass sie sich eher in die eigene Tasche wirtschaftet und zivilgesellschaftliche Akteure verfolgt, als sich der Belagerung entgegen zu stemmen. Der Preis bestimmter Grundnahrungsmittel, wie etwa Zucker, fiel daraufhin, zumindest vorübergehend, ab, berichten unsere Kontakte in der Enklave.

Es fällt schwer, von Entspannung zu sprechen, denn die Lage in Ost-Ghouta ist weiterhin dramatisch, auch abgesehen von Tod und Verletzung durch Bombenangriffe. Dies betrifft besonders Hunderte PatientInnen, die an Unterernährung und chronischen Krankheiten leiden und deren Evakuierung aus dem besetzten Gebiet das Regime verweigert – auch wenn die rettende medizinische Versorgung in Damaskus nur etwa 15 Kilometer entfernt ist. Am Donnerstag wandte sich der für humanitäre Fragen in Syrien zuständige frühere UN-Nothilfekoordinator Jan Egeland mit drastischen Worten an die Presse – die Lage in Ost-Ghouta sei katastrophal: „Es gibt nur Eskalation in dieser Deeskalationszone.” Er berichtet, dass die U.N. schon vor sechs Monaten eine Warteliste für medizinische Notfälle in Ost-Ghouta einrichtete, mit den Namen von inzwischen 494 PatientInnen, die dringend evakuiert werden müssten. Das Regime aber verweigere die Ausfuhr kategorisch, zwölf der Personen seien inzwischen verstorben. Genauso lässt es nur unzureichende Hilfslieferungen in die Enklave zu – und unter den Gütern, die Ende November bei einer UN-Hilfslieferung eingeführt wurden, befanden sich keine Medikamente zur Behandlung von chronischen Erkrankungen.

“Frauen sind wegen der Angriffe Gefangene im eigenen Haus”
Auch die spezifischen medizinischen Bedürfnisse von Frauen sind unter den Belagerungsbedingungen keineswegs gedeckt, wie die Frauenrechtsaktivistin und Adopt-a-Revolution-Partnerin Lubna Al-Kanawati von Women Now for Development im Gespräch erläutert. Aus Misraba kommend hatte sie bis 2015 innerhalb des besetzten Ost-Ghouta für die Belange von Frauen im Belagerungszustand gekämpft, bis sie – eine Frauenrechtlerin, die kein Kopftuch trägt – das Gebiet angesichts von Bedrohungen seitens der islamistischen Milizen Richtung Gaziantep verlassen musste. „Seit Beginn der Offensive können Frauen den Großteil des Tages ihre Häuser nicht verlassen, zur Zeit fangen täglich um 12 Uhr die Bombardements an“, erzählt sie. „Sie sind wie Gefangene in ihrem eigenen Haus“. Das führe auch dazu, dass es für viele Frauen lebensgefährlich sei, für die Geburt ihrer Kinder Krankenhäuser aufzusuchen. „Es gibt kein Benzin, um mit dem Auto zu fahren und zu Fuß irgendwo hinzugehen ist extrem gefährlich“, so Al-Kanawati. Am Dienstagmorgen wurde eine Geburtseinrichtung von Luftangriffen getroffen, zwei Kinder starben dabei. Bereits im letzten Jahr war der letzte Gynäkologe Ost-Ghoutas durch eine verirrte Kugel bei Kämpfen zwischen islamistischen Milizen ums Leben gekommen.

Neben diesen akuten Problemen, erklärt Al-Kanawati, sind die Frauen in ihrem alltäglichen Leben beeinträchtigt. So gibt es beispielsweise im ganzen Gebiet keine Binden oder Windeln und so gut wie keine Verhütungsmittel. „Meine Schwägerin hat zwei Tage überall nach Binden gesucht und sie nirgendwo gefunden. Und wenn man Windeln findet, kann man sie nur einzeln kaufen!“, berichtet sie. Das liege besonders daran, dass die Verantwortlichen diese Güter nicht als notwendig erachteten und sie daher bei den wenigen Hilfslieferungen und den via Jaysh al-Islam in die Enklave geschmuggelten Gütern nicht berücksichtigten. „Die Milizenführer denken, dass „Frauensachen“ nicht wichtig sind und dass Frauen schon irgendwelche alternativen Wege finden können, um über die Runden zu kommen“, so Al-Kanawati. Zudem sei es den Frauen kaum möglich, ihre Kinder zu versorgen, was zusätzlichen Druck ausübe. Die Kinderversorgung obliegt ihnen schon traditionell und zusätzlich sind 25% der Frauen einem UN-Report zufolge hinsichtlich der Versorgung ihrer Familien auf sich allein gestellt, da ihre Männer im Krieg getötet oder verschleppt wurden. In einem Facebook-Post für Women Now for Development berichtet Nivin Hotary, eine Frau aus Ost-Ghouta, dass ihre Kinder noch nie Obst zu Gesicht bekommen hätten – ihr ganzes Leben hätten sie nur Besatzung erfahren.

Eva Tepest

Wir unterstützen nicht nur das Frauenzentrum in Douma, das Rechtshilfe, Weiterbildungen und psychosoziale Unterstützung für Frauen anbietet, sondern sammeln zur Zeit auch Gelder für eine Schulspeisung in Erbin. Dies entlastet die Versorgungslage der Familien, die häufig den Frauen obliegt und ermöglicht den Kindern trotz der Belagerung den Schulbesuch. Helfen Sie mit Ihrer Spende den Projekten in Ost-Ghouta.

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