Ein Großteil Syriens liegt in Trümmern – Hilfe ist bitter nötig. Aber zu welchem Preis?

Wie Assad humanitäre Hilfe als Machtinstrument nutzt

Das syrische Regime kooptiert humanitäre Hilfe und Gelder zum Wiederaufbau, um seine Repressionspolitik zu stärken. Das zeigt ein aktueller Bericht von Human Rights Watch (HRW).

Ein Großteil Syriens liegt in Trümmern – Hilfe ist bitter nötig. Aber zu welchem Preis?

Syrien ist nach acht Jahren Krieg ein Trümmerfeld. Laut der Weltbank sind ein Drittel aller Wohnungen sowie die Hälfte aller Schulen, Unis, Krankenhäuser und Gesundheitszentren zerstört. Die Wirtschaft ist am Boden. Viele internationale Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen versuchen die Not zu lindern und entsenden humanitäre Hilfe oder finanzieren Wiederaufbauprogramme.

Wie problematisch solche Wiederaufbauhilfen allerdings sind, hat bereits unsere Studie „Risiken und Nebenwirkungen: Der Wiederaufbau Syriens“ aufgezeigt: Statt den ausgebombten und vertriebenen Opfern des Kriegs dienen Assads Wiederaufbaupläne den Interessen seiner Günstlinge und Unterstützer. Wiederaufbauhilfen stärken daher die Diktatur und bestrafen ihre Gegner.

Missbrauch humanitärer Hilfe

Auch eine neue Studie von Human Rights Watch belegt, dass internationale Hilfen für Syrien nicht zwingend bei denen ankommt, die sie brauchen: Das Regime weiß geschickt humanitäre Hilfe und Wiederaufbauprogramme für seine Zwecke zu nutzen. Der Bericht mit dem Titel „Rigging The System“ zeigt: Hilfsmittel werden durch den korrupten Staatsapparat geleitet, um Assad-Anhänger zu belohnen und Bevölkerungsgruppen, die als Gegner des Regimes wahrgenommen werden, durch den Entzug von Hilfen zu bestrafen.

Der Druck auf die NGOs ist hoch. Das Regime schränkt den direkten Zugang humanitärer Organisationen zu hilfsbedürftigen Gemeinden massiv ein. Wer hier tätig werden will, muss nach den Regeln des Diktators spielen. Wer in seine Projekte den Schutz der Menschenrechte einschließt, dem wird der Zugang verweigert. Als Druckmittel nutzt die syrische Regierung auch seine Macht, um Visa für internationale Mitarbeiter zurückzuhalten, bis die humanitären Organisationen seinen Forderungen nachkommen. Viele NGOs knickten vor dem Assad-Regime ein, kritisiert HRW.

Organisationen, die mit der Aufgabe des Wiederaufbaus Syriens betraut sind, stehen vor denselben Probleme. Sie erhalten lediglich eingeschränkt Zugang zu Projektgebieten. Zudem müssen sie sich mit Stadtplanungs- und Investitionsgesetzen auseinandersetzen, die der Regierung die weitreichende Befugnis verleihen, Eigentum zu beschlagnahmen und abzureißen, ohne dass ein angemessenes Verfahren oder eine Entschädigung erforderlich ist. Ein weiteres Problem: Wiederaufbauprojekte, die die Infrastruktur von Regierungsbehörden des Assad-Regimes sanieren, können deren Verbrechen unterstützen.

Komplizen des Regimes

Die humanitäre Hilfe wird damit zu einem Instrument, mit dem das Regime seine Macht festigt. Organisationen und Regierungsstellen der Vereinten Nationen riskieren Komplizenschaft mit den Menschenrechtsverletzungen der Regierung. Einzelpersonen und andere Organisationen können ebenfalls das Risiko einer Straftat eingehen, indem sie wissentlich erhebliche Unterstützung für die Begehung internationaler Straftaten leisten.

Tatsächlich gibt es konkrete Hinweise auf anhaltende und systematische Menschenrechtsverletzungen, bei denen internationale Hilfsorganisationen riskieren, sich Komplizenschaft vorwerfen zu lassen. Beispielsweise bei Projekten, die zur Vertreibung von Bevölkerungsgruppen beitragen oder bereits erfolgte Vertreibungen zementieren. Oder beim Bau und Betrieb von Haftanstalten, Gerichten oder Strafverfolgungsbehörden, denen schwerwiegende Verbrechen vorgeworfen werden.

„Der Hilfsrahmen der syrischen Regierung untergräbt die Menschenrechte. Die Geber müssen sicherstellen dass sie sich nicht an den Menschenrechtsverletzungen beteiligen.“

Lama Fakih, Direktor Nahost Human Rights Watch

Als Vorbeugungsmaßnahme empfiehlt Human Rights Watch:

  • Die Vernetzung aller in Syrien tätigen Akteure, um gemeinsame Maßstäbe und Kriterien für die Zusammenarbeit mit dem Regime zu erarbeiten. Zudem sollten alle humanitären Programme von einem unabhängigen Überwachungssystem begleitet werden.
  • Projekte, bei denen die Risiken von Menschenrechtsverletzungen unvermeidbar sind und die den Nutzen der humanitären Arbeit überwiegen, sollen sofort beendet werden.
  • Investoren sollten eine „Due Diligence“ durchführen, um sicherzustellen, dass sie keine Unternehmen finanzieren, die aufgrund von Menschenrechtsverletzungen sanktioniert werden. Wenn sie in Agenturen investieren oder mit ihnen zusammenarbeiten, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sollten sie ihre Unterstützung zurückhalten, bis die Verstöße aufhören, die missbräuchlichen Agenturen reformiert und die Opfer entschädigt werden.