Das erste Mal seit Monaten können die Menschen in der Region Idlib durchatmen. Noch bis Minuten vor dem Inkrafttreten des Abkommens hatte es heftige Gefechte und Bombardierungen gegeben, seit Mitternacht herrscht weitgehend Ruhe. Vorerst. Denn sowohl Russland als auch die Türkei sind keineswegs verlässliche Vertragspartner – die letzten Deals hatten Halbwertzeiten von Wochen. Das wissen auch die Menschen vor Ort und fordern eine internationale Absicherung des Abkommens. Unsere Partner*innen appellieren daher an Angela Merkel und fordern eine UN-Schutzzone für Idlib.
EU muss Schutzzone durchsetzen
Vorantreiben könnten und müssen das heute die EU-Außenminister bei ihrem Gipfel in Zagreb. Denn die 3,5 Millionen Menschen in Idlib brauchen Sicherheit, humanitäre Hilfe und Perspektiven. Die Gewährleistung der Sicherheit kann nicht länger zwei Autokraten überlassen werden, die selbst Aggressoren in Syrien sind. Echter Schutz für die Zivilist*innen und eine Entwaffnung islamistischer Milizen – das geht nur mit der UN.
Es geht jetzt darum, den Menschen in #Idlib zu helfen. Wir haben den @UN 100 Mio. Euro angeboten, um vor Ort konkret humanitär zu helfen. Dafür brauchen wir einen Raum mit Sicherheitsgarantien. pic.twitter.com/ja5htSNlWL
— Heiko Maas 🇪🇺 (@HeikoMaas) March 5, 2020
Die Stunde für eine UN-Schutzzone ist derweil günstig wie nie: Weder die Türkei noch Russland haben Interesse an einer weiteren Eskalation der Lage. Ganz im Gegenteil: Erdogans Armee ist auch an anderer Stelle in Syrien interveniert, innenpolitisch ist sein Krieg nach Verlusten und zahlreichen getöteten Soldaten unpopulär. Er visiert deshalb selbst eine entmilitarisierte Schutzzone an.
Und auch Putin hat kein Interesse daran, seine Luftwaffe in einem Krieg mit einem Nato-Staat zu gefährden. Seine Ziele in Syrien hat er längst erreicht: Das Assad-Regime kontrolliert wieder weite Teile des Landes – nach dem Abkommen auch die strategisch wichtige Autobahn durch Idlib –, die USA und Europa sind längst außen vor und die EU von den Flüchtlingen an der griechischen Grenze völlig eingeschüchtert. An Russland vorbei kann es keine politische Lösung für Syrien geben.
Die Zeit drängt
Eine solche politische Lösung ist seit Jahren erklärtes Ziel der EU-Staaten – und angesichts der „Drohung“ der Türkei, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen (von Idlib in die Türkei, aber auch von der Türkei nach Europa), erkennen endlich auch die Regierungen der EU-Staaten den Handlungsdruck in Nordsyrien. Die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ ist bisher eine leere Phrase geblieben.
Um das zu ändern müssen die EU-Außenminister bei ihrem heutigen Gipfel endlich Verantwortung übernehmen und sich für eine Schutzzone in Idlib einsetzen, unter Einbindung Russlands und der Türkei, aber abgesichert von der UN. Damit wäre die ständig schwebende Gefahr einer erneuten Eskalation – in Idlib aber auch durch große Flüchtlingszahlen an der EU-Außengrenze – abgewendet.
Aber die Zeit drängt: Zwar können die Menschen in Syrien zum ersten Mal sei langem ohne den Lärm von Explosionen schlafen, die schlimmste Eskalation ist abgewendet – aber bisher hatte keine Vereinbarung zwischen den Autokraten Putin und Erdogan eine lange Halbwertszeit. Ist die aktuell größte Fluchtursache erst einmal beseitigt, sollte die Verteilung von besonders bedürftigen Flüchtlingen von den griechischen Inseln nicht mehr schwerfallen.
Der Deal im Überblick
- Waffenstillstand ab dem Morgen des 6. März, wobei sich die Türkei Vergeltung für Angriffe der syrischen Armee vorbehält
- Sicherheitskorridor von 6 km breite auf beiden Seiten entlang der Autobahn M4 von Aleppo nach Latakia, die derzeit mitten durch oppositionelles Gebiet führt
- Gemeinsame türkisch-russische Patrouillen entlang der Autobahn