Amina Khoulani von Families for Freedom beim UN-Sicherheitsrat

“Der UN-Sicherheitsrat hat bei den syrischen Häftlingen und ihren Familien völlig versagt!”

Am 7. August befasste sich der UN-Sicherheitsrat das erste Mal mit den derzeit knapp 100.000 veschwundenen Menschen in Syrien. Hala Al-Ghawi und Amina Khoulani von Families For Freedom haben in New York vor dem Gremium gesprochen. Wir haben die ergreifende Rede ins Deutsche übersetzt.

Amina Khoulani von Families for Freedom beim UN-Sicherheitsrat

“Mein Name ist Amina Khoulani und meine Geschichte wird von Hunderttausenden syrischer Familien erzählt, die den Schmerz ertragen haben, dass ihre Lieben von ihnen gerissen wurden und in brutalen unterirdischen Verliesen verschwunden sind.

Vor acht Jahren wurden drei meiner Brüder vom syrischen Regime gefangen genommen. Ihr einziges Verbrechen war friedlicher Protest für ein freies und demokratisches Syrien, eine Vision, die von Millionen im ganzen Land geteilt wurde. Jahrelang hofften meine Familie und ich, dass meine Brüder eines Tages freigelassen würden, aber das sollte leider nicht sein. Als Fotos von ermordeten, gefolterten Häftlingen vom Militärüberläufer Caesar durchgesickert sind, war das erste Bild, das ich sah, die Leiche meines Bruders Mouhamad. Mouhamad war nicht nur mein Bruder, sondern auch mein bester Freund und die Person, die mir am Herzen lag. Seine Frau war schwanger, als er verschwand. Er hat seinen Sohn nie gesehen, und sein Sohn wird seinen Vater nie kennenlernen.

Im Juli letzten Jahres veröffentlichte das syrische Regime Todesanzeigen von Menschen, die in den Gefängnissen starben. Vier Jahre nachdem ich von Mouhamads Tod erfahren hatte, erfuhr ich, dass meine beiden anderen Brüder Majd und Abdulsattar in Haft getötet worden waren. Ich habe nicht genug Worte, um zu beschreiben, wie es sich anfühlte. Die Hoffnung wurde mir wieder genommen. Ich konnte nicht aufhören, mir vorzustellen, wie sie diese Welt verlassen haben könnten – beide wurden am selben Tag, zur selben Minute am 15. Januar 2013, zum Tode verurteilt.

Ich selbst war sechs Monate lang inhaftiert. Ich wurde von der Air Force Intelligence Branch wegen meines friedlichen Engagements verhaftet. Mein Mann war zweieinhalb Jahre im berüchtigten Militärgefängnis Sednaya eingesperrt. Wir hatten beide das Glück zu überleben, aber viele andere hatten weniger Glück.

Heute bin ich eine der Mitbegründerinnen von Families for Freedom, einer Frauenbewegung, die 2017 von Familien ins Leben gerufen wurde, deren Angehörige inhaftiert und verschwunden sind. Die Frauen in unserer Gruppe haben unterschiedliche Hintergründe, aber wir sind uns in einer Mission einig: Wir fordern ein Ende des Verbrechens von willkürlichem Festhalten und Verschwindenlassen, fordern Gerechtigkeit für die Verschwundenen und ihre Familien und stellen sicher, dass diejenigen, die für ihr Leiden verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen.

Während ich Sie heute anspreche, werden nach wie vor rund 100.000 syrische Männer, Frauen und Kinder vermisst. Die Mehrheit wird vom syrischen Regime festgenommen, aber auch bewaffnete Oppositionsgruppen und extremistische Gruppen wie der IS sind an Inhaftierung und am Verschwinden schuldig. Die inhaftierten Personen können krank, verletzt oder schon tot sein. Viele ertragen täglich barbarische Folter. Einige exekutiert werden. Kaum einer von ihnen wird ein faires Verfahren haben. Wenn dieser Rat heute handelt, können diese Leben gerettet werden.

Ich erzähle Ihnen nichts Neues. Sie werden ohne Zweifel Cäsars Fotos gesehen und die Berichte syrischer internationaler Organisationen über die Krise des Verschwindenlassens und die brutale Folterpraxis in Syrien gelesen haben. Trotz dieser Bemühungen ist es bis heute zum erzwungenen Verschwinden gekommen, auch bei Personen, die versuchten, nach Syrien zurückzukehren.

Der UN-Sicherheitsrat hat bei den syrischen Häftlingen und ihren Familien völlig versagt. Es liegt in Ihrer Verantwortung, die Syrer vor einem System zu schützen, das seine eigenen Bürger tötet, foltert und unrechtmäßig inhaftiert. Dies verstößt ganz deutlich gegen das Völkerrecht, wie es von der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen und anderen einschlägigen Stellen festgestellt wurde. Sie haben zugelassen, dass Vetos und Ausreden dem, was richtig und gerecht wäre, im Wege stehen. Es liegt in Ihrer Verantwortung, einen Weg zu finden, um die Straflosigkeit zu beenden und diesen Horror zu stoppen.

Deshalb fordere ich heute die Mitglieder dieses Rates auf, das Thema Inhaftierung und das Verschwindenlassen in Syrien zu einer Priorität zu machen. Verabschieden Sie eine neue Resolution, um nicht nur das syrische Regime, sondern auch bewaffnete Oppositionsgruppen auf Namen und Aufenthaltsort aller inhaftierten Personen zu drängen und humanitären Organisationen den Besuch der Haftanstalten zu ermöglichen. Fordern Sie die Globale Koalition auf, ISIS zu besiegen und dass die Syrischen Demokratischen Kräfte das Schicksal der von ISIS Verschwundenen endlich aufdecken und ihren Angehörigen Antworten geben. Lassen Sie diejenigen von uns, deren Angehörige hingerichtet oder zu Tode gefoltert wurden, wissen, wo sich ihre Grabstätten befinden, damit wir um sie angemessen trauern können.

Die Verbrechen der willkürlichen Inhaftierung und des Verschwindens haben mein Land jahrzehntelang geplagt und sind in den letzten acht Jahren zu einer Epidemie geworden. Sie sind ein Schrecken, der das Leben von Millionen von Menschen beeinflusst und sie für immer zerstört hat. Der erste Schritt zu nachhaltigem Frieden und Gerechtigkeit ist die Wahrheit, ein Ende der willkürlichen Inhaftierung und des erzwungenen Verschwindens sowie die Freilassung von Tausenden von Zivilisten, die willkürlich inhaftiert und ihrer Freiheit beraubt wurden.”