Warum der IS-Angriff auf Hasakah uns alle angeht

Von den deutschen Medien kaum beachtet vollzieht sich im nordostsyrischen Hasakeh zur Stunde immer noch eine schreckliche Katastrophe, für die Deutschland sowie alle westlichen Staaten große Mitverantwortung tragen. Der IS-Angriff auf das Al-Sina’a-Gefängnis hält seit fünf Tagen an – und darf nicht länger unbeachtet bleiben.

+++ UPDATE: Laut SDF-Angaben sind das Gefängnis al-Sina’a und Umgebung seit heute 13:30 wieder unter vollständiger Kontrolle der SDF +++

Der IS hat das Gefängnis al Sina’a im nordsyrischen Hasakah teilweise immer noch unter Kontrolle. Fünf Tage nach der versuchten Gefangenenbefreiung hält er dort unter anderen rund 850 Minderjährige als Geiseln. Seit Tagen harren sie teils schwer verletzt und ohne Wasser und Nahrung neben Leichen aus und hoffen inmitten der Kämpfe zwischen IS und SDF irgendwie lebend aus dem Gefängnis herauszukommen.


Der Angriff des so genannten “Islamischen Staats” mit rund 200 Kämpfern ist seine größte und komplexeste Operation seit seiner militärischen Niederlage und ist auch heute nach mehreren Tagen heftiger Kämpfe offenbar noch nicht ausgestanden. Seit Beginn des Angriffs am Freitag ist das Wohnviertel Ghwayran, in dem das Gefängnis liegt, faktisch Kriegsgebiet. Der IS brachte mehrere Autobomben zur Explosion, SDF und USA gingen teils mit Luftangriffen gegen IS-Kämpfer vor, die sich in Rohbauten verschanzt hatten.

Der Angriff zwang insgesamt 45.000 Zivilist*innen zur Flucht, in Hasakah gilt eine Ausgangssperre. SDF und andere Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung Nordostsyriens durchsuchen Häuser nach entkommenen IS-Kämpfern oder weiteren IS-Schläferzellen. In der von der einstigen IS-Herrschaft traumatisierten Bevölkerung verbreitet der Angriff Angst und Schrecken – weit über Hasakah hinaus. 

Im Al-Sina’a-Gefängnis waren 3500 mutmaßliche IS-Kämpfer aus etlichen Ländern eingesperrt. Zudem waren bzw. sind noch immer mehrere hundert männliche Kinder und Jugendliche aus IS-Familien in diesem Gefängnis inhaftiert. Sowohl unter den IS-Kämpfern als auch unter den größtenteils als unschuldig zu erachtenden Jungen aus IS-Familien sind etliche Staatsbürger aus westlichen Staaten.

Warum übernahmen die westlichen Staaten nicht die Verantwortung dafür, ihre IS-Kämpfer und deren Familien zurückzuholen und vor Gericht zu stellen? Warum erhielt die Selbstverwaltung Nordostsyriens nicht mehr Unterstützung, um die Taten des IS aufzuklären, die Inhaftierten vor Gericht zu stellen, Täter*innen zu bestrafen und Mitläufer*innen und Kinder von IS-Familien zu resozialisieren?

Die Katastrophe in Hasakah zeigt noch einmal, wie unverantwortlich der Umgang mit den in Nordost-Syrien gefangen genommenen IS-Angehörigen ist – ob im Al-Sina’a-Gefängnis, im Al-Hol-Camp oder anderen Lagern und Gefängnissen. Die Verantwortung dafür trägt die Selbstverwaltung Nordostsyriens nicht alleine: Der IS ist eine internationale Terrororganisation, seine Anhänger*innen kommen aus der ganzen Welt. Es ist an der Zeit, dass das Problem IS auch als solches internationales Problem wahrgenommen wird.

Update, 26. Januar, 13:30: Die SDF vermelden, dass sie das al-Sina’a-Gefängnis und die Umgebung wieder vollständig kontrollieren und verbreiten Bilder von Gefangenen, die sich offenbar ergeben oder vor dem IS in die Hände der SDF geflohen sind. Wie viele Tote der Angriff gekostet hat – unter anderen unter den inhaftierten Minderjährigen – ist aktuell noch unklar.