Was ist die Offensive um Aleppo?
Gekämpft wird um Aleppo schon lange und doch hat sich die Situation in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt. Die syrische Armee und ihre verbündeten Milizen hatten mit russischer Luftunterstützung den Belagerungsring um die Stadt endgültig geschlossen, die letzte Versorgungsstraße war schon seit dem 7. Juli nicht mehr befahrbar. Zwischen 250.000 und 300.000 Menschen waren seitdem de facto eingeschlossen.
Gegenoffensive der Rebellen
Am Sonntag, den 31. Juli, haben zahlreiche Islamisten- und Rebellengruppen eine Gegenoffensive gestartet, mit dem Ziel den Belagerungsring um Aleppo zu durchbrechen. Derweil zündeten Menschen in der Stadt etwa Autoreifen an um die Sicht für Flugzeug- und Helikopterpiloten zu behindern und so ein Ende der Bombardements im Stadtinneren zu erzwingen. Die Kämpfer attackieren den vom Regime gehaltenen Teil der Stadt vor allem von Süden. Dort ist in ihnen am vergangenen Samstag der entscheidende Durchbruch gelungen. Die Belagerung Ost-Aleppo ist damit vorerst Geschichte, der neu erschlossene Korridor ist jedoch fragil und gefährlich.
Das vom Regime gehaltene West-Aleppo ist derweil seiner wichtigsten Versorgungsroute beraubt. Zwar gibt es noch Zugang über den Norden, dieser Weg ist jedoch sehr schlecht. Für die Zivilbevölkerung im Regimegebiet besteht aber zumindest die Möglichkeit der Versorgung über Luftbrücken.
Auf allen Seiten ist es zu heftigen Verlusten gekommen, zahlreiche tote ZivilistInnen sind zu beklagen.
Mittlerweile gibt es auch unbestätigte Meldungen in Regime-nahen Publikationen darüber, dass man tausende Milizionäre zusammenziehe, um zum Gegenschlag auszuholen.
Wer sind die kämpfenden Gruppen?
Am Kampf um Aleppo sind viele Parteien beteiligt. Ein Überblick der zentralen Akteure:
Das Regime: An der Seite der Truppen Assads kämpfen die libanesische Terrororganisation Hizbollah, das iranische Regime, schiitische – meist islamistische – Milizen aus Afghanistan (Liwa Fatemiyoun) und dem Irak, sowie Russland, das vor allem Luftunterstützung leistet. Außerdem existieren diverse Assad-treue syrische Milizen.
Die Rebellen: Aus ganz Nordsyrien haben diverse Rebellenallianzen Kämpfer zusammengezogen, für das, was sie die “entscheidene Schlacht” um Aleppo nennen. Dominant sind vor allem die islamistische Allianz Jaysh al-Fatah, zu der auch die Terrororganisation Jabhat an-Nusra gehört, die neuerdings unter dem Namen Fatah al-Sham agiert und behauptet, sich von al-Qaida losgesagt zu haben. Außerdem von Relevanz ist Fatah Halab – eine Art Koordinationsbündnis aus islamistischen und nationalistischen Rebellengruppen, darunter Einheiten der Freien Syrischen Armee.
Die Kurden: In Sheik Maqsoud, einem kurdisch dominierten Viertel, sind die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der PKK-nahen Partei PYD aktiv. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen, die primär auf den Schutz des Stadteils beruhen. Da sie sich nicht an den Kämpfen gegen das Regime in Aleppo beteiligen und zudem von der Belagerung ausgenommen sind, unterstellen verschiedenen Rebellengruppen der YPG eine Kooperation mit dem Assad-Regime. Fakt ist aber auch, dass Sheik Maqsoud seit Monaten regelmäßig dem Beschuss islamistischer Rebellenmilizen ausgesetzt ist.
Die Rolle von ISIS und an-Nusra in Aleppo City
Anfang 2014 starteten Rebellen eine großangelegte Offensive, um die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) aus Westsyrien zu vertreiben. Im Rahmen dieses Angriffs wurde der IS auch aus der Stadt Aleppo gejagt. Jabhat an-Nusra war bisher zwar präsent, hatte aber keine Kontrollfunktion und stellte nur eine Minderheit der Kämpfer. Das ist mit der nun erfolgten Gegenoffensive Geschichte. Es ist noch fraglich, wie sich die Machtverhältnisse in Aleppo reorganisieren werden, allerdings ist davon auszugehen, dass den Dschihadisten von Fatah al-Sham aka Jabhat an-Nusra fortan weit größere Bedeutung zukommen wird. Es besteht auch die Gefahr, das die Islamisten nun daran gehen werden, offene Rechnungen zu begleichen und Racheakte zu vollziehen.
Was macht die internationale Gemeinschaft?
Trotz der weiterhin dramatischen Situation gibt es nur wenig Bemühungen auf dem internationalen Parkett sich der Situation anzunehmen.
Warum Aleppo?
Aleppo ist die zweitgrößte Stadt Syriens und war das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Während die sunnitischen Händler der Metropole zu Beginn des Aufstandes versuchten, sich neutral zu verhalten, waren es vor allem die Studenten die den Protest nach Aleppo trugen. Seit Mitte 2012 ist der Ort massiv umkämpt. Aleppo ist nicht nur wegen seiner Größe und strategischen Bedeutung wichtig, sondern auch als Symbol. Lange galt es als mögliches “syrisches Benghazi”. Die libysche Stadt ist ebenfalls die zweitgrößte ihres Landes und ihre Eroberung galt als der entscheidene Wendepunkt, von dem an der Sturm auf die Hauptstadt und damit der Sieg über das dortige Regime seinen Anfang nehmen konnte. Entsprechende Hoffnungen wurden von der syrischen Opposition noch 2013 über Aleppo geäußert. Für das syrische Regime hätte ein Sieg in Aleppo – oder zumindest die Belagerung der Stadt – eine erhebliche Verbesserung ihrer Verhandlungsposition bedeutet. Der maßgeblich durch Dschihadisten errungene Durchbruchs heißt jedoch, dass sich die Situation für das Regime weiter verkomplizieren wird und die Islamisten weiteren Rückhalt in der Bevölkerung erringen konnten.
In Aleppo unterstützt Adopt a Revolution mit Spenden das Zivilgesellschaftliche Zentrum der „Syrian Future Youth of Aleppo“. Mit aller Kraft versuchen die AktivistInnen inmitten des Krieges einen Ort jenseits der Gewalt zu schaffen. Helfen Sie mit – und ermöglichen Sie und mit Ihrer Spenden an Adopt a Revolution die wichtige zivilgesellschaftliche Arbeit in Aleppo
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