Behausung in Ruinen: Binnenflüchtlinge in Idlib. Foto: Ahmad Idlib

Wie Russland und China UN-Hilfslieferungen behindern

China und Russland haben durchgesetzt, dass die UN nur noch einen Grenzübergang zur humanitären Versorgung der Bevölkerung Nordsyriens nutzen dürfen. Das droht die Not großer Teile der dortigen Bevölkerung zu verschärfen. Wir erklären die Hintergründe.

Behausung in Ruinen: Binnenflüchtlinge in Idlib. Foto: Ahmad Idlib

Die wiederholten Auseinandersetzungen im UN-Sicherheitsrat über grenzüberschreitende UN-Hilfslieferungen nach Syrien muten oft technisch an – ihre Folgen sind jedoch konkret: In Nordsyrien sind rund drei Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig, vor allem weil sie vom Assad-Regime aus ihren Herkunftsregionen vertrieben wurden. Ein großer Teil der humanitären Hilfe stammt von den Vereinten Nationen.

Was ist der Hintergrund der UN-Hilfen für Nordsyrien?

Im syrischen Bürgerkrieg wurden schon früh Belagerungen eingesetzt, mit dem Ziel die Zivilbevölkerung auszuhungern. Insbesondere das Assad-Regime belagerte die Bevölkerung oppositionell kontrollierter Territorien. Punktuell nutzten auch oppositionelle Milizen die Belagerung der Zivilbevölkerung als Kriegswaffe. 

In den belagerten Gebieten starben immer wieder Menschen an den Folgen der Blockaden – vor allem Säuglinge oder kranke Menschen. Belagerte Regionen wurden systematisch von UN-Hilfslieferungen abgeschnitten, UN-Hilfskonvois blockiert oder gar beschossen.

Was sind die „Cross Border Resolutions“?

Ohne Erlaubnis der Regierung des jeweiligen Landes darf die UN nicht einfach Hilfsgüter liefern, so schlimm eine Notlage auch ist. Daher verabschiedete der UN-Sicherheitsrat 2014 die Resolution 2165, die es der UN trotz mangelnder Zustimmung des Assad-Regimes erlaubte, bestimmte Grenzübergänge zu nutzen, um von dort aus erreichbare Gebiete mit humanitärer Hilfe zu beliefern.

Als von den UN nutzbare Grenzübergänge wurden in der Resolution Bab al-Salam und Bab al-Hawa genannt, die beide im Norden an der syrisch-türkischen Grenze liegen. Ebenso wurden Al Yarubiyah an der syrisch-irakischen Grenze und Al-Ramtha an der syrisch-jordanischen Grenze in der Resolution genannt. 

Warum dürfen die UN jetzt nur noch einen Grenzübergang nutzen?

Bereits im Januar 2020 weigerten sich China und Russland die Resolution zur Cross-Border-Hilfe zu verlängern. Ein damals ausgehandelter Kompromiss sah vor, dass statt der bisher vier Grenzübergänge nur noch jene zwei an der türkisch-syrischen Grenze für UN-Hilfslieferungen genutzt werden dürfen. Zudem setzen China und Russland durch, dass die Hilfslieferungen auf nur sechs Monate befristet wurden – bis Juli 2020.

Eine “Schule” in Idlib. Viele Menschen harren im Freien aus. Foto: Ahmad Idlib

Insbesondere die Schließung des irakisch-syrischen Grenzübergangs Al Yarubiyah war folgenreich für die humanitäre Hilfe: Über diesen Grenzübergang hatten die UN nach eigenen Angaben vor allem medizinische Hilfsgüter für über 2,4 Millionen Menschen über den Nordirak nach Nordostsyrien geliefert. Schon das stellte die UN vor große Probleme und beschränkte die Hilfen.

Jetzt – im Juli 2020 – lief die Frist der letzten Einigung aus. Es drohte, dass die UN überhaupt keine Hilfslieferungen mehr über die Grenze bringen darf. Ein im Sicherheitsrat in letzter Minute erzielter Kompromiss rettete knapp, dass die UN den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al Hawa weiternutzen kann. Russland und China haben mit der Drohung, gar keine Hilfen mehr zuzulassen, durchsetzen können, dass nur dieses letztes Nadelöhr für die Versorgung von rund 3 Millionen Menschen bleibt – und das auch nur bis Juli 2021. 

Warum das Veto gegen die grenzüberschreitenden UN-Hilfslieferungen?

Russland und China pochen auf die „nationale Souveränität“ Syriens. Für autoritäre Regime ist diese wichtiger als alles andere –  sie sichert ihnen die Möglichkeit, mit widerspenstigen Bevölkerungsteilen nach Belieben umzugehen. China und Russland sind sich daher nicht zufällig einig.

Russland argumentiert vor allem, das Assad-Regime habe die Kontrolle über fast alle Landesteile wiedergewonnen. Daher könnte humanitäre Hilfe mittlerweile komplett über Damaskus abgewickelt werden, in Abstimmung mit dem Assad-Regime. Doch das stimmt so nicht.

Warum können die UN-Hilfen nicht einfach mit Damaskus koordiniert werden?

Ein großer Teil der für Syrien bestimmten UN-Hilfen wird schon bisher über Damaskus abgewickelt. Es ist umfangreich dokumentiert, wie das Assad-Regime diese UN-Hilfen strategisch für seine Zwecke nutzt. Günstlinge aus Regimekreisen nutzen UN-Strukturen, um sich zu bereichern. UN-Gelder werden zur Finanzierung staatlicher Aufgaben eingesetzt, sodass das Regime freiwerdende Ressourcen für die Kriegsführung nutzen kann.

Vor allem sorgt das Assad-Regime weiterhin dafür, dass die UN-Hilfen nur bei ihm genehmen Bevölkerungsteilen ankommen. Aus menschenrechtlicher Sicht ist es daher nicht vertretbar, dem Assad-Regime die Kontrolle über alle für Syrien bestimmten UN-Hilfen zu überlassen.

Was sind die Folgen für die Menschen vor Ort?

Die durch Russland und China erzwungene Auflage, dass die UN zur Belieferung von rund 3 bis 4 Millionen hilfsbedürftiger Menschen nur noch einen Grenzübergang nutzen darf, erzeugt künstlich enorme logistische Probleme für die UN und verknappt dadurch Hilfe. Es ist zu befürchten, dass sich dadurch das Elend der Menschen in Nordwestsyrien weiter verstärkt. Viele Menschen leben in behelfsmäßigen Flüchtlingslagern. Immer wieder kommt es zu Granatbeschuss und auch zu Luftangriffen, trotz des zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Waffenstillstands.

UN-Generalsekretär António Guterres hatte erst Ende Juni betont, dass die Hilfslieferungen über die Grenzübergänge Bab al-Salam und Bab al Hawa aufgrund der Covid-19-Pandemie dringend ausgeweitete werden müssen.

„Die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen sind eine Lebensader für Millionen von Zivilist*innen, die die Vereinten Nationen auf anderen Wegen nicht erreichen können. Wird die Resolution für die grenzüberschreitenden Hilfen nicht erneuert, würde die Hilfsoperation stoppen und diese Lebensader durchtrennt.“

Was können wir tun? 

Wenn die UN-Hilfen durch die Machtpolitik Russlands und Chinas verknappt werden, bleiben nur zwei Wege, um eine Eskalation der humanitären Katastrophe in Nordwest-Syrien zu verhindern:  

Vor Ort versuchen zivilgesellschaftliche Intitiaven mit Unterstützung internationaler Organisationen den Schwächsten unter den Hilfsbedürftigen beizustehen. Auch wenn dies den Ausfall der Versorgung durch die UN nicht kompensieren kann, können solche Initiativen einen Unterschied machen. Adopt a Revolution unterstützt mit Spendengeldern lokale zivilgesellschaftliche Inititativen, die humanitäre Hilfe leisten. Aktuell gilt der Fokus unserer Partnerprojekte der Bekämpfung der COVID19-Pandemie.

Corona-Hilfe für Nordsyrien spenden: 

Politisch könnte die Bundesregierung darauf drängen, dass die von ihr bereitgestellten hohen Summen für Syrien-Hilfen und eventuell auch entsprechende EU-Gelder nicht über die UN, sondern über andere Strukutren nach Syrien gebracht werden. Wenn die UN aufgrund der Politik Russlands und Chinas nicht ihre Aufgabe erfüllen kann, müssen dringend Alternativen erwogen werden, um die Zivilbevölkerung Syriens versorgen zu können.  

Quellen und weiterführende Medienberichte:

Die ZEIT: “Über humanitäre Hilfe sollte nicht der Sicherheitsrat entscheiden”  (7/2020)

UN News: Security Council extends for one year, lifesaving cross-border aid to Syria (7/2020)

Center for Strategic and International Studies: The Possible End of Cross-border Aid in Syria (7/2020)

Syria direct: New resolution restricts cross-border assistance to Syria (01 / 2020)

DW: Hilfslieferungen für Syrien vor dem Aus (01 / 2020)