»Wir zeigen, was Gefangenschaft bedeutet«

Unser Partner Rami A. hat in Idlib eine kleine Theater-Gruppe gegründet. Ihr erstes Stück hätte eigentlich gerade Premiere feiern sollen, doch dann kamen Luftangriffe dazwischen. Ein Interview über Theater, Dschihadismus und die Bombardierungen auf Idlib.

Rami ist ausgebildeter Informatiker. Aber schon seit seiner Kindheit spielt er leidenschaftlich Theater. Schon 2013 inszenierte er ein politisches Theaterstück in Idlib, das damals noch vom Assad-Regime kontrolliert wurde. Rami wurde von der Bühne weg verhaftet und blieb drei Monate eingesperrt. 

Nun versucht er erneut Theater in Idlib zu machen: Unter anderen Vorzeichen, denn heute wird die Stadt von Islamisten kontrolliert. In ihrem ersten Stück geht es um das Schicksal der politischen Gefangenen. Nicht wenige der Teilnehmer saßen selbst einmal hinter Gittern oder haben Angehörige, die in Haft verschwanden. Wir sprachen mit Rami über sein von Adopt a Revolution gefördertes Projekt.

+++ Nachtrag 25.3.: Mittlerweile konnte die Premiere stattfinden – nach fast sechs Jahren ist es Rami endlich gelungen, eines seiner Theaterstücke in Idlib zur Aufführung zu bringen. +++

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Wir haben gehört, dass Eure Premiere aufgrund von Luftangriffen verschoben werden musste. Viele befürchten, dass es bald zur Offensive auf Idlib kommen könnte…

Ich denke nicht, dass die große Offensive auf Idlib bevorsteht. Ja, die jüngsten Angriffe waren sehr schlimm aber dennoch ist das kein Auftakt zu etwas Größerem. Russland und die Türkei sind permanent in Verhandlungen und wenn Moskau Druck auf Ankara ausüben will, bombardiert es in Idlib. Das ist alles. Die Situation mag ausweglos sein, aber der finale Angriff kommt so schnell nicht.

Worum geht es in eurem Stück?

Es geht um politische Gefangene. Es gibt vier Hauptprotagonisten und mehrere Statisten. Zwei von ihnen sitzen schon sehr lange im Gefängnis, einer kommt neu dazu und einer ist bereits tot. Um ihre Ängste und Erinnerungen dreht sich alles.

Was hofft ihr damit zu erreichen?

Es geht darum, den Zahlen ein Gesicht zu geben. Auch in Idlib fällt es vielen, die nicht selbst betroffen sind oder betroffene Angehörige haben, schwer, sich vorzustellen, was Gefangenschaft bedeutet. Essen – Trinken – Folter – Essen – Trinken – Folter – ja, das ist der grobe Ablauf, aber dazwischen gibt es so viel Details und Gefühle, die man sich kaum vorstellen kann. Allein die Einsamkeit und die Sehnsucht nach deinen Freunden und deiner Familie… das wollen wir vermitteln. Das Stück beginnt ganz ohne Text, in der Diktatur. Alle Schweigen. Erst mit der Revolution finden die Menschen ihre Sprache. Ich selbst saß ja in Haft, ebenso ein anderer Schauspieler. Wieder ein anderer vermisst seinen Bruder, der seit Jahren hinter Gittern verschwunden ist, und wieder ein weiterer ist ein Vertriebener aus Ost-Ghouta, der Jahre der Belagerung überlebt hat, was auch eine Art der Gefangenschaft ist.

Das Thema der Gefangenen darf nicht in Vergessenheit geraten. Fast nur die, die selbst davon betroffen sind, kümmern sich auch um das Thema, an den meisten anderen geht das einfach vorbei. Aber das ist eine Angelegenheit aller, die einst gegen Assad aufgestanden sind. Und gleich ob in Idlib, der Türkei oder Europa: Wir dürfen nicht locker lassen. Außerdem wollen wir, dass man die Menschen in Idlib nicht nur als Extremisten sieht. Hier gibt es kluge Menschen, die etwas drauf haben und jeden Tag versuchen, die Lage ein bisschen besser zu machen.

Wie findet Hai’at Tahrir al-Sham (HTS), die Dschihadistenmiliz die Idlib kontrolliert, eigentlich Theater?

Anders als beim IS ist Theater für HTS nicht völlig Tabu. Aber natürlich gibt es Regeln: Frauen dürfen nicht öffentlich auftreten, es darf nicht gesungen werden und allgemein sind nur bestimmte Arten von Musik zulässig. Ich hoffe aber, dass wir mit unserem nächsten Projekt in Azaz arbeiten können, wo HTS nicht herrscht und dort mit einem Frauenprojekt kooperieren können.