Nicht-Militärische Handlungsoptionen der Bundesregierung und der EU zu Syrien

Erst nach dem Angriff auf drei Einrichtungen des syrischen Chemiewaffenprogramms kommen die EU-Außenminister zusammen, um über die Entwicklungen in Syrien zu beraten. Zwar ist eine Reaktion auf die wiederholten, tödlichen Angriffe mit Giftgas in Syrien notwendig, um eine Aufweichung des internationalen Rechts zu verhindern. Gleichwohl verletzt auch ein Militärangriff ohne vorherige unabhängige Untersuchung und ohne […]

Erst nach dem Angriff auf drei Einrichtungen des syrischen Chemiewaffenprogramms kommen die EU-Außenminister zusammen, um über die Entwicklungen in Syrien zu beraten. Zwar ist eine Reaktion auf die wiederholten, tödlichen Angriffe mit Giftgas in Syrien notwendig, um eine Aufweichung des internationalen Rechts zu verhindern. Gleichwohl verletzt auch ein Militärangriff ohne vorherige unabhängige Untersuchung und ohne UN-Mandat internationale Normen. Zudem haben Deutschland und die EU zahlreiche nicht-militärische Handlungsmöglichkeiten, um auf die zahlreichen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen in Syrien zu reagieren – auch auf Angriffe des Assad-Regimes mit konventionellen Waffen, auf die über 99% der zivilen Toten in Syrien zurückzuführen sind.

UN-Vollversammlung: Umgehung der Blockade des Sicherheitsrats

Um die Blockade des UN-Sicherheitsrats zu Syrien zu umgehen, müssen Deutschland und die EU auf die UN-Vollversammlung setzen. Mit dem Instrument „Uniting for Peace“ kann die Versammlung aller UN-Mitglieder weitreichende Resolutionen verabschieden. Im Fall Syriens ist dies – trotz jahrelanger Blockade des Sicherheitsrats insbesondere durch Russland – erst einmal erfolgt: Im Dezember schuf die UN-Vollversammlung einen internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung von Kriegsverbrechen (IIIM).
Ebenfalls einem Veto im Sicherheitsrat zum Opfer gefallen ist der Joint Investigative Mechanism (JIM) von UN und OPCW, der Angriffe mit Chemiewaffen in Syrien untersuchte und die Verantwortlichen benannt hat. Wenige Tage bevor der JIM in einem Bericht die syrische Armee als Täter des Sarin-Angriffs auf Khan Sheikhoun im April 2017 benannte, verhinderte die russische Regierung die Verlängerung des Mandats des JIM. Jetzt muss die Vollversammlung nicht nur die Untersuchung des Chemiewaffenangriffs auf Douma durch die OPCW beauftragen, sondern auch dessen Aufklärung. Dazu könnte sie das Mandat des JIM erneuern, und Sanktionen für diejenigen beschließt, die Chemiewaffen eingesetzt haben.
Wenn durch Veto im UN-Sicherheitsrat blockierte Resolutionen zu Syrien regelmäßig in der Vollversammlung beschlossen werden, drückt das die weitgehende Isolation der Position der russischen Regierung aus.

Kriegsverbrechen untersuchen und verfolgen

Auf zwei Ebenen haben die Bundesregierung und die EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Kriegsverbrechen in Syrien zu untersuchen und zu ahnden: Zum einen auf nationaler Ebene über das „Weltrechtsprinzip“, wonach Verbrechen gegen das Völkerrecht in jedem Land vor den Gerichten verfolgt werden können, solange es keine internationale Gerichtsbarkeit gibt. Hierfür müsste die Bundesregierung das Personal im Völkerrechtsreferat bei der Bundesstaatsanwaltschaft deutlich aufstocken und die Aufklärung von in Syrien begangener Kriegsverbrechen, ob Chemiewaffenangriff oder Bombardement ziviler Ziele, aktiv vorantreiben.
Zum anderen auf internationaler Ebene, indem Bundesregierung und EU die Arbeit des IIIM unterstützen und stärken: Der unabhängige UN-Mechanismus musste seine Arbeit mit einem reduzierten Budget beginnen, weil die UN-Mitgliedstaaten keine ausreichenden Finanzmittel zur Verfügung stellten. Hier können sowohl die Bundesregierung als auch die EU sofort handeln. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung den UN-Ermittlern auch Material aus geheimdienstlichen Quellen zur Verfügung stellen – worauf diese bisher nicht zugreifen können.

Russland, Iran, Türkei: Druck auf diejenigen, die Beihilfe zu Kriegsverbrechen leisten

Gegen den Iran hat die EU neue wirtschaftliche Sanktionen – wegen der Unterstützung des Assad-Regimes – gerade erst abgelehnt. Dabei wären sie ein Mittel – vielleicht nicht das geeignetste, aber immerhin -, um Druck aufzubauen, den Krieg in Syrien zu beenden. Auch gegen Russland gibt es bisher keinerlei syrien-bezogene Sanktionen, obwohl zahlreiche internationale Menschenrechtsorganisationen der russischen Luftwaffe die Beteiligung an Kriegsverbrechen nachgewiesen haben, etwa während der Angriffe auf Aleppo. Dabei liegt außer Frage, dass die russische Regierung im Fall Syriens zumindest Beihilfe zu Kriegsverbrechen begangen hat, wofür nach internationalem Recht ebenfalls Sanktionen möglich sind: Ob Luftangriffe auf zivile Ziele, Soldaten an Checkpoints von belagerten Ortschaften oder die Lieferung von Kriegswaffen – ohne Unterstützung aus Moskau könnte das Assad-Regime zahlreiche Verbrechen überhaupt nicht begehen. Ein konkretes Beispiel für mögliche Sanktionen: Das staatlich-russische Rüstungsunternehmen Rosoboronexport hat mit dem Syrienkrieg nicht nur Milliarden verdient, sondern wirbt bei potenziellen Kunden sogar mit der Wirksamkeit seiner Waffen im Syrienkrieg. Dass die Manager des Unternehmens trotzdem in die EU reisen, hier womöglich ihr Vermögen verwalten lassen und an Waffenmessen teilnehmen, ist geradezu skandalös.
Auch eine deutlichere Kritik an der Intervention der Türkei in Nordsyrien gegen die kurdische Autonomieverwaltung wäre nicht nur angemessen, sondern jederzeit machbar. Dass Waffenlieferungen aus Deutschland an die Türkei selbst während des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf Afrin weitergehen, macht die Bundesrepublik zu Komplizen des türkischen Angriffs. Stattdessen braucht es eine Unterstützung der kurdischen Autonomiegebiete in Syrien, nur nur um die Türkei von einem weiteren militärischen Vormarsch abzuhalten, sondern auch, um die Möglichkeit eines mäßigenden Einflusses auf die dortige Regionalverwaltung zu bekommen. Andernfalls, insbesondere wenn Donald Trump seine Abzugspläne umsetzen sollte, droht ein weiterer türkischer, sowie ein russisch-iranisch-syrischer Vormarsch gegen die bisher weitgehend stabile kurdische Selbstverwaltung.

Wiederaufbau, Geheimdienste, Abschiebungen:
Keine Kooperation mit dem Assad-Regime

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Mit einem Foltersystem wie dem Assad-Regime darf es keine Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene geben – auch nicht im Bereich der Geheimdienste –, solange die Kriegsverbrecher bis in höchste Ämter nicht bestraft worden sind. Entsprechend bräuchte es einen Bundestagsbeschluss, eine Syrien-Resolution des Bundestags, der diese Zusammenarbeit ausschließt, bis es einen glaubwürdigen politischen Neuanfang in Syrien gegeben hat. Da auch Abschiebungen nach Syrien nicht ohne eine solche staatliche Kooperation ablaufen können, müssen diese weiter vollständig ausgesetzt bleiben.
Ähnlich verhält es sich beim Thema Wiederaufbau: Vor rund einem Jahr hatten sich beim Syrien-Gipfel in Brüssel die Geberländer festgelegt, dass vor einem Regimewechsel keine Gelder für den Wiederaufbau in Syrien fließen sollen – denn die EU-Staaten dürfen nicht für den Wiederaufbau von Infrastruktur zahlen, die Assad-Regime und Russland mit ihren Bomben zerstört haben. Am 24. und 25. April findet in Brüssel die Folgekonferenz statt – und hier muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass dieser Beschluss fest bestehen bleibt, bis die Vereinbarung der ersten Genfer Syrien-Gespräche vom Juni 2012 umgesetzt sind und Kriegsverbrecher von der Beteiligung an einer Übergangsregierung ausgeschlossen sind.

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