Angriff auf Asad, baldige “Befreiung” der Küste?, über Dinge, die Asad nicht zerstören kann und das Phänomen der “Scharia”-Gerichte- Netzschau vom 10. August

Am Donnerstag sei es zu einem Angriff auf den Konvoi von Bashar al-Asad gekommen, berichten Oppositionsmedien. Von offizieller Seite der syrischen Regierung wird das jedoch verneint. Asad sei zudem unverletzt geblieben und zeigte sich beim Beten im offiziellen Staatsfernsehen. Am gleichen Tag sei auch Ahmad Jarba, der Chef der Syrischen Koalitio, nach Daraa, in den […]

Am Donnerstag sei es zu einem Angriff auf den Konvoi von Bashar al-Asad gekommen, berichten Oppositionsmedien. Von offizieller Seite der syrischen Regierung wird das jedoch verneint. Asad sei zudem unverletzt geblieben und zeigte sich beim Beten im offiziellen Staatsfernsehen. Am gleichen Tag sei auch Ahmad Jarba, der Chef der Syrischen Koalitio, nach Daraa, in den Süden von Syrien, gefahren, um an Festlichkeiten zum Ende des Monats Ramadan teilzunehmen.

„Der Kampf zur Befreiung der syrischen Küste“ hieße der jüngste überraschende Angriff auf küstennahe Gebiete durch KämpferInnen der Opposition, berichtet Haytham Mouzahem für al-Monitor. In die Kämpfe seien ungefähr 2000 Bewaffnete, überwiegend mit islamistischer Affiliation, verwickelt. Sowohl von strategischem als auch von symbolischem Wert sei der Militärschlag gewesen, urteilt Mouzahem: „On the strategic level, the villages are located on high hills that allow those who hold them to control the areas located below. Latakia is the main port in Syria and crucial to the rebels’ goal of toppling the Assad regime. The symbolic importance of controlling those villages stems from their location in Latakia governorate, the bastion of the Alawites and stronghold of Assad and his regime.” Die KämpferInnen haben wohl mehr als 10 Dörfer mit einer überwiegend alawitischen Einwohnerschaft eingenommen. Es sei zu Geiselnahmen und konfessionell-motivierten Morden gekommen, berichtet ein alawitischer Scheich. Die staatliche Nachrichtenagentur SANA berichtet, dass Teile dieser Dörfer zurückerobert wurden. Mouzahem fragt dennoch: Wie konnte es sein, dass die syrische Regierung diese strategisch wichtige Gegen ohne wirklichen Sicherheitsschutz lies? Sie wurde hierfür von pro-Regime Bloggern harschkritisiert. Du Washington Post berichtet zudem, dass die Kämpfe nur 12 km entfernt vom Heimatort der Familie Asad stattgefunden hätten. Viele der BewohnerInnen der umliegenden Dörfer seien daraufhin in die Provinzhauptstadt Latakia geflohen.

Malath al-Zoubi berichtet für das Damascus Bureau über eine regelrechte „Explosion“ an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten von SyrerInnen im Libanon. Die Gemeinde kann in zwei Teile geteilt werden: jene, die sich für politischen Wandel in Syrien bemühen und jene, die Hilfe für syrische Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Zu ersterer Gruppe gehörten Gruppen wie: Dawlaty, Bidayaat, Waw al-Wasel, and Noun. Für die Flüchtlinge setzen sich vor allem Sarda, Basma wa Zeitouneh, Sawa li Ajl Souria, das Ward Team for Psychosocial Support sowie Najda Now ein. Das Auftauchen so vieler Organisationen hat die Frage nach ihrer Effizienz und Nachhaltigkeit entfacht. Viele politische AkvistInnen haben auch ihren eigenen Arbeitsfokus geändert, nachdem sie gesehen haben, wie wichtig die Unterstützung von Flüchtlingen ist. Psychologische Hilfe sei hier besonders geboten, denn: „If we do not address the psychological trauma these children have lived, they will be unable to build a nation on solid foundations.” Es gibt auch Projekte, die sich gezielt an die Freie Syrische Armee (FSA) richten. Waw Al Wasel z.B. hat bereits mehrere Videos produziert, um bei Mitgliedern der FSA Bewusstsein für ethisches Verhalten in Kriegszeiten zu schaffen. Der Aktivist Haid betont zudem, dass AktivistInnen von ihren Fehlern lernen müssten, gerade bezüglich direkter Hilfe in Syrien, denn das Scheitern habe einen bedeutenden Schlag gegen die friedliche Protestbewegung in Syrien bedeutet.

“Oh, Assad, there are so many things you just can’t bomb”, lautet nach längerer (Cyber-)Abwesenheit Razan Ghazzawi Fazit aus den Aktivitäten, die sie in den letzen Jahren und Monaten, im syrischen Untergrund geschafft hat. Dazu gehört besonders die Arbeit mit Kindern, welchen sie psychologische Unterstützung bietet, mit ihnen spielt, ihnen aber auch beibringt, sich vor Granaten zu verstecken. Nach so vielen Jahren kann Ghazzawi deswegen auch von sich sagen: „I am proud of myself. I’ve never felt satisfied in my life as I do now. This is an amazing feeling, a rare feeling to feel, like love, to feel you’re satisfied with what you’re doing and with your achievements. I am 33 years old, and finally I am proud of myself.”

Das Damascus Bureau berichtet über die steigenden Preise in Syrien. Besonders schlimm sei es, da nun Eid al-Fitr, das große Fest zum Ende der Fastenzeit, ansteht. Ein syrischer Haushalt habe oft nur noch umgerechnet 100 Dollar im Monat zur Verfügung, das reicht kaum, um eine Familie zu ernähren. Der Preisverfall führt auch dazu, dass jordanische Dinar und Türkische Lira sowie US-Dollar mehr und mehr zur Hauptwährung in Syrien werden. Derweil habe Asad ausländische Währungen für Finanztransaktionen verboten. Ein anderer Bericht erzählt vom „Markt der Diebe“ in Damaskus, welcher heute als Abbild Syriens dient: einem ausgeraubten, erschöpften Land. Schon lange werden dort nicht mehr nur gestohlene Güter verkauft, Binnenflüchtlinge und andere Fliehende kommen dorthin, um Waren zu erwerben und zu verkaufen: „It became a place where memories were bought and sold.“ Viele Syrer kommen auch zu dem Markt, um ihren gestohlenen Besitz zurück zu erwerben.

Islamwissenschaftler Thomas Pierret erklärt wie es zur Implementierung von „Scharia“-Gerichte in Syriens „befreiten“ Gebieten gekommen sei. Pierret macht deutlich, dass diese Erscheinung nicht nur im Kontext der syrischen Revolution gelesen werden darf, sondern mit dem wachsenden Misstrauen in das juristische System der Baath-Herrschaft zu tun hat. Darüber hinaus, sei die „Scharia“ auch dem syrischen Recht nicht ganz unbekannt gewesen: selbst in den Verfassungen von 1073 und 2012 lässt Artikel 3 verlauten, dass „Islamisches Recht die Hauptquelle der Legislative“ sei. Die neuen Gerichte seien im Konsens mit der lokalen Bevölkerung entstanden. Nach dem Rückzug von Asads Regimekräften gab es in den jeweiligen Gegenden die Not, juristische Institutionen wieder einzusetzen. Erstens, da die lokalen Gemeinden, das Bedürfnis nach Schutz hatten, nach der Kollabierung der Staatsmacht in ihrer Gegend und zweitens waren die Rebellengruppen selber auf eine juristische Kraft angewiesen, die mit Kriegsgefangenen etc. umgehen konnte. Wesentlich später erst begannen diese Gerichte sich in Angelegenheiten „öffentlicher Moral“ einzumischen. Ein Phänomen, so Pierret, welches bis heute lokalisiert und selten sei. Allerdings leiden diese neuen Gerichte an einem Mangel qualifizierter Richter. Letztere waren entweder diskreditiert wegen ihrer Arbeit für das Asad-Regime, flohen, oder befanden sich in den vom Regime kontrollierten Gebieten. „Muslimische Kleriker haben die Lücke gefüllt, da diese unter den lokalen Gemeinden respektiert waren und da es in gewisser Weise „natürlich“ war, dass auf der Scharia-basierende Gerichte von Männern der Religion geleitet werden“, so Pierret. Da diese Scheichs jedoch oft nur begrenztes Wissen über die legalen Prozeduren hatte, wurden sie oft von jungen Graduierenden der Scharia-Fakultäten, unterstützt.

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