Blick über Atareb: Eine stabile lokale Verwaltung und eine starke örtliche Zivilgesellschaft machen die Stadt zu einem Bollwerk gegen die Radikalen

Antiterroreinsatz ohne Waffen

Während sich in der Provinz Idlib und westlich von Aleppo extremistische Milizen ausbreiten konnten, haben Atareb und einige weitere Städte wie Saraqeb oder Maarat al-Numan ihnen bis jetzt immer widerstanden. Wie gelingt ihnen das?

Blick über Atareb: Eine stabile lokale Verwaltung und eine starke örtliche Zivilgesellschaft machen die Stadt zu einem Bollwerk gegen die Radikalen

Es ist früher Nachmittag, als die Bomben auf dem Marktplatz der syrischen Stadt Atareb einschlagen. Bis tief in die Nacht versuchen Helfer Tote und Verletzte zu bergen. Mehr als 60 Menschen sterben an diesem sonnigen Novembertag. Ich erfahre davon über unsere lokalen Partner vom Zentrum für Zivilgesellschaft Atareb. Sie schicken Fotos: Auch ihr Büro liegt in Trümmern.

Ausgerechnet Atareb! Russland und das syrische Regime geben vor, den Terror in Syrien zu bekämpfen – den IS und al-Qaida. Doch wen bombardieren sie dann immer wieder in Atareb? Die Stadt ist bekannt dafür, ein Bollwerk gegen den Extremismus zu sein. Vor einigen Jahren versuchte der »Islamische Staat«, Fuß in der Gemeinde zu fassen – die Bevölkerung organisierte den Widerstand und vertrieb die Dschihadisten. Nur wenig später versuchte der syrische al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra, die Stadt unter seine Kontrolle zu bringen. Wieder gelang es der Bevölkerung, die extremistische Miliz aus ihrer Stadt zu werfen.

»Die Menschen fordern Freiheit und Würde, dafür sind sie auf die Straße gegangen. Da kann nicht einfach nach Jahren irgendeine Gruppe antanzen, die Freiheiten massiv einschränken und versuchen, dir die Würde zu nehmen« – das hat uns Mohammed einmal gesagt, einer unserer Partner in der Stadt. Er und seine MitstreiterInnen waren immer ganz vorne mit dabei, wenn es galt, Widerstand gegen extremistische Bewaffnete zu organisieren. Seitdem harren die Dschihadisten in einem Quartier mehrere Kilometer vor der Stadt aus. Während sie sich in der Provinz Idlib und westlich von Aleppo ausbreiten können, haben Atareb und einige weitere Städte wie Saraqeb oder Maarat al-Numan ihnen bis jetzt immer widerstanden. Wie gelingt ihnen das?

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Was man jedoch verstehen muss: Die Extremisten expandieren nicht nur durch blanke Gewalt. Insbesondere die Nusra- Front, die sich heute Hai’at Tahrir al-Sham nennt, versucht vor allem, die politische Verwaltung der Städte an sich zu reißen. Sie denunzieren die örtlichen Selbstverwaltungen in Schmierenkampagnen als inkompetent und bieten sich dann selbst als Alternative an. Ihre Scharia-Gerichte ersetzen die lokale Justiz, erpressen unter Folter Geständnisse von Unschuldigen und gerieren sich so als strenge Schutzmacht kleiner Leute. Wenn möglich übernehmen sie gar die Strom- und Wasserversorgung.

In Atareb wäre Ähnliches fast mit der örtlichen Bäckerei geschehen. Als diese kurz vor der Pleite stand, bot die Nusra-Front an, sie zu übernehmen – um sich Unterstützung in der Bevölkerung zu erkaufen. Aber zivile AktivistInnen sammelten Geld, trieben Finanziers auf und konnten die Übernahme abwenden. Es sind ganz kleine Kämpfe, die in der Summe zu erfolgreichem Widerstand führen. Denn wo lokale Institutionen effizient sind, können sich Extremisten nicht so leicht behaupten. Unsere lokalen zivilgesellschaftlichen Partner unterstützen deshalb vielerorts Stadtverwaltungen und lokale Institutionen, organisieren gemeinsame Projekte, stellen Ausstattung zur Verfügung, helfen bei administrativen Aufgaben und drängen auf mehr Transparenz und Partizipation.

Wo die zivile Infrastruktur in Trümmern liegt, haben es Extremisten dagegen leicht. Der vermeintliche Antiterrorkampf Assads und seiner Verbündeter spielt ihnen kräftig in die Hände. Die Gewalt des Regimes bringt hervor, was sie zu bekämpfen vorgibt. Für den Antiterrorkampf westlicher Staaten gilt vielerorts dasselbe: Nackte Gewalt allein kann niemals Frieden bringen.

Lesen Sie jetzt unsere Neuerscheinung „Widerstand zwecklos? Wie Syriens Zivilgesellschaft den Extremismus bekämpft“!

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Adopt a Revolution unterstützt die wichtige Arbeit des Zivilen Zentrums Atareb zur Eindämmung radikalislamistischer Milizen – und ist dabei dringend auf Spenden angewiesen. Helfen Sie mit, stärken Sie den Einsatz der syrischen Zivilgesellschaft gegen islamistischen Terror mit Ihrer Spende!

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