Das Al-Hol-Camp im Nordosten Syriens ist eine Nachwuchsschmiede des IS. Es zu bewachen, fällt der SDF durch die türkischen Angriffe in Nordost-Syrien immer schwerer – es fehlt an Kapazitäten.

Erdoğan ist Steigbügelhalter des IS

Erdoğan verklärt seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Nordosten Syriens als Anti-Terror-Einsatz. Die Destabilisierung der Region durch die türkischen Bombardierungen spielt aber tatsächlich dem IS in die Hände. Und der hat nur auf eine Gelegenheit gewartet, zurückzukommen.

Das Al-Hol-Camp im Nordosten Syriens ist eine Nachwuchsschmiede des IS. Es zu bewachen, fällt der SDF durch die türkischen Angriffe in Nordost-Syrien immer schwerer – es fehlt an Kapazitäten.

„Vergesst uns nicht!“ Mit diesen eindringlichen Worten wandte sich der SDF-Kommandeur (Demokratische Kräfte Syriens) Masloum Abdi am vergangenen Wochenende angesichts der türkischen Bombardierungen auf den Nordosten Syriens an die Weltöffentlichkeit. In seinem in der Washington Post veröffentlichten Statement mahnt er, dass die gesellschaftlichen Errungenschaften nun durch die türkischen Angriffe bedroht sind.

Schlimmer noch: Ein Zerfall der noch jungen, demokratisch orientierten Gesellschaft dürfte auch dem IS Vorschub leisten und sein Wiedererstarken massiv begünstigen. Das lässt sich bereits beobachten.

Die Nachwuchsschmiede des IS läuft auf Hochtouren

Ganz weg war der Islamische Staat nie, aber die SDF hat es mit der Unterstützung der USA in den vergangenen Jahren geschafft, den IS zumindest territorial zu besiegen. Viele seiner Anhänger und Kämpfer sind seitdem im berühmt berüchtigten Camp Al-Hol untergebracht und werden dort von den kurdischen Einheiten bewacht. Insgesamt 57.000 Personen, davon 11.000 ausländische, sind dort untergebracht, die Hälfte von ihnen sind Kinder. Damit ist Al-Hol für den IS eine perfekte Nachwuchsschmiede. Denn zum einen haben sie Zugriff auf die Kinder, zum anderen ist das Lager ein rechtsfreier Raum. Es gibt keine Sicherheitskräfte im Lager, weil das zu gefährlich wäre. Entsprechend herrscht Gewalt sowie Mord und Totschlag. Ein Nährboden für Radikalisierung und Extremismus.  

Was mit den IS-Anhänger*innen geschehen soll, ist unklar. Seit Jahren fordert die kurdische Selbstverwaltung mehr militärische und logistische Unterstützung, um das Camp und seine Insassen im Griff zu behalten. Denn die Kontrolle des Camps zieht massiv Ressourcen und ist in friedlichen Zeiten schon kaum zu bewältigen.

Die Gefahr ist real

Dass vom IS noch eine große Gefahr ausgeht, zeigte sich bereits Anfang dieses Jahres. Im Januar starben Hunderte Menschen als der IS versuchte Tausende inhaftierte Dschihadisten aus einem Gefängnis in Hassaka zu befreien. 45.000 Zivilist*innen flohen vor den rund eine Woche andauernden Kämpfen aus der Region. Bereits damals kündigte der IS weitere Attacken an. Dabei haben die Islamisten besonders das Al-Hol-Camp im Visier.

Ab Februar folgte als Reaktion auf den Tod des IS-Anführers Abi Ibrahim al-Quatschig durch eine US-Spezialeinheiten eine Reihe von Vergeltungsanschlägen bei denen dutzende Zivilist*innen ums Leben kamen.

Die Türkei leistet dem IS Vorschub

Im Juni warnten wir bereits, dass Erdoğans völkerrechtswidriger Angriffskrieg dem IS Vorschub leistet und in die Karten spielt. Bei türkischem Beschuss von Sicherheitskräften der SDF rund um das Al-Hol-Camp vor wenigen Tagen sollen beispielsweise mehrere IS-Anhänger entkommen sein. Nach Aussage der SDF konnten die Personen dieses Mal zwar wieder eingefangen werden – es wäre aber nicht auszudenken, was passiert, wenn eine große Anzahl Islamisten aus dem Camp entkommen könnten.

Und dieses Szenario ist derzeit wahrscheinlicher als je zuvor. Denn: Die Kapazitäten der SDF sind durch die türkischen Angriffe erschöpft. Zwischenzeitlich pausierte sie deshalb bereits gemeinsame Operationen mit der internationalen Allianz gegen den IS.

Auch der Westen begünstigt den IS

Um ein komplettes Wiedererstarken des IS zu verhindern, muss die Internationale Gemeinschaft jetzt schnell handeln. Deutschland und die EU-Staaten müssen jetzt mit gutem Beispiel vorangehen. Sie müssen jetzt Druck auf die Türkei machen, ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sofort zu beenden – statt halbherziger Mahnungen müssen auch Sanktionen erwogen werden. Zudem müssen sofort die deutschen IS-Kämpfer und Sympathisant*innen aus dem Al-Hol-Camp zurück nach Deutschland geholt und hier vor Gericht gestellt werden. Würden alle Staaten so handeln, könnte dem IS bereits ein wichtiger Teil seiner noch inhaftierten Unterstützer*innen entzogen werden. Die Zeit drängt.