Folter in Syrien: Und die Welt sah zu – jahrzehntelang

Eine Recherche von Amnesty International beleuchtet die Zustände im Saidnaya-Gefängnis, in dem Folter und Tod alltäglich sind. Die Verbrechen sind jedoch nichts Neues: Das Verschwindenlassen von politischen Gegnern und systematische Folter gehören seit Jahrzehnten zum Standard-Repertoire der Assad-Herrschaft.

Amnesty International und die Londoner Recherche-Agentur Forensic Architecture haben ein detailliertes digitales Model des Foltergefängnisses Saidnaya erstellt – anhand der Aussagen von Menschen, die die Folter in Saidnaya überlebten.

Auf das Überleben der Gefangenen sind die im Amnesty-Report beschriebenen Foltermethoden und Haftbedingungen nicht ausgerichtet: Nach Schätzungen des Amnesty-Rechercheteams sind seit 2011 17.723 Menschen in den Gefängnissen der syrischen Regierung ums Leben gekommen.

Die aus Syrien herausgeschmuggelten Fotos des Militärfotografen „Caesar“, dessen Aufgabe es war, die Leichen von Gefangenen zu fotografieren, gehören zu den eindrücklichsten Zeugnissen dieses Horrors. Alleine seine Bilder dokumentieren 6.786 tote Häftlinge. Die Aktivistin Sema Nassar wiederum hat zahllose Fälle von Folter und sexueller Gewalt gegen Frauen dokumentiert, viele von ihnen wurden vergewaltigt.

Die Assads und die Kontinuität der Folter

Saidnaya ist bei weitem nicht der einzige Ort, an dem das Assad-Regime systematisch foltern lässt. Als im Frühjahr 2015 die antiken Stätten Palmyras unter die Kontrolle der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gerieten und die Terroristen Videos und Fotos über die Sozialen Medien jagten, in denen sie zeigten, wie sie die historischen Bauwerke zerstörten oder das Römische Theater als Kulisse für Massenhinrichtungen missbrauchten, wurde die kleine syrische Wüstenstadt Tadmur, die an das Weltkulturerbe grenzt, weltberühmt.

Zahllose Syrer verbanden jedoch schon seit Jahrzehnten etwas ganz anderes mit dem Namen des Ortes, als eine antike Oasenstadt: Tadmur war der Standort eines der barbarischsten Gefängnisse des syrischen Regimes – bis es in die Hände des IS fiel und auch seine Gemäuer gesprengt wurden. Ein Ort, von dem die Syrer sagten, dass der, der ihn betritt, verloren ist. Und jener, der ihn verlässt, neu geboren wird. 1980, nach einem gescheiterten Attentat auf Hafez al-Assad, drangen syrische Soldaten in das Gefängnis ein und massakrierten über 1.000 wehrlose Gefangene.

Tadmur: Ein Königreich des Todes und des Wahnsinns

Der syrische Lyriker Faraj Bayrakdar, der hier ab 1988 jahrelang festgehalten wurde, nannte Tadmur einmal ein Königreich des Todes und des Wahnsinns. Nur so viel zu Essen, dass die Gefangenen nicht verhungern. Keine Besuche. Keine Medizin. Tag für Tag Folter.

Faraj, der die letzten Jahre seiner Haft in Saidnaya zubrachte, hat die Erfahrung der vierzehnjährigen Gefangenschaft in seinen Gedichten verarbeitet. Eines geht so:

Elf Wüsten geerntet,
in denen kein einziger Schatten
für eine Frau wächst.
Viertausend blinde Nächte,
in denen keine einzige Wimper
von einem Morgen funkelt,
in denen keine der hunderttausend
blutenden Stunden glänzt.
Nur Stacheln, Sand, Skorpione
und sechs Millionen Atemzüge
auf einer Messerklinge.
Trotzdem geht das Spiel weiter,
blutig und verrückt,
zwischen den Wölfen des Todes
und den Gazellen,
die nach Freiheit lechzen.

Des Vaters Erbe, neu belebt

Tadmur war 2001, während des sogenannten Damaszener Frühlings, geschlossen worden. Bashar al-Assad hatte gerade das Amt des Präsidenten von seinem Vater Hafiz geerbt. Kurz schien es so, als würde die Diktatur sich für Neues öffnen. Rasch verflüchtigten sich diese Hoffnungen.

Als 2011 die syrische Revolution ihren Anfang nahm, eröffnete das Regime das Tadmur-Gefängnis wieder: Ein unmissverständliches Signal an die Menschen, die im ganzen Land auf die Straße gingen, um für politischen Wandel einzutreten.

Die ersten unter den neuen Häftlingen waren 350 Personen, denen die Organisation von Protesten gegen das Regime zur Last gelegt wurde. Nicht „nur“ Kriminellen und Terroristen gelten die mörderischen Gefängnisse. Dichter, Anwälte, Ärzte und Intellektuelle wurden und werden hier festgehalten, wenn sie die Allmacht des Regimes in Frage zu stellen wagen. Viele von ihnen – wie Faraj oder der Autor Yassin al-Haj Saleh – sind säkulare Linke.

»Und dazwischen haben wir versucht, unsere Menschlichkeit wiederzufinden.«

Und dann gibt es da noch andere Haftanstalten. Die „Zweigstelle 215“ oder das Zentralgefängnis von Hama – überall versucht das Regime die Gefangenen mit den unmenschlichsten Methoden zu brechen. Den Menschenrechtler Mazen Darwish etwa, der der Bild-Zeitung erzählte:

„In einem Militärgefängnis, in dem ich sechs Monate lang inhaftiert war, teilte ich mir die Zelle mit 100 anderen Menschen. Wir wurden zwei Mal am Tag routinemäßig für die Folter abgeholt. Manchmal auch nachts noch einmal, das nannten sie dann ‚Party‘. Und dazwischen haben wir versucht, unsere Menschlichkeit wiederzufinden.“

Eine der notorischsten Foltermethoden nennen die Syrer „Deutscher Stuhl“, weil man sich erzählt, dass es Nazi-Schergen gewesen seien, die sie dem Regime beigebracht hätten. Männer wie Alois Brunner, die rechte Hand des Holocaust-Konstrukteurs Adolf Eichmann. Bis zu ihrem Tod hatten Brunner und andere Nazis unbehelligt in Syrien gelebt.

Beim Deutschen Stuhl wird der Gefangene auf einen leeren Metallrahmen gesetzt. Bewegliche Teile hängen daran, manchmal auch Rasierklingen an den Beinen. Die kleinste Bewegung, und sie schneiden. Dann wird der Körper des Opfers überdehnt. Atmet der Gepeinigte zu tief, bricht ihm die Wirbelsäule.

Deutschland sah zu – und schob in syrische Folterknäste ab

Im Westen wusste man, dass das Assad-Regime Gefangene foltern ließ – auch in Deutschland. Doch wurde dies geflissentlich ignoriert. 2008 schloss die Bundesregierung ein „Rückführungsübereinkommen“ mit der Assad-Regierung, um syrische Asylsuchende leichter abschieben zu können.

Im Januar 2009 trat das Abschiebe-Abkommen in Kraft. Neun Monate später wurde ein 31-jähriger Kurde nach seiner Abschiebung vom syrischen Geheimdienst einbestellt und verschwand daraufhin mehrere Wochen – ihm wurde der Anklage nach die Verbreitung „falscher Informationen“ über Syrien im Ausland vorgeworfen. Im Oktober 2009 schob man eine ganze Familie nach achtjährigem Aufenthalt in Nordrhein-Westfalen ab. Auch sie verschwand in syrischen Haftanstalten.

Im Februar 2011 wurde der damals 15-jährige Anuar Naso zusammen mit seinem Vater aus Niedersachsen nach Syrien ausgewiesen und inhaftiert. Während der Minderjährige seine vierte Woche ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft saß und misshandelt wurde, reiste eine niedersächsische Wirtschaftsdelegation mit dem damals zuständigen Staatssekretär nach Syrien, um für bessere Wirtschaftsbeziehungen zu werben. Nur eines von vielen Beispielen, wie sich Bundes- und Landesregierungen dem syrischen Regime anbiederten.

Folter und Verschwindenlassen im Libanon

Nicht nur Syrer mussten die Hölle von Assads Gefängnissen durchleben. Im Frühjahr 2016 sprach ich in Beirut mit dem libanesischen Aktivisten Ghazi. Seit fast 30 Jahren arbeitet er unermüdlich daran, das Schicksal von tausenden Menschen aufzuklären, die während des libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990) sowie der Zeit der syrischen Besatzung des Landes (1976-2005) verschwunden waren.

Für mehr als 600 noch immer nicht geklärte, namentlich bekannte Fälle ist Damaskus verantwortlich. Bei einigen leben die Familien seit Jahrzehnten in Unwissenheit über den Verbleib ihrer Angehörigen. Andere kehrten zurück nach Hause. Sie heißen Ali, Elias oder Moussa und saßen zwischen neun und 17 Jahren in syrischen Gefängnissen – oft in Tadmur.

Als ich den libanesischen Aktivisten Ghazi auf Tadmur ansprach, schwieg er lange und sein Blick schweifte ab. „Entschuldigung“, sagte er dann. Er hatte sich an die Schilderungen der Überlebenden erinnert. An Männer, die plötzlich wie Kinder in Tränen ausgebrochen waren.

Jan-Niklas Kniewel