Giftgasangriff in Douma: Kritische Anmerkungen zur Berichterstattung

JournalistInnen haben einen schweren Job, sie arbeiten unter hohem Zeitdruck, sind oft für breit gefächerte Themen zuständig und werden selbst dann, wenn sie sehr gute Arbeit machen, von vielen Seiten heftig kritisiert. Pauschale Medienschelte liegt uns daher fern. Aber im Fall der Berichterstattung über den Giftgasangriff in Douma können wir auf kritische Anmerkungen nicht verzichten – und hoffen, sie finden in der ein oder anderen Redaktion Gehör.

Die Berichterstattung über den Giftgasanschlag stellt JournalistInnen vor mehrere Herausforderungen, die nicht einfach zu meistern sind – vor allem weil aktuell niemand mit Gewissheit sagen, wer für den Einsatz von Giftgas in Douma am Wochenende verantwortlich war. Die Täter zweifelsfrei festzustellen ist allerdings auch nicht Aufgabe der Medien, sondern von unabhängigen zwischenstaatlichen Ermittlungsbehörden (UN, OPCW) und im Idealfall der internationalen Justiz.

Medien übernehmen jedoch oft die Aufgabe, über vorliegende Indizien zu berichten und diese abzuwägen, damit sich die ZuschauerInnen eine Meinung bilden können. Dabei passieren schnell folgenschwere Fehler. Exemplarisch zeigen wir im folgenden fünf solcher Fehler auf, beispielhaft anhand eines Berichts des ZDF Morgenmagazin – ähnliches trifft im Fall der Sendung des ARD-Mittagsmagazins vom 10. April zu. Da dieselben oder ähnliche Fehler auch vielen anderen Berichten über den Giftgasangriff in Douma unterlaufen sind, machen wir an dieser Stelle im Sinne einer konstruktiven Kritik journalistischer Arbeit auf sie aufmerksam.

Was den Bericht des Morgenmagazins prägt, ist die Unterschlagung relevanter Indizien, die Überbewertung wenig plausibler Indizien und letztlich unseriöse Spekulation – aber der Reihe nach:

1. Hintergrund der Beteiligten ausleuchten

Bei einem rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren wird anfänglich geprüft, ob die Verdächtigten aufgrund ähnlicher Taten vorbestraft sind. Auch in der Medienberichterstattung zu Kriminalfällen wird meist über den Hintergrund von mutmaßlichen Tätern berichtet und gefragt, ob die mutmaßlichen Täter bereits in der Vergangenheit ähnliche Taten begangen haben. Im Fall Douma können wir feststellen: Der Rebellenmiliz Jaysh al-Islam konnten immer wieder verschiedene Kriegsverbrechen nachgewiesen werden – ihr sind ohne weiteres auch schwere Kriegsverbrechen zuzutrauen. Der Einsatz von Giftgas wurde ihr bislang jedoch nicht nachgewiesen. Anders beim Assad-Regime: UN und OPCW haben bereits bewiesen, dass das Assad-Regime sowohl Sarin- als auch Chlorgas eingesetzt hat. Wie in einem rechtsstaatlichen Verfahren reicht das Argument, dass der mutmaßliche Täter bezüglich des selben Verbrechens bereits vorbestraft ist, natürlich nicht für eine Verurteilung aus. Dieses Indiz zu verschweigen, wie es das ZDF im Beitrag macht, verzerrt aber das Bild der ZuschauerInnen.

2. Vorsicht bei Cui-Bono-Fragen

Bei Verbrechen wird stets nach einem Motiv gefragt – so auch bei Kriegsverbrechen, meist formuliert in der Frage „Wem nützt es“. Doch wie bei gewöhnlichen Straftaten muss das Motiv auch bei Kriegsverbrechen nicht immer rationaler Natur sein. Oder es muss zumindest nicht den trivialen Motiven entsprechen, die der oberflächlich Beobachtende den Verdächtigen unterstellt. Im Falle Syriens wurde bereits bei vielen massiven Kriegsverbrehen behauptet, das Assad-Regime könne an diesen Verbrechen kein Interesse haben. So auch diesmal vom ZDF-Korrespondenten hinsichtlich des Giftgasangriffs in Douma. Wie schon bei vorangegangenen Angriffen wie jenem auf Khan Sheikhoun oder der Bombardierung eines UN-Hilfskonvois bei Aleppo kamen etliche JournalistInnen zu dem Schluss, dass diese Angriffe angeblich nicht im Interesse des Regimes wären. Beide Male stellten unabhängige UN-Untersuchungen im Nachhinein fest, dass das syrische Regime sehr wohl hinter den Angriffen steckte. Die Redaktion des ZDF-Morgenmagazins wie auch viele andere JournalistInnen hätten aus der Vergangenheit lernen können, dass oberflächliche Cui-Bono-Fragen in Bezug auf das syrische Regime nicht zielführend sind.

3. Voreingenommene Gegenüberstellungen

Zur Abwägung von Indizien kann eine Gegenüberstellung von Argumenten helfen. Eine solche wird auch im ZDF-Beitrag suggeriert. Dabei werden jedoch zwei Argumente gegenübergestellt, die zum gleichen Schluss führen: Das Argument, dass Assad kein Interesse an einer solchen Tat hätte, wird dem Argument gegenübergestellt, dass ein Giftanschlag vor allem im Interessen der Rebellen wäre. Dies ist weder Abwägung noch eine Gegenüberstellung von Argumenten. Stattdessen wird suggeriert, es gäbe nur eine mögliche Antwort: Die Rebellen müssen es gewesen sein. Hierfür gibt es allerdings – außer der Unterstellung eines Motivs – so gut wie keine Indizien.

4. Doch, es gibt gesicherte Fakten 

Immer wieder wird suggeriert, die Faktenlage in Syrien sei so unklar, dass Aufklärung ohnehin so gut wie unmöglich sei. So heißt es auch im ZDF-Beitrag: „Es hat bislang in kaum einen Fall Aufklärung gegeben“. Das ist falsch: Diverse Kriegsverbrechen, darunter auch der Einsatz von Giftgas in Syrien, sind nicht nur von nichtstaatlichen Akteuren wie Ärzte ohne Grenzen, Amnesty Internationale oder Human Rights Watch untersucht und belegt worden, sondern auch von verschiedenen unabhängigen Untersuchungskomissionen der UN. Verbrechen sowohl auf Seiten des Regimes als auch der Opposition sind gut dokumentiert. Obwohl etwa im Fall des Angriffs auf Khan Sheikhun im April 2017 nach Untersuchungen der OPCW und UN eindeutig bewiesen ist, dass es ein Giftgasangriff war, spricht der ZDF Moderator auch diesbezüglich von einem „mutmaßlichen Giftgasangriff“. Die Behauptung, dass man alles ja nicht so genau wisse, führt zu bequemer Äquidistanz – und sie schützt die Täter. Elementarer Bestandteil der Propaganda von Assad, Putin und anderen Autokraten ist es daher, möglichst viel Verwirrung und Unsicherheit zu erzeugen – und etwa zu einem Sachverhalt gleich mehrere verschiedene irreführende Theorien zu produzieren. Hauptsache: Nichts genaues weiß man nicht.

5. Unseriöse Spekulationen 

Die ZDF-Redaktion hat mit Sicherheit nicht im Sinn, Propaganda zu verbreiten. Dennoch lässt sich der ZDF-Korrespondent zur Spekulation verleiten, beim Giftgasangriff handle sich eventuell um einen Racheakt der Rebellenmiliz Jaysh al-Islam, die den Krieg um Ghouta verloren hat. Doch: So sehr der Gruppe brutale Racheakte  gegen ZivilistInnen zuzutrauen wären, so abwegig ist, dass sich diese Rache gegen ZivilistInnen im eigenen Herrschaftsgebiet richten sollte. Warum sollte die Miliz, wenn sie zu einem Giftgasangriff fähig wäre, damit nicht Menschen im vom Assad-Regime gehalten Gebiet angreifen?

So bedient sich der ZDF-Beitrag letztlich genau den Mitteln, die er selbst kritisiert. Statt auf relevante Fakten hinzuweisen – etwa dass das Assad-Regime während dieses Konflikts immer und immer wieder Chlorgas und Sarin als Kampfstoffe eingesetzt hat, was ihm von der UN auch nachgewiesen wurde – setzt es auf Spekulation. Das ist, bei allem Respekt für die schwierige Aufgabe der Medien, kein guter Journalismus.

Soweit unser Kritik exemplarisch am Beitrag des ZDF Morgenmagazins vom 09.04.2018. Leider finden sich ähnliche Muster auch in vielen anderen Beiträgen der Berichterstattung.

Abschliessende Bemerkung

Abschliessend wollen wir auf einen letzten Punkt hinweisen, denn die Berichterstattung im ARD-Mittagsmagazin vom 10.04.2018 hat noch einen viel problematischeren Punkt aufgeworfen.

Dort kam Günter Meyer von der Universität Mainz zu Wort. Dass angesichts der schwierigen und komplexen Zusammenhänge in Syrien immer wieder ExpertInnen hinzugezogen werden, um die Sachlagen zu erläutern, ist verständlich. Doch nicht nur bei der Auswahl, sondern auch bei der Befragung dieser Experten gehört es zur journalistischen Redlichkeit, die Argumente der Expertin oder des Experten zu überprüfen.

Im ARD-Mittagsmagazin fand dies nicht statt. Zwar ist verständlich, dass Meyer aufgrund seines wissenschaftlichen Titels erstmal als seriös erscheint, aber dennoch hätte spätestens bei Meyers These, dass es sich bei dem Giftgaseinsatz um eine Inszenierung handele, eine Nachfrage erfolgen müssen auf welche Beweise er sich hierfür stützt. Auch auf seine These, dass die Bilder des Giftgaseinsatzes in Douma vor Wochen von den Weißhelmen in Idlib aufgenommen worden wären und das es sich bei den Weißhelmen um eine Organisation handele, deren Hauptziel die Inszenierung von Gräueltaten sei, folgte keinerlei kritische Rückfragen oder Korrektur. Erneut fällt auf, dass auch hier der vermeintliche Experte nicht erwähnt, dass UN und OPCW das Assad-Regime bereits mehrfach für den Einsatz von Giftgas verantwortlich gemacht haben. Auch die Aussage Meyers, dass es in Syrien bereits mehrfach zu Chemiewaffenangriffe durch Rebellen unter falsche Flagge gekommen sei, wird nicht kritisch hinterfragt. Dabei hatte sich das SWR-Magazin Report Mainz schon vor Jahren Meyers unseriösen Methoden gewidmet.

Dass Herr Meyer tags darauf erneut im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – diesmal bei HR-Info – seine Thesen ohne jede kritische Nachfrage wiederholen konnte, ist ein herber Rückschlag für die Versachlichung der Debatte.