Entführung von Razan Zaitouneh: „Deutschland muss Druck machen“

Seit dem 10. Dezember ist die syrische Menschenrechtsanwältin & Aktivistin Razan Zaitouneh verschwunden. Sie wurde zusammen mit drei ihrer MitarbeiterInnen in Douma, einem von der Opposition kontrollierten Vorort von Damaskus, entführt. Bislang gibt es keine Hinweise auf die Täter. Adopt a Revolution arbeitet seit Ende 2011 eng mit Zaitouneh zusammen. Pelican Mourad hat das Engagement […]

Seit dem 10. Dezember ist die syrische Menschenrechtsanwältin & Aktivistin Razan Zaitouneh verschwunden. Sie wurde zusammen mit drei ihrer MitarbeiterInnen in Douma, einem von der Opposition kontrollierten Vorort von Damaskus, entführt. Bislang gibt es keine Hinweise auf die Täter. Adopt a Revolution arbeitet seit Ende 2011 eng mit Zaitouneh zusammen.

Pelican Mourad hat das Engagement von Razan Zaitouneh aus nächster Nähe verfolgt. Sie arbeitet beim Goethe-Institut Damaskus und kennt Razan aus nächster Nähe. Wir dokumentieren das Interview von Bente Scheller, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, mit Mourad.

Wie haben Sie Razan Zeitounehs Wirken über die Jahre mitverfolgt? Welchen Rückhalt hat sie in der Bevölkerung?

Razan Zeitouneh habe ich bereits vor Beginn der Revolution persönlich kennen gelernt, als sie mit einer Gruppe von syrischen Anwälten meinen Ehemann vor Gericht verteidigt hat. Das Regime hatte ihn wegen seiner politischen Meinung inhaftiert und vor Gericht gestellt.

Razan und ihre Kollegen haben sich schon damals für Menschenrechte stark gemacht, indem sie politische Gefangene unabhängig von deren politischer Gesinnung vor syrischen Gerichten vertraten.

Als Konsequenz daraus verschwand einer der Anwälte, Khalil Maatouq bereits vor mehr als einem Jahr und wird bis heute vermisst. Die Regierung weist jegliche Verantwortung dafür von sich.

Ein weiterer Kollege, Anwar al Bunni, war zuvor zu fünf Jahren Haftstrafe verurteilt worden, aus der er mittlerweile entlassen wurde. Bis heute steht Anwar al Bunni mutig zu den politischen Gefangenen und setzt sich für deren Rechte in Damaskus ein –  trotz allem, was wir über die Brutalität des Regimes hören.

Mit Beginn der Revolution in Syrien übernahm Razan Zeitouneh die wichtige Aufgabe, die Entwicklungen auf der Straße zu dokumentieren – zunächst auf ihrer Facebook-Seite. Nach kurzer Zeit wurde ihre Seite zur zentralen Datenquelle über die Revolution in Syrien. Jeder, der auf der Suche nach verlässlichen und genauen Informationen war, suchte auf ihrer Seite. In enger Zusammenarbeit mit den lokalen Koordinationsbüros (LCC) in ganz Syrien, deren Mitglied und Mitbegründerin Razan selbst war, veröffentlichte sie laufend detaillierte und akkurate Informationen zu geplanten Demonstrationen, über Teilnehmerzahlen, Verhaftungen und Opferzahlen.

Kurz darauf gründete sie gemeinsam mit weiteren Mitstreiter/innen das „Violance Documentation Centre“, wo sie zunächst die Menschenrechtsverletzungen und Gewaltanwendungen des Regimes dokumentierte. Später, nach dem Ausbruch der Gewalt, dokumentierte sie dann in gleicher Weise die Menschenrechtsverletzungen extremistischer Gruppen in Syrien. Dazu gehörte auch die Sammlung und Veröffentlichung der Namen der Getöteten sowohl durch das Regime, als auch durch die Extremisten. Diese verlässliche Dokumentation ist meiner Einschätzung nach zweifelsohne der Grund für Ihr Verschwinden.

Razans Dokumentationen haben ihr selbst in den Reihen der Opposition nicht nur Freunde gemacht. Dennoch genießt sie in den gebildeten und politisch engagierten Bevölkerungsschichten großen Respekt und großes Vertrauen.

Was für eine Bedeutung hat Razan Zeitouneh für die syrische Revolution und die Zukunft Syriens? Was macht ihre Rolle und ihre Person so besonders?

Razan ist aus meiner Sicht ein Symbol für die friedliche Revolution in Syrien. Sie ist überzeugt von der Notwendigkeit des Aufbaus eines Rechtsstaats und der Achtung von Bürgerrechten. Gemeinsam mit Samira Khalil, die bereits Ende der achtziger Jahre eine mehrjährige Haftstrafe verbüßte, und weiteren Kolleg/innen setzte sie sich stets für die Menschenrechte und die Entwicklung der Demokratie in Syrien ein. Ein Interesse an der Entführung haben aus meiner Sicht all jene, die ein realistisches Bild von den Entwicklungen in Syrien in der Öffentlichkeit und eine unabhängige Dokumentation der Geschehnisse fürchten.

Der Journalist Mazen Darwish, nach wie vor Präsident der Organisation „Syrian Center for Media and Freedom of Expression“ sitzt auch seit mehr alles einem Jahr zusammen mit weiteren Kollegen ohne Verurteilung im Staatsgefängnis. Warum?

Diese friedlichen Aktivist/innen, die für den Aufbau eines Rechtsstaats und Bürgerrechte eintreten, werden gezielt und systematisch entführt. Das Regime steuert damit die Entwicklung der Revolution für seine Zwecke: Chaos und Stärkung extremistischer Gruppen sind die Folge. Und genau darüber definiert sich die Diktatur.

In Deutschland wird die syrische Revolution oft so wahrgenommen, als gäbe es nur noch gewaltbereite Akteure in Syrien, keinen zivilen Aufstand und keine politische Opposition mehr. Wie sehen Sie das? 

Wir müssen zugeben, dass das Regime mit seiner Strategie, das Bild der syrischen Revolution zu schädigen, erfolgreich war. Das erklärt sich insbesondere aus vier Jahrzehnten Erfahrung, die das Regime in Propaganda und Steuerung der Meinungsbildung sammeln konnte. Das Regime ist gegen die Opposition. Die meisten der Oppositionellen haben die längste Zeit ihres Lebens im Gefängnis verbracht.

Das syrische Regime konnte die Entwicklungen in Tunesien, Marokko und Jemen im Detail analysieren und plante seine Strategie, lange bevor die Demonstrationen in Syrien begannen. Vom ersten Tag an hat Assad falsche Ideen über eine internationale Konspiration gegen Syrien und über islamische Terroristen, Al Qaida und einen drohenden Bürgerkrieg verbreitet. Gleichzeitig waren die Demonstrationen aber zu hundert Prozent friedlich. Die Demonstrantinnen und Demonstranten forderten Freiheit und Reformen, aber die Regierung war nicht zu den geringsten Zugeständnissen bereit, sondern reagierte stattdessen mit Gewalt.  Maskierte Bewaffnete wurden auf den Dächern der Häuser postiert, um unbewaffnete Demonstrant/innen zu töten. Zahllose Menschen wurden verhaftet und vergewaltigt. Anschließend verbreitete das Regime Filmaufnahmen von Folterungen und Erniedrigungen und versetze die Bevölkerung so in Angst und Schrecken.

Einige Soldaten, denen befohlen wurde Demonstrant/innen zu töten, desertierten und bildeten die ersten militanten Gruppen der heutigen „Free Syrian Army“. Da ihnen nach der Befehlsverweigerung die Todesstrafe drohte, war eine Rückkehr zur Armee undenkbar. Ausländische Parteien begannen individuell, einige dieser Gruppen zu bewaffnen und auszurüsten. Und so begann sich die Gewaltspirale zu drehen.

Die internationale Gemeinschaft sieht zu, wie Hunderttausende sterben und versteckt sich hinter den Vetos von Russland und China.

Wir haben gesehen, dass eine ernsthafte amerikanische Drohung ungewöhnlich schnell zur Herausgabe der chemischen Waffen führte. Deshalb glaube ich, dass die internationale Gemeinschaft ihre Pflicht nicht erfüllt und sie deshalb auch Schuld trägt. Sie erlaubt diese Massaker, ohne das syrische Volk zu schützen oder zu befreien.

Wenn man die Niederschlagung des Aufstandes in Syrien verfolgt hat, hatte man oft den Eindruck, dass insbesondere prominente friedfertige Aktivist/innen besonders hart verfolgt wurden. Deckt sich das mit ihrer Erwartung?

Ja. Oppositionelle Aktivist/innen wissen genau, dass das Regime sehr gefährlich ist und dass man ihm nicht trauen kann. Dennoch sagte Razan Zeitouneh in einem ihrer Interviews, dass sie nie daran dachte, das Land zu verlassen und dass sie die Revolution unterstützen wird, bis das syrische Volk befreit ist.

Was wünschen Sie sich von Deutschland hinsichtlich der vielen Verschwundenen in Syrien und insbesondere dieser Aktivist/innen? Sehen Sie eine Möglichkeit, dass Deutschland und die EU auf der geplanten Friedenskonferenz für Syrien „Genf 2“ im Januar mehr Druck auf das syrische Regime ausübt, damit sich die Menschenrechtslage verbessert?

Ich fordere von Deutschland und der internationalen Gemeinschaft, sich hinsichtlich der Zukunft Syriens zu einigen. Deutschland muss den Druck aufrecht erhalten, um die Inhaftierten frei zu bekommen. Das Regime kann nicht an Friedensverhandlungen teilnehmen, wenn gleichzeitig tausende von Menschen inhaftiert sind und zu Tode gefoltert werden oder wenn Menschen ohne Zugang zu Medizin und Nahrungsmitteln erniedrigt werden und zu Tode hungern. All das ist Teil der menschenverachtenden Strategie des Assad-Regimes, um den Rückhalt in der Bevölkerung für die Revolution zu brechen.

Adopt a Revolution unterstützt die Forderung nach einer sofortigen und bedingungslosen Freilassung von Razan Zaitouneh. Sie muss ihre wichtige Arbeit für die zivile Bewegung und für die Menschenrechte in Syrien fortsetzen können.

Unterstützen Sie die Arbeit der jungen syrischen Zivilgesellschaft mit Ihrer Spende!

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razan5Razan Zaitouneh, Jahrgang 1977, ist Menschenrechtsanwältin und Aktivistin der syrischen Revolution gegen das Assad-Regime. Sie ist Leiterin des Violation Documentation Centers in Syria (VDC) und Mitbegründerin des Aktivisten-Netzwerks der Lokalen Koordinationskomitees (LCC) in Syrien. Trotz Verfolgung durch das Assad-Regime und Bedrohungen durch bewaffnete Oppositionelle, wollte Razan Syrien bis zuletzt nicht verlassen. Sie lebte in Douma, einem Vorort von Damaskus, von wo aus sie gemeinsam mit ihrem Team zahlreiche Menschenrechts-Verletzungen im ganzen Land dokumentierte. Dabei kritisierte sie auch die Verbrechen der Opposition, was sie zunehmend in Konflikt mit Radikalislamisten brachte. Rami Nakhla, politischer Wegbegleiter und Vertrauter Zaitounehs seit Beginn der Revolution, bezeichnete ihre Entführung als „einen Schlag ins Gesicht, den wir brauchen, um aufzuwachen und festzustellen, was aus diesem Konflikt geworden ist. Er ist ein regionaler, sektiererischer Krieg, der die legitimen Forderungen nach Demokratie als Deckmantel verwendet – ein riesiges, blutiges Monster.“

Das Interview wurde unter eine Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Wir haben es der Website der Heinrich-Böll-Stiftung entnommen.