„Ich war voll von Adrenalin“ – Interview mit Tasnim Fared

Verkleidet als Hochzeitsgesellschaft überqueren AktivistInnen mit fünf syrischen Flüchtlingen europäische Grenzen, die für SyrerInnen eigentlich unpassierbar sind. Auf der Suche nach einem besseren Leben reisen sie von Italien nach Schweden, immer begleitet von der Kamera. Entstanden ist dabei der Dokumentarfilm „Auf der Seite der Braut“, den Adopt a Revolution in Kooperation mit Pro Asyl von […]

Verkleidet als Hochzeitsgesellschaft überqueren AktivistInnen mit fünf syrischen Flüchtlingen europäische Grenzen, die für SyrerInnen eigentlich unpassierbar sind. Auf der Suche nach einem besseren Leben reisen sie von Italien nach Schweden, immer begleitet von der Kamera. Entstanden ist dabei der Dokumentarfilm „Auf der Seite der Braut“, den Adopt a Revolution in Kooperation mit Pro Asyl von 17. bis 22. Mai in bundesweit sechs Städten zeigt. Mit auf Tour kommt die syrisch-palästinensische Aktivistin Tasnim Fared, die auf der Reise durch Europa die Rolle der Braut spielt. Wir haben mit ihr vorab über den Film gesprochen.

Wie bist Du dazu gekommen, die Hauptrolle der Braut in dem Film zu übernehmen?

tasnim3Ich fand die Idee großartig und dann war es eine ganz spontane Entscheidung. Als Gabriele, einer der Regisseure, angefragt hat, habe ich sofort zugesagt. Mir war bewusst, dass es das Risiko gibt, wegen Menschenschmuggel festgenommen zu werden. Aber diejenigen, die nach Europa nur über das Meer kommen können, müssen ein viel größeres Risiko auf sich nehmen. Ich habe einen europäischen Pass, ich kann überallhin auf der Welt reisen. Aber das Recht, sich frei bewegen zu können, darf nicht vom Pass abhängen, und es kann nicht sein, dass sich ein Kind auf der Flucht vor einem Krieg in Lebensgefahr begeben muss.

Warst Du nervös als ihr als Hochzeitsgesellschaft getarnt die Grenzen passiert habt?

Zwei Wochen nachdem in Syrien die Revolution gegen die Assad-Diktatur ausgebrochen ist, bin ich aus Italien nach Yarmouk, im Süden von Damaskus, wo ich als syrische Palästinenserin aufgewachsen bin. Ich wollte die Freiheit leben, die in diesem Aufstand steckt. Das war beeindruckend, die stärkste Zeit meines Lebens, obwohl uns das Regime sogar die Luft zum Atmen nehmen wollte. Ich habe sieben Monate Belagerung des Stadtteils durch die syrische Armee miterlebt, habe gesehen, wie Frauen an Checkpoints um Brot weinen und wie Menschen um mich herum erschossen wurden. Doch gleichzeitig habe ich noch nie so viel Solidarität zwischen Menschen erlebt, wie dort.
Dass ich selbst aus Yarmouk entkommen konnte, war Zufall, und ich hatte Glück, dass mein Name auf keiner Fahndungsliste des Regimes stand als ich Syrien in Richtung Libanon verlassen habe. Als wir den Film gedreht haben war ich erst drei Monate wieder in Italien und noch voll von Adrenalin. Nervös war ich trotzdem – besonders im Zug nach Schweden. Nach Syrien habe ich keine Angst mehr um mich selbst. Aber ich wollte, dass Manar, der Junge im Film, zur Schule gehen kann und die Chance auf ein gutes Leben bekommt.

Ist das gelungen, geht es Manar heute gut?

Manar und sein Vater Alaa al-Din haben in Schweden Asyl beantragt, wurden aber wieder nach Italien abgeschoben. Schweden musste es nicht unbedingt sein, aber ein sicherer Ort für ihn und sein Familie. Inzwischen lebt Manar mit seinem Vater in Deutschland, und seine Mutter hat es auch nach Europa geschafft. Ich denke, es geht ihnen gut.

Ihr habt Menschen beim Grenzübertritt geholfen, die das nicht dürfen und mit dem Film eure „Tat“ veröffentlicht. Fürchtest Du strafrechtliche Verfolgung?

Nein, ich glaube nicht, dass uns noch jemand belangen wird. Wir haben so viel Unterstützung erfahren, das würde sicherlich jedes Gericht beeindrucken – und eine ganze Bewegung für mehr Bewegungsfreiheit kann man nicht einsperren. Ich habe keine Angst, selbst wenn ich ins Gefängnis müsste.

tasnim2Kann der Film dazu beitragen, die Situation für Flüchtlinge in Europa zu verbessern?

Der Film? Nein, der kann nichts verändern, aber die Menschen die ihn sehen. Ich denke, der Film verändert den Blick darauf, was legal und was illegal ist und zeigt, dass Menschen nicht illegal sein können. Wir haben als Gesellschaft die Macht, die Bedingungen für Flüchtlinge zu verbessern – und aus Menschlichkeit heraus müssen wir das auch tun. Wir dürfen das Thema Bewegungsfreiheit nicht den Staaten überlassen, dafür öffnet der Film die Augen.

Was ist mit den Menschen in Syrien?

Als ich Syrien verlassen habe, dachte ich eigentlich, schon nach einer Woche wieder zu meiner Mutter zurückzukehren. Aber mir wurde in Europa schnell klar, dass wir AktivistInnen in Syrien allein gelassen werden mit der brutalen Assad-Diktatur und den möderischen Dschihadisten. Ohne Unterstützung von außen werden wir keine Lösung für diese beiden Probleme finden. Kein Wunder, dass die Menschen fliehen und sich anderswo eine Zukunft aufbauen wollen. Diese Geschichte erzählt der Film natürlich auch.

Nachdem es in den letzten Wochen so viele Tote im Mittelmeer gegeben hat, will die EU verstärkt gegen Schlepper vorgehen. Denkst Du, das kann eine erfolgreiche Strategie sein?

Die Schlepper sind schreckliche Menschen, die ich gerne im Gefängnis sehe. Sie gehen jederzeit bereitwillig das Risiko ein, dass Menschen auf der Überfahrt sterben. Aber sie spielen nur ihre Rolle im System, das von den europäischen Staaten geschaffen wird. Wenn es sonst keine Möglichkeit gibt, sich in Sicherheit zu bringen, etwa aus einem Bürgerkrieg wie in Syrien, dann schafft die Nachfrage auch ein Angebot. Deshalb sind PolitikerInnen genauso verantwortlich dafür, dass Menschen im Mittelmeer sterben – und müssten eigentlich auch ins Gefängnis.

filmposterWas war für Dich das schönste Erlebnis im Film?

Fragst Du auch, was ich am schlimmsten fand? – Das war der Grenzübergang von Italien nach Frankreich. Dort sind wir an einem verlassenen Unterschlupf von Schmugglern vorbei gekommen und haben so viele Zeichen davon gesehen, wie Menschen ihre Hoffnung auf das Leben in einem anderen Land setzen. Es war einfach bedrückend zu erkennen, was sie für diesen Traum alles aufgeben und erleiden mussten.
Das beste war natürlich, als Manar zum Schluss in Stockholm auf dem Marktplatz gerappt hat. So viele Menschen haben zugehört und wir haben gefeiert, dass wir angekommen sind. Das war einfach das beste!

In Kooperation mit Pro Asyl zeigt Adopt a Revolution den Film „Io sto con la sposa“ (Auf der Seite der Braut) von 17. bis 22. Mai in bundesweit sechs Städten: Berlin, Rostock, Hamburg, Bochum, Frankfurt/Main und Marburg. Anschließend gibt es jeweils ein Publikumsgespräch mit der Aktivistin Tasnim Fared, sowie VertreterInnen von Pro Asyl und Adopt a Revolution. Kommen Sie zu den Filmvorführungen!

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