ZDF: Weitere kritische Anmerkungen zur Syrien-Berichterstattung

Vor rund zwei Wochen, kurz nach dem Einsatz von Chemiewaffen in Douma, haben wir uns mit kritischen Anmerkungen zur Berichterstattung hiesiger Medien zu Wort gemeldet. Denn, so unklar die Umstände des Angriffs zu dem Zeitpunkt noch waren, mit ein wenig journalistischer Sorgfalt wären einige Fehler in der Berichterstattung vermeidbar gewesen. Pauschale Medienschelte liegt uns fern, aber da in der aktuellen Berichterstattung leider weiter ähnliche Fehler passieren, möchten wir noch einmal darauf hinweisen – und wollen damit zu einer besseren Berichterstattung beitragen.

Natürlich ist es für JournalistInnen nicht einfach, sich schnell ein Bild von der Lage vor Ort zu machen, wenn etwas Dramatisches wie ein Angriff mit Chemiewaffen passiert. Doch gerade weil Medien eine maßgebliche Verantwortung dafür tragen, welche Eindrücke, Hintergründe und Fakten die öffentliche Meinung prägen, haben sie eine besondere Sorgfaltspflicht. So kritisierten wir vor zwei Wochen, dass Günter Meyer von der Universität Mainz im Interview mit der ARD quasi unwidersprochen die These verbreiten konnte, der Einsatz von Chemiewaffen in Douma vom 7. April wäre von der Zivilschutzorganisation Weißhelme inszeniert. Dabei hatten die KollegInnen vom SWR Meyer bereits nach dem bisher tödlichsten Einsatz von Giftgas in Syrien im August 2013 eine Nähe zu Desinformationskampagnen und Verschwörungstheorien nachgewiesen und aufgezeigt, auf welch fragwürdige oder schlicht falsche “Indizien” er sich beruft. In der Folge haben KorrespondentInnen der ARD und JournalistInnen von HR-info auf unsere Anmerkungen reagiert – vom ZDF haben wir bislang trotz direkter Ansprache keine Antwort erhalten.

Nun hat das ZDF seinen Korrespondenten Uli Gack nach Damaskus entsandt und ihn in den heute-Nachrichten vom 20. April live von seinen Beobachtungen in Syrien berichten lassen, sowie in einem Beitrag am 22. April Augenzeugen des Angriffs zu Wort kommen lassen. Wir möchten noch einmal auf grobe inhaltliche und journalistische Fehler der beiden Beiträge hinweisen, denn wir glauben, über die Komplexität journalistischer Arbeit in Kriegsgebieten wird zu wenig gesprochen. Dabei könnte eine solche Diskussion zu einer inhaltlich besseren Berichterstattung beitragen – denn wie der oben genannte SWR-Beitrag beschreibt, wird in Syrien nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Desinformation und Zweifel gekämpft.

Bericht über die Aussagen von Augenzeugen

Natürlich ist es richtig und wichtig für einen Korrespondenten, mit Augenzeugen des Angriffs zu sprechen. So berichtet Uli Gack im Live-Gespräch vom 20. April aus Damaskus, er habe mit Personen gesprochen, die aus Douma nach al-Horjelah, südlich von Damaskus geflohen seien. Jedoch unterlaufen ihm in der Schilderung der Gespräche nicht nur inhaltliche Fehler, sondern er unterlässt es auch, die Aussagen einzuordnen – sowohl mit Fakten, die längst vorliegen, als auch in den Kontext in dem sie entstanden sind.

Zunächst berichtet Uli Gack von Zeugenaussagen, wonach der Einsatz von Giftgas vom “IS inszeniert” worden sei. Dabei – und das müsste ein Nahost-Korrespondent wissen, der in Syrien zu Ost-Ghouta arbeitet – gab es in Douma überhaupt keinen “Islamischen Staat”. Bis zuletzt verhandelte Russland mit Jaysh al-Islam (“Armee des Islams”), die sich jedoch ideologisch, strukturell und inhaltlich vom IS unterscheidet und nicht mit ihm verbandelt ist. Zwar gab es am 7. April noch IS-Kämpfer in Vorstädten von Damaskus, aber in einem völlig anderen Gebiet: Nämlich in den südlichen Vorstädten von Damaskus, nicht in den östlichen. Zwischen beiden Orten liegt vom Assad-Regime kontrolliertes Territorium. Zudem sind beide zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Giftgasangriff belagert gewesen. Somit ist der Osten aus dem Süden auch nicht erreichbar. Hätte es den “Islamischen Staat” in Ost-Ghouta gegeben, er wäre zudem mit Sicherheit ein Gegner von Jaysh al-Islam gewesen. Kämpfe zwischen beiden wären wahrscheinlich gewesen, da Jaysh al-Islam das militärische Monopol in seinem Herrschaftsgebiet beanspruchte und keine anderen Gruppen neben sich duldete.

Bilder eines eben nicht explodierten Gasbehälters in Douma. Quelle: Bellingcat.

Dann berichtet Gack auch, ihm sei “im Ton der Überzeugung” gesagt worden, islamistische Milizen hätten Chlorgasbehälter aufgestellt, die dann bei einem Angriff der syrischen Armee explodiert seien. Dabei zeigen Bilder eben dieser Behälter keine Spuren von Explosionen. Als Korrespondent, der zu dem Vorfall recherchiert, hätte er die entsprechenden Bilder kennen können, etwa aus dem Bericht des Recherchenetzwerks Bellingcat.

Die Schwierigkeit kritischer Nachfragen

Es ist eine besondere Schwierigkeit des Journalismus’ mit Augenzeugen zu arbeiten, und deren Aussagen bereits in der Befragung auf Plausibilität zu prüfen und gegebenenfalls kritisch zu hinterfragen. In einer so unklaren Situation wie rund um den Giftgas-Angriff in Douma ist dies jedoch besonders wichtig, um zur Aufklärung beizutragen. So wäre es wichtig gewesen, dass Gack die Unstimmigkeiten in den Beschreibungen der Zeugen auffallen und er seine GesprächspartnerInnen daraufhin kritisch befragt. Es ist schwer vorstellbar, dass der ZDF-Korrespondent von seinen Gesprächspartnern wissen wollte, wie sie sich sicher sein könnten, dass der Angriff inszeniert war. Aber sinnvolle Fragen könnten sein: Waren die Gesprächspartner Augenzeugen der Inszenierung? Wo hielten sie sich während des Angriffs auf die “Kommandostelle der Islamisten” auf? Können Sie die Umgebung beschreiben und stimmten diese Beschreibungen mit Bildern oder Filmmaterial von vor Ort überein? Wer war noch anwesend und kann die Darstellung bestätigen?

Auch der Kontext, in dem die Befragung stattfand, wäre wichtig darzustellen. So bezeichnet das Assad-Regime alle oppositionellen pauschal als “Terroristen” und betrachtete Ost-Ghouta jahrelang als einen Hort der Opposition. Dass diejenigen, die nach über fünf Jahren Belagerung und regelmäßigem Beschuss durch die syrische Armee aus dieser Gegend in das Herrschaftsgebiet der Assad-Diktatur zurückkehren, sich wohl kaum trauen würden, das Regime eines Kriegsverbrechens zu bezichtigen, scheint auf der Hand zu liegen – erwähnt hat es der Korrespondent in der Liveschaltung vom 20. April jedoch nicht. Stattdessen schließt Gack sein erstes Statement der Liveschaltung damit ab, dass er seinen Augenzeugen subjektive Glaubwürdigkeit bescheinigt: “Ob das alles stimmt, ich würde meine Hand nicht unbedingt für jeden Satz ins Feuer legen, aber irgendwie scheint da schon was dran zu sein.” Objektive Berichterstattung sieht jedenfalls anders aus.

Hinzu kommt, dass freie journalistische Arbeit in den vom Assad-Regime kontrollieren Gebieten nahezu unmöglich ist. In der Regel begleiten Aufpasser des Informationsministeriums Reporter und notieren Informationen zu den Interviewten. Vor diesem Hintergrund können GesprächspartnerInnen nicht frei sprechen, müssen sie doch Bestrafung fürchten. War dies hier der Fall? Standen auch Gack Aufpasser zur Seite? Wer waren seine lokalen Produzenten, die die Interviews arrangierten? Können diese unabhängig vom Regime arbeiten? Auch das wird von Gack nicht thematisiert.

In seinem Beitrag vom 22. April spricht Gack mit Augenzeugen, die am Abend des Angriffs im Krankenhaus von Douma gewesen sein wollen. Hier ist der Korrespondent kritischer und deutet an, dass die Personen sicherlich nur das sagen würden, was der Version des syrischen Regimes diene. Doch stellt sich die Frage, warum diese Personen dann überhaupt in einem rund zweiminütigen Beitrag zu Wort kommen, wenn Gacks Zusammenfassung lautet: “Was immer auch geschehen ist, wir wissen es nicht.” Denn was sein Beitrag in den heute-Nachrichten letztlich bewirkt ist, dass eine der zahlreichen Versionen der Ereignisse vom 7. April in Douma, die das Assad-Regime in die Welt gesetzt hat, ausführlich dargestellt werden – aber deren Stichhaltigkeit keinesfalls öffentlich kritisch geprüft wird.

Fazit

Absurd ist auch: Die von Gack zu Tage geförderten Informationen widersprechen nicht nur der oppositionellen Version der Ereignisse, sondern auch allen bisherigen Schilderungen Russlands und des Assad-Regimes. Ja, selbst untereinander widersprechen sich die beiden Beiträge von Gack: Sind denn nun Chlorgasbehälter explodiert, so dass es Verletzte gab, oder nicht?

Die Strategie des Assad-Regimes, nach großen, offensichtlichen Menschenrechtsverbrechen so lange Zweifel zu streuen, sich widersprechende Hypothesen aufzustellen und alternative Versionen eines Ereignisses zu verbreiten, bis jedes Faktum nur noch als eine mögliche Variante unter vielen erscheint, konnte in den letzten Jahren mehrfach beobachtet werden – ob bei den Giftgas-Angriffen im August 2013 auf Ghouta und im April 2017 auf Khan Sheikhoun oder beim Luftangriff auf einen UN-Hilfskonvoi in der Nähe von Aleppo im September 2016 (wobei in den beiden letzteren Fällen unabhängige UN-Ermittler der syrischen Luftwaffe die Verantwortung zugeschrieben haben). Nun beteiligt sich auch noch das ZDF an diesem Spiel – mit Informationen, die der Korrespondent selbst als fragwürdig einschätzt. Kein Wunder, dass russische Staatsmedien den Bericht des Korrespondenten aufgreifen und selbst verbreiten.

Sicherlich ist Auslandsberichterstattung nicht einfach, insbesondere nicht in Kriegsgebieten. Doch im Fall Syriens wird das Säen von Zweifel als Methode der Kriegsführung bewusst eingesetzt. Gerade angesichts der Kritik in der öffentlich-rechtliche Medien hierzulande stehen, sowie angesichts des Informationsauftrags, mit dem deren Finanzierung durch die Allgemeinheit gerechtfertigt wird, sollten das ZDF und sein Korrespondent Uli Gack deshalb mehr Wert auf hochwertige journalistische Arbeit legen.

Seit Anfang 2012 unterstützt Adopt a Revolution die Arbeit ziviler AktivistInnen in Syrien, die vor Ort Menschenrechte verteidigen und als BürgerjournalistInnen die Ereignisse im Land darstellen. In einer Diktatur mit staatlich gelenkten Medien ist diese Arbeit besonders wichtig. Helfen Sie mit, stärken Sie kritische Medienarbeit in Syrien!

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