Die Aktivist*innen des Frauenzenrums Idlib.

Neustart in Idlib – trotz großer Risiken

Im Frühjahr 2018 wurde unsere Partnerin Huda aus Ost-Ghouta vertrieben. Sie hat ihren Bruder verloren, Freundinnen und alles, was sie während der letzten Jahre aufgebaut hatte. In Idlib fängt sie nun wieder von vorne an, baut ein neues Frauenzentrum auf. Dabei kann auch dort alles jederzeit wieder vorbei sein. Woher nimmt sie die Kraft?

Die Aktivist*innen des Frauenzenrums Idlib.

Anfang 2018 bangten wir um das Leben vieler unserer PartnerInnen – unter anderem von Huda Khaitly, die ein von uns mehrere Jahre unterstütztes Frauenzentrum in Douma in Ost-Ghouta leitete. Ihr Zentrum bot Alphabetisierungs-, Englisch-, Computer- und Nähkurse für die ärmsten der dort lebenden Frauen an. Dies half den häufig aufgrund des Krieges früh verwitweten Frauen, eine Arbeit zu finden, um sich und die Kinder aus der größten Not zu befreien. Auch organisierten Huda und ihre Mitstreiterinnen eine Rechtsberatung für Frauen, die sie dabei unterstützte, soweit unter den gegebenen Umständen möglich ihre Rechtsansprüche durchzusetzen.

Doch Anfang 2018 – während der Hochphase der Offensive des Assad-Regimes und Russland gegen die Region – sterben in Ost-Ghouta täglich mehr als hundert Zivilisten pro Tag. Auch eine Zweigstelle von Hudas Frauenzentrum wird bei einem Luftangriff getroffen. Eine Lehrerin und drei Schülerinnen sterben. Später wird auch das Zentrum zerstört. Eine weitere Rakete reißt Hudas Bruder in den Tod, als er versucht, einen Wassertank zu reparieren. „Das ist für mich noch immer so surreal“, schrieb sie uns im Chat. „Wir saßen noch kurz davor zusammen und haben geredet.“


Huda beim beim Unterrichten eines Kurses im Frauenzentrum.

Am 7. April wird Houda noch Zeugin eines Chemiewaffenangriffs in Douma. Kurz darauf steigt sie in die Busse Richtung Idlib. Zivile AktivistInnen wie sie werden vom Assad-Regime gesucht. Ihr bleibt nur, sich im Rahmen der angeblichen “Evakuierung” nach Norden bringen zu lassen. Ihr Frauenzentrum in Ghouta liegt seitdem in Schutt und Asche. Dass es Dank Huda und ihren Mitstreiterinnen heute wieder ein solches Zentrum in Idlib gibt, grenzt an ein kleines Wunder.

Weitermachen, trotz allem

Nach dem Tod ihres Bruders im März 2018, schrieb uns Huda: „Wir ertragen alles – Bomben, Hunger, Angst. Aber der Tod, das ist zu viel. Es ist zu viel, deinen eigenen Bruder in ein Leichentuch gehüllt vor dir zu sehen. Ich kann nicht mehr stark sein. Ich bin innerlich zerbrochen.“ Die ersten zwei Monate in Idlib verbrachte sie, wie sie uns schrieb, wie gelähmt, hat nicht einmal das Haus verlassen. “Ich habe zu viel in zu kurzer Zeit verloren. Mein Bruder ist tot, meine Familie ist weiter in die Türkei geflüchtet, ich habe meine Heimat verloren und alles was wir dort in den letzten Jahren aufgebaut haben.“

Huda stand bereits auf der Liste jener PartnerInnen von Adopt a Revolution, die wir derzeit bei der Flucht ins Ausland unterstützen. Zu unserer Überraschung entschied sich Huda zu bleiben. „Nicht zuletzt hat die Erfahrung von Ost-Ghouta uns gelehrt, widerständig zu sein“, sagt Huda. „Seht Euch an, was wir dort alles unter schlimmsten Umständen erreicht haben!“ Also baut Huda ein neues Frauenzentrum in Idlib auf – das Women Support and Epowerment Center in Idlib. Wieder bieten sie Bildungsangebote an, die Frauen dazu ermächtigen sollen, sich ein bisschen mehr Unabhängigkeit zu erkämpfen. Eine der ersten Aktionen des Zentrums: Eine Kampagne gegen häusliche Gewalt. Auch psychosoziale Unterstützung steht im Zentrum ihrer Anstrengungen. „Vielen sind in den letzten Jahren Dinge passiert, die es sehr schwer machen weiter zu funktionieren und weiter Teil dieser Gesellschaft zu sein“, sagt Huda. „Dabei helfen wir ihnen.“

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Start einer Kampagne gegen Gewalt an Frauen im neuen Frauenzentrum in Idlib.
Foto: Women Support and Empowerment Center

Wir haben uns schnell entschieden, Hudas Arbeit und den Aufbau des Frauenzentrums zu unterstützen – auch wenn jederzeit wieder alles vorbei sein könnte: Ende 2018 drohte bereits eine Großoffensive des Assad-Regimes auf die von ismlamistischen Milizen dominierte Region, die UN fürchtete ein bislang beispielloses Blutbad. Ein Deal zwischen Russland und der Türkei verhinderte die Offensive, aber das Assad-Regime plant weiterhin, die Region militärisch einzunehmen. Die Offensive auf Idlib ist aufgeschoben, nicht abgeblasen. Dazu kommt, dass auch die islamistischen Milizen in Idlib ihre politischen Gegner verfolgen, die Zivilgesellschaft mit harten Repressionen überziehen und so gut wie alle Menschen die Willkür der bewaffneten Gruppen fürchten müssen.


Huda auf einer Demonstration gegen die drohende Offensive des Assad-Regimes im September 2018 in Idlib

Huda versucht angesichts der schwer einzuschätzenden Gefahren nicht so viel an die Zukunft zu denken, um in der Gegenwart couragiert handeln zu können. Wass immer passiert ließe sich kaum verhindern, längst liege alles nur noch in der Hand der Interventionsmächte. Aber deswegen die Frauen der Region allein lassen? Das kommt für Huda nicht in Frage. „Es ist auch eine Besonderheit, dass sich Adopt a Revolution immer wieder darauf einlässt, uns auch in solch einem risikoreichen Umfeld wie Idlib weiter zu unterstützen“, sagt Huda. Tatsächlich: Viele Geldgeber würden unter den gegebenen Umständen in Idlib wohl keine Investitionen wagen. Wir gehen dieses Risiko bewusst ein: Wenn Leute wie Huda den Mut haben, weiterzumachen, werden wir auch den Mut aufbringen, sie dabei weiter zu unterstützen.

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