Reisebericht Damaskus: „Mit einer SIM-Karte ist uns gut geholfen“

In einem kleinen Restaurant nahe der Damaszener Altstadt sitzen mir drei junge Männer mit funkelnden Augen gegenüber. Ja, sie alle seien Studenten, das wüssten sie voneinander und auch was sie studieren: Ingenieurwesen, Zahnmedizin und Jura. Doch ihre Namen wissen sie gegenseitig nicht und wollen sie auch nicht sagen. „Nenn‘ mich Abu Shami“, sagt der, der […]

In einem kleinen Restaurant nahe der Damaszener Altstadt sitzen mir drei junge Männer mit funkelnden Augen gegenüber. Ja, sie alle seien Studenten, das wüssten sie voneinander und auch was sie studieren: Ingenieurwesen, Zahnmedizin und Jura. Doch ihre Namen wissen sie gegenseitig nicht und wollen sie auch nicht sagen. „Nenn‘ mich Abu Shami“, sagt der, der am besten Englisch spricht, was übersetzt „Vater Damaskus“ heißt. Die Frage nach ihrem Alter verwirrt sie etwas und kurz sehen sie sich ratlos an. „Wir wissen sonst nichts voneinander“, erklärt Abu Shami. „Das ist sicherer, falls einer doch einmal festgenommen, verhört und gefoltert wird. Eigentlich machen das alle so bei uns im Komitee.“ Für ihren Besucher stellen sie dann fest, dass sie alle 23 Jahre alt sind.

Das Glühen in den Augen kommt von der spätabendlichen Demonstration, von der wir gerade zurückgekommen sind. Sie fand im innenstadtnahen Stadtteil Midan statt, der berühmt ist für Süßigkeiten und frisches Lammfleisch, die in den Geschäften entlang der Hauptstraße verkauft werden. Inzwischen sind auch die täglichen Proteste in den kleinen Gassen südlich der Stadtautobahn weithin bekannt und Abu Shami und seine Freunde tragen dazu bei, dass sie stattfinden.

Nicht einmal eine Stunde ist es her, dass die drei mich im Auto vor einem großen Hotel abgeholt haben. Mein Mobiltelefon hatten sie mir abgenommen, um den Akku herauszunehmen – als Sicherheitsmaßnahme, falls darüber der Weg des Ausländers durch die Stadt nachgezeichnet werden soll. Auf der schnellen Fahrt durch den dichten, abendlichen Verkehr bekam ich noch ein paar Hinweise, wie ich reagieren sollte, falls Polizei, Militär oder Shabiha, die berüchtigten Prügeltrupps des Regimes, auftauchen sollten. Und schon standen wir an einer Kreuzung im Gassengewirr von Midan.

Es wirkte unglaubwürdig, als Abu Shami meinte, dass hier in zwei Minuten die Demonstration beginnen sollte, denn es standen nur einige vereinzelte Menschen herum. Doch auf einmal kamen aus allen Richtungen Menschen an, vor allem Jugendliche und jüngere Männer, aber auch einige Frauen und Ältere. In wenigen Sekunden war die Kreuzung voll mit Menschen. Einige vermummten sich schnell, als die ersten Slogans gerufen wurden, um nicht von möglichen Informanten erkannt zu werden. „Einig, einig, einig, das syrische Volk ist einig!“ war der erste Ruf der durch die Gassen klang und immer weitere Menschen anzog, mitzuziehen. Es folgten Forderungen nach dem Sturz des Regimes, dem Ende der Gewalt und Flüche auf den Präsidenten.


Video von einer nächtlichen Demonstration in Midan

Lautstark und kraftvoll zog die Demonstration los und schwoll innerhalb der ersten Meter auf fast 100 Menschen an. Die Rufe hallten in den Sträßchen wider, was bei mir eine Gänsehaut hervorrief: Das sind also die Proteste, die Syrien in eine tiefe politische Krise gestürzt haben. Gleichzeitig schien unvorstellbar, dass dieser zwar laute, aber sonst völlig friedliche Protestzug von jungen Menschen eine solch harte Reaktion von Militär und Geheimdiensten provozierte: Videos von Schlägertrupps und Schüssen auf Demonstranten gingen mir durch den Kopf. Doch bei den Bewohnern von Midan schien das alles gut anzukommen: Sie grüßten aus ihren Häusern oder schlossen sich kurzerhand an.

Genauso plötzlich wie er entstanden war, löste sich der Tross wieder auf, kurz nachdem die Hauptstraße des Stadtteils erreicht war. Am Ende des Zugs erläuterte Abu Shami, dass die 20 Posten, die am Rand des Viertels aufgestellt worden waren, zwar noch nicht gemeldet hatten, das Sicherheitskräfte unterwegs waren. Aber erfahrungsgemäß würde es sich nur noch um Minuten handeln, bis die ersten Schüsse fallen würden. Auf ein Zeichen hin verteilten sich die Protestierenden wieder in die Nebengassen und alles war vorbei.

Im Restaurant erklärt Abu Shami, dass er selbst überrascht ist, wie viele Menschen bei der Demo waren. „Wir hatten erst eine Stunde vorher über unsere verborgene Facebook-Gruppe dazu aufgerufen. Und natürlich trauen sich viele so spät am Abend nicht mehr aus den Häusern, deswegen waren es so wenige Frauen.“ Zu Beginn des Aufstand im März und April letzten Jahres sei das noch ganz anders gewesen, in Midan ist eigentlich erst spät am Abend richtig viel los in den Straßen.

Studenten sind die drei nur noch offiziell, an der Uni waren sie schon lange nicht mehr: Einer gibt zu, noch bis in den Juni letzten Jahres studiert zu haben, sogar seine Prüfungen habe er noch abgelegt. Die anderen beiden sind von Anfang an dabei und organisieren Demonstrationen in Midan. Dafür mussten sie in den Untergrund gehen, hüten sich vor Polizeikontrollen und können auch nicht mehr zur Uni, weil sie dort erkannt und festgenommen werden könnten. „Wir riskieren den Studienabschluss und vielleicht sogar unser Leben, aber wenn wir Freiheit und Menschenwürde wollen, muss irgendjemand dafür kämpfen. In Midan machen das eben wir.“

Opfer für die Revolution müssen in Damaskus fast alle bringen: Wegen der Wirtschaftssanktionen haben sich die Lebensmittelpreise verdoppelt, für Gas zum Kochen muss man stundenlang Schlange stehen. Und im Basar bittet mich ein Händler eindringlich, ihm doch irgendetwas von seinem Kunsthandwerk abzukaufen. Auf die ohnehin günstigen Preise würde er mir noch einmal 50 Prozent Preisnachlass geben, denn in diesem Jahr hat er noch rein gar nichts verkauft. Seit die Touristen ausbleiben muss jetzt schon sein Bruder, der als Taxifahrer arbeitet, aushelfen. Vor einem Jahr sei das noch andersherum gewesen. Jetzt müssen die Familienstrukturen hier den Sozialstaat ersetzen.

Auch im Vorort Duma, nur 20 Autominuten von der malerischen Altstadt entfernt, hat die Revolution ihre Unschuld bereits verloren. Hier ist sie zum Bürgerkrieg geworden. Wer nachts, wenn es ruhig wird, im Zentrum auf der Dachterrasse sitzt, kann von dort entfernte Schüsse hören. Das geht schon seit einem halben Jahr so. Trotzdem war Abu Shami noch vor Kurzem mit einem Kommilitonen dort, der im Komitee von Duma aktiv ist. Er berichtet, dass es auch dort täglich Demonstrationen gibt, die aber ganz anders verlaufen, als in Midan. Dort können die Menschen nachts stundenlang Fahnen schwenken, denn wenn es dunkel wird ziehen sich die Sicherheitskräfte aus der Stadt zurück. Stattdessen patrouilliert die Freie Syrische Armee durch die Straßen und schießt zurück, wenn die Scharfschützen von den Dächern angreifen. So verhindern die Desserteure, dass die Proteste direkt angegriffen werden.


Große Demonstration in Duma, während in der Nähe geschossen wird

Die Demonstrationen in Duma sind genauso wie die anschließenden Feuergefechte häufig auf den Satellitensendern Al Arabia und Al Jazeera zu sehen. Manchmal gelingen sogar Liveübertragungen, wenn die Störsender der Armee abgeschaltet sind. Im staatlichen Fernsehen statt der Proteste die Särge derjenigen gezeigt, die bei einem großen Bombenanschlag an der Stadtautobahn ums Leben gekommen sind. Abu Shami wehrt sich dagegen, dass die unbewaffnete Opposition oder radikale Islamisten die Verantwortung für solche Anschläge trügen. „Seit Monaten gibt es Attentate, die uns in die Schuhe geschoben werden sollen. Doch selbst die Radikalsten in der Opposition können nicht ohne Unterstützung des Geheimdiensts einfach eine Bombe durch die Checkpoints schleusen, die überall entlang der Stadtautobahn den Verkehr kontrollieren. Das Regime ist zumindest Mitwisser, wenn nicht sogar Initiator dieser Bomben.“

Auf die Frage, wie es mit dem Aufstand weitergehen wird, hat Abu Shami seine Antwort sofort parat: „Die Lage darf nicht noch weiter eskalieren, die Situation in Duma ist jetzt schon sehr schlimm. Doch wir können nicht aufhören, wir haben zu viel zu verlieren. Wir werden weiter protestieren und noch mehr Menschen in Midan und ganz Damaskus auf die Straße bringen. Mit unserem friedlichen Protest sind wir schon sehr weit gekommen, jetzt müssen sind es nicht mehr viele Schritte, bis wir unser Ziel erreicht haben.“

Zum Abschied wünschen sich die drei Aktivisten noch, dass ich ihnen mein Handy schenke, bevor ich Syrien verlasse. Für die meisten sind Lebensmittel und Unterkunft kein Problem, denn sie werden eingeladen, mit FreundInnen zu Essen oder bei ihnen zu übernachten. Doch für eine SIM-Karte müssen SyrerInnen ihre Fingerabdrücke abgeben und Geld für Internet- und Telefongebühren hat auch kaum noch jemand. „Mit einer gut aufgeladenen SIM-Karte ist uns viel geholfen!“

Das Komitee Midan unterstützen!

Das Komitee Duma unterstützen!

Aus Sicherheitsgründen haben wir in Syrien keine eigenen Videos von Demonstrationen gemacht. Die AktivistInnen wissen besser, welche Bilder gezeigt werden können und welche nicht. Außerdem werden Ausländer, die mit solchem Material aufgegriffen werden, häufig inhaftiert.