
Es ist eine humanitäre Katastrophe. Im ganzen Gouvernement fehlt es an Wasser und Strom. Die Krankenhäuser können nicht operieren. Insgesamt gibt es sehr wenig zu essen. Die Toten können nicht bestattet werden und es drohen sich dadurch Krankheiten zu verbreiten.Partner aus Suweida
Seit dem Gewaltausbruch in Suweida sind bis zu 100.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden, viele haben Familienangehörige verloren oder befinden sich auf der Flucht. Schwer von der Gewalt betroffen sind die drusische als auch die beduinische Bevölkerung im Süden Syriens. Sie berichten von Hinrichtungen, Blockade, Zwangsvertreibung und humanitärer Katastrophe. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind unbewaffnet, ungeschützt und sind zwischen die Fronten geraten, in einem Konflikt, der immer weniger Raum für Menschlichkeit lässt.
Wer trägt die Schuld?
Betroffene haben nun große Angst um ihr Leben und vor weiteren identitätsbasierten Verbrechen. Denn die Gewalt geht von mehreren Seiten aus. Von der Regierung fühlen sich die Drus*innen verraten. Machthaber Al-Sharaa versprach allen Minderheiten Syriens Schutz, doch dieses Versprechen deckt sich nicht mit der Realität.
Unter den bewaffneten Kämpfern in Suweida befanden sich laut Berichten auch jihadistische Gruppen, die teilweise aus anderen Landesteilen stammen. Sie sollen an schweren Menschenrechtsverletzungen gegen Drus*innen beteiligt gewesen sein. Auf einzelnen Aufnahmen sind zudem offiziell Uniformierte zu sehen, was wiederholt die Vermutung einer Beteiligung staatlicher Kräfte nahelegt.
Gleichzeitig wird auch drusische Milizen vorgeworfen, schwere Gewalttaten gegen Zivilist*innen aus der beduinischen Bevölkerung ausgeübt und Tausende von ihnen festgesetzt zu haben. Im Zuge eines Waffenstillstands wurden Tausende Beduin*innen aus Suweida evakuiert – unter großem Druck und mit ungewisser Rückkehrperspektive. Für alle Betroffenen steht derzeit nur eines im Vordergrund: Überleben – und ihre Familien in Sicherheit bringen.

Die Gründe für die Gewalt sind aber weitaus komplexer, wie ein Partner von Adopt a Revolution betont:
Zwar ist der unmittelbare Antrieb der Gewalteskalation oft konfessionell oder identitär geprägt – im Kern geht es aber darum, wie stark die verschiedenen Akteure in Syrien aufgrund von Krieg und Diktatur an Gewalt und Kriminalität als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen gewöhnt sind. Auf beiden Seiten befinden sich zum Beispiel auch Kämpfer, die nach dem Sturz des Regimes aus dessen Sicherheitsapparaten in andere Strukturen integriert wurden – die schrecklichen Gewaltverbrechen, die wir in Sweida sehen, tragen nicht nur die Handschrift islamistischer Gruppen wie dem IS, sondern auch die der Foltergefängnisse des Regimes. Genau deshalb braucht es Rechenschaft – denn echte Aufarbeitung existiert im syrischen Kontext bislang kaum.
Partner aus Syrien
Angesichts der Brutalität, mit der auch staatliche Kräfte in Suweida agierten, wird die Kritik an der syrischen Regierung ohrenbetäubend laut. Viele Aktivist*innen sehen sie längst nicht mehr als legitime Schutzmacht – sondern als zentralen Teil des Problems. Ein Partner aus Suweida bringt die Forderung nach tiefgreifender Veränderung auf den Punkt:
Es müssen jetzt dringend Gesetze erlassen werden, die identitätsbasierte Hetze unter Strafe stellen. Die Rolle einer unabhängigen Justiz muss gestärkt werden, die als höchste Instanz im Land fungiert – im Gegensatz zur heutigen Situation, in der der Präsident die Justizkommission bestimmt und niemand ihn zur Rechenschaft ziehen kann.
Diese Stimmen zeigen deutlich: Eine nachhaltige Lösung für Suweida – und für Syrien insgesamt – ist nur möglich, wenn Machtmissbrauch, Straflosigkeit und staatlich gestützte Gewalt endlich benannt und bekämpft werden.
Wie wir helfen können
In dieser schmerzhaften Zeit stehen wir Zivilist*innen und der Zivilgesellschaft eng zur Seite. Mehrere unserer Partner*innen leisten derzeit vor Ort Nothilfe, um Lebensmittelpakete und andere essentielle Güter in das Gebiet zu bringen. Sie versorgen Vertriebene und Verwundete aller Gemeinschaften an den humanitären Übergängen Richtung Damaskus. Sie leisten psychosoziale Unterstützung für traumatisierte Opfer und Angehörige.
Wir bereiten Unterkünfte für die Vertriebenen aus Suweida vor – die meisten von ihnen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen. Viele sind in einem sehr schlechten psychischen Zustand. Einige wurden zuvor inhaftiert und auf unterschiedliche Weise misshandelt. Kinder sprechen kein Wort mehr, viele Frauen haben Erniedrigung und Androhung sexualisierter Gewalt erlebt.
Partnerin in Syrien
Unsere Partner*innen und andere zivilgesellschaftliche Gruppen sind diejenigen, die sich gegenüber Entscheidungsträger*innen und im öffentlichen Diskurs eine Deeskalation der Situation einsetzen. Sie sind die mutigen, progressiven Stimmen, die Syrien jetzt dringend braucht. Ihre Stärke liegt darin, sich über konfessionelle und identitäre Grenzen hinweg zu vernetzen und einander die Hand zu reichen. Dafür brauchen sie unsere kontinuierliche Unterstützung.
Die Zivilgesellschaft sollte ihre Aufmerksamkeit jetzt auf Suweida richten – es geht darum, Zivilist*innen zu schützen. Ich glaube, dass unsere Präsenz vor Ort ein wichtiges Zeichen ist. Denn wir sind ein diverses Team, und genau diese Vielfalt zeigt den Menschen in Suweida: Wir Syrer*innen stehen füreinander ein – unabhängig von Konfession oder Herkunft.
Partnerin aus Syrien
Die Gewaltausbrüche – zuerst an der Küste, jetzt in Suweida – machen deutlich: Es braucht eine starke, handlungsfähige Zivilgesellschaft. Helfen Sie mit, dieses Fundament zu stärken, wenn möglich auch durch eine Dauerspende für nachhaltige Veränderung in Syrien.