Fast genau ein Jahr ist es her, dass die ISIS-Terrormilizen in der Provinz Aleppo auf Facebook eine Fahndungsliste mit 13 Namen veröffentlichen. An sechster Stelle steht der Aktivist Fayez Ramadan. Er sollte dafür geköpft werden, dass er angeblich gegen Gott gelästert hat. Doch heute steht er bei uns im Büro von Adopt a Revolution – und berichtet von einem äußerst ereignisreichen Jahr.
Lange war Fayez Koordinator einer Gruppe junger AktivistInnen, die sich vor allem das Ziel gesetzt haben, Menschenrechtsverbrechen in ihrer Heimatstadt Menbej zu dokumentieren. Nachdem sich das Assad-Regime aus der Gegend zurückgezogen hatte, begannen sie, das Ziel zu verfolgen, Angebote für Kinder und Jugendliche anzubieten, damit diese nicht von den Islamisten angeworben werden. Sie organisieren Theaterprojekte, richten Schulen wieder ein und geben Nachhilfeunterricht. Mit einem Aufruf zum Blutspenden unterstützen sie die medizinische Versorgung der Stadt und in der Innenstadt stellen sie Schilder auf, um den Verkehr zu regeln.
Als die Dschihadisten kommen, besetzen sie als erstes sie die Getreidemühle und Bäckerei der Stadt mit 100.000 EinwohnerInnen. Mit diesem strategischen Vorgehen gelingt es ihnen binnen Wochen, die lokalen bewaffneten Kräfte von ihnen abhängig zu machen – und sie schließlich nach einer kurzen Schlacht aus der Stadt zu vertreiben. Zu diesem Zeitpunkt hat Fayez mit seinen FreundInnen längst mit Unterstützung von Adopt a Revolution ein Zentrum für Zivilgesellschaft aufgebaut und den Sender für ein lokales Radio aufgestellt, der aus Mitteln der deutschen Bundesregierung finanziert wurde. In dem Moment, als er von der Fahndungsliste im Internet erfährt, verabschiedet er sich knapp von seinen Eltern. Denn er hat Bilder von abgetrennten Köpfen gesehen, die ISIS an die Verwandten von gesuchten AktivistInnen gschickt hatte. Nur ein paar Wochen will er sich in der Türkei in Sicherheit bringen, dann werden die Dschihadisten wieder aus der Stadt vertrieben worden sein.
Dort bleibt er aktiv, organisiert unter anderem einen Generalstreik aller GeschäftsinhaberInnen gegen die Dschihadisten. Er steht weiterhin in Kontakt mit seinen KollegInnen vor Ort und weiß über alles Bescheid, was dort passiert. Doch direkt an der Grenze zu Syrien zu leben, ohne dorthin zurückkehren zu können, macht ihn unglücklich, zudem fehlt ihm hier jede Perspektive. Fayez beschließt, sein Glück in Europa zu suchen, um aus gesicherten Verhältnissen heraus weiter für seine Heimatstadt Menbej aktiv bleiben zu können.
Nachdem er mehrfach versucht hat, über die Botschaft in Ankara ein Visum für Deutschland zu bekommen, aber jedes Mal abgelehnt wurde, macht er sich im Sommer 2014 ohne gültige Papiere auf den Weg. Aus der Südtürkei gelangte er über Istanbul mit einem Boot nach Griechenland. „Das Boot wurde so von den Wellen herumgeschaukelt, dass ich dachte, wir würden kentern und ich ertrinken“, erzählt Fayez. „Aber da wusste ich noch nicht, wie es weitergehen würde.“
Für zwei Wochen saß er in einem griechischen Gefängnis, dann wurde er freigelassen und machte sich bald auf den Weg über Mazedonien nach Serbien. Zwei Mal wurde er dort aufgegriffen und eingesperrt, beide Male nicht, ohne von den PolizistInnen geschlagen und misshandelt worden zu sein. Vor dem zweiten Versuch wurde er bereits von GrenzschützerInnen im Unterholz zusammengeschlagen, wo er mit einer Gruppe anderer Flüchtlinge im Spätherbst ohne Schutz im Freien campierte. Glücklicherweise trug er nur ein paar Schrammen davon.
Nach der zweiten Haftentlassung hat Fayez 48 Stunden, um das Land zu verlassen – und versucht es Richtung Rumänien. Alle anderen Optionen wären nicht besser gewesen. Wieder wird er aufgegriffen und so lange eingesperrt, bis er offiziell Asyl beantragt und seine Fingerabdrücke abgibt. „Doch was hätte mir Rumänien bieten können?“, fragt er und stellt fest:„In Syrien bekam ich Geld für mein Projekt aus Deutschland, doch als es mir an den Kragen gehen sollte, wollte mich Europa einfach nicht mehr haben.“
Kurz hatte Fayez überlegt, einfach zurück in die Türkei zu fahren, nachdem er über 3.000 geliehene Euro für Schlepper ausgegeben hatte. Doch er versuchte es ein weiteres Mal und nach vier schrecklichen Monaten kam er schließlich in Deutschland an – wo er abermals Asyl beantragt.
Als er im Adopt a Revolution-Büro sitzt, ist sein Asylantrag noch nicht entschieden. Fayez ist noch nicht wieder mit dem Europa versöhnt, das ihn erst unterstützt hat, aber dann seine Einreise so unendlich erschwert hat. Aber er ist zuversichtlich, dass er von hier aus weiter etwas für seine KollegInnen unternehmen kann. Etwa für Aziz, seinen Freund, der kurz nach seiner Flucht von ISIS gefangen genommen worden war. Und sollten sich genug mutige Freiwillige finden, will er auch einen neuen Generalstreik gegen die Radikalen anzetteln.
Bereits seit 2011 unterstützt Adopt a Revolution die Arbeit lokaler Komitees und ziviler Projekte in Syrien. Die syrische Zivilgesellschaft verdient weiterhin unsere Solidarität. Helfen auch Sie mit, die Arbeit unserer PartnerInnen zu stärken!