Weltweit erster Prozess gegen Assad Schergen

Heute beginnt in Koblenz der weltweit erste Prozess gegen Folterer des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es geht um viel mehr als um die beiden Angeklagten. Die Politik und die Justiz müssen Konsequenzen ziehen.

Ab heute wird den beiden in Deutschland lebenden Syrern Anwar R. und Eyad A. in Koblenz vor dem Oberlandesgericht der Prozess gemacht. Beide waren Mitarbeiter des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats von Syriens Präsident Baschar al-Assad und zwischen Anfang 2011 und Ende 2012 in einer Haftanstalt der sogenannten al-Kathib-Abteilung tätig.

Anwar R. (57) werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen – konkret die Mittäterschaft an der Folter von mindestens 4.000 Menschen sowie 58-facher Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung. Beim zweiten Angeklagten Eyad A. handelt es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter von Anwar R., dem Beihilfe zu Folter in mindestens 30 Fällen vorgeworfen werden – er hat mutmaßlich Demonstrierende festgenommen, um sie in die von Anwar R. befehligte Haftanstalt zu überbringen. 

Die Verbrechen gehen weiter

Die Bedeutung des Prozesses vor dem Oberlandesgericht geht weiter über die beiden konkreten Anklagen hinaus. Das Gerichtsverfahren findet weltweit Beachtung, weil es der international das erste solche Verfahren, um die Straflosigkeit der Verbrechen des Assad-Regimes zu beenden. Bislang blieben die von Assads Geheimdiensten und regimeloyalen Bewaffneten begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit straflos. 

Das bedeutet nicht nur, dass die Opfer bislang vergeblich auf Gerechtigkeit warteten, sondern dass die Täter ungehindert weitermachen: Das Verbrechen, an dem sich Anwar R. und Eyad A. mutmaßlich beteiligten  – die systematische Folter und Tötungen von willkürlich inhaftierten Menschen in Syrien – dauert bis heute an. 

Noch immer sind rund 130.000 Menschen in den Verliesen des Assad-Regimes inhaftiert und werden weiterhin gefoltert. Rund 84.000 der Inhaftierten gelten als „verschwunden“, bei ihnen ist nicht sicher, ob sie überhaupt noch leben (vgl. SNHR). 

Abschiebungsdiskussion offenbart Ignoranz und Zynismus

Dass in Deutschland und anderen europäischen Staaten über Abschiebungen nach Syrien diskutiert wird, obwohl die Verbrechen in Assads Gefängnissen bereits umfangreich dokumentiert sind, ist einfach nur zynisch. Es ist zu befürchten, dass die Innenminister der Länder bei ihrer nächsten Konferenz (IMK) Mitte Juni den Abschiebungsstopp nach Syrien aufweichen oder gar auslaufen lassen. Auf der letzten IMK im Dezember 2019 forderten die Innenminister der Bundesländer die Bundesregierung auf, Voraussetzungen für Abschiebungen nach Syrien zu schaffen. 

Keine Abschiebungen nach Syrien! – Unterzeichnen Sie unsere Petition an die Innenminister!

Nicht nur würden im Fall von Abschiebungen Menschen der akuten Gefahr von Folter und menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt. De facto würde die Vorbereitung von Abschiebungen bedeuten, dass die Bundesregierung aktiv mit Behörden des Folterstaats Syrien in Kontakt tritt, die personell und strukturell engstens mit den Geheimdiensten verbunden sind, deren Mitarbeiter nun hier in Deutschland wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht steht. Syrien ist ein Geheimdienst- und ein Folterstaat.

Vor diesem Hintergrund sei den zuständigen Bundesbehörden wie Landesinnenministern geraten, den Prozess in Koblenz genau zu verfolgen und sich klar zu machen, worauf sie sich mit Syrien-Abschiebungen einließen: Auf eine Kooperation mit einem der schlimmsten Folterstaaten weltweit, um an diesen Menschen auszuliefern. 

Folter von Abgeschobenen? Schon passiert

Dass sich die Abschiebungsdiskussion bislang „nur“ um Syrer*innen dreht, die schwere Straftaten begangen haben, als „Gefährder“ eingestuft wurden oder sich zwischenzeitlich in Syrien aufgehalten haben („Heimatbesucher“) macht die Sache nicht besser. Der Schutz vor Folter und erniedrigender Behandlung, der unter anderem in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird, gilt selbst für Schwerstkriminelle. 

Menschen, die nach Syrien abgeschoben werden, unterliegen einem hohen Folterrisiko. Generell droht allen Menschen in Syrien willkürliche Verhaftung und Folter, denen eine oppositionelle Gesinnung auch nur unterstellt werden kann – eine Denunziation oder ein Verdacht reichen aus. Nicht selten landen Menschen aufgrund von Verwechslungen in Haft. Verhaftungen erfolgen nicht selten auch nur, um Gelder für die Freilassung zu erpressen. Sollte künftig aus Deutschland abgeschoben werden, werden sich die Betroffenen nun mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Verdacht ausgesetzt sehen, islamistische Gefährder oder schwerkriminell zu sein. 

Übrigens: Vor 2011 wurden mehrmals syrische Staatsbürger nach Syrien abgeschoben und dort inhaftiert und gefoltert – das darf sich niemals wiederholen.

Der Prozess wird nicht der letzte bleiben

Der Prozess gegen Anwar R und Eyad A. ist nur der Auftakt. Mehr als 50 Syrer*innen – Folterüberlebende, Angehörige, Aktivist*innen und Anwält*innen haben mit Unterstützung des ECCHR seit 2016 in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen zahlreiche Klagen eingereicht gegen Bedienstete des Assad-Regimes und andere Akteure, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden. 

Obwohl es an sich bereits ein Erfolg ist, dass dieser Prozess stattfindet, bleiben kritische Fragen: So sitzen auf der Anklagebank zwei Deserteure, die spätestens Ende 2012 zur Opposition übergelaufen waren. So wichtig es ist, dass deren Taten aufgeklärt werden: Festnahmen von Assad-Loyalisten gibt es bislang keine.

Denn selbst wenn gegen den ehemaligen Chef des Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan auf Betreiben der Bundesstaatsanwaltschaft ein internationaler Haftbefehl ausgestellt ist, konnte sich dieser mehrmals im Libanon medizinisch behandeln lassen, ohne behelligt zu werden. Und selbst Ali Mamlouk, der mächtigste Mann der syrischen Geheimdienste, reiste noch 2018 nach Rom, um dort politische Gespräche zu führen – allen Sanktionen zum Trotz.

Die Aktivist*innen von Human Rights Guardians sammeln in Syrien Belege über den Verbleib von “Verschwundenen” und übergeben die Hinweise internationalen Ermittlungsstellen. Adopt a Revolution unterstützt die Arbeit der Aktivist*innen aus Spenden – helfen Sie mit!