Die Situation in Yarmouk ist katastrophal. Noch immer leben dort ungefähr 1.500 Menschen in den Kellern ihrer Häuser. In den letzten drei Jahren, in denen Daesh (arabisches Akronym für „Islamischer Staat“) über Yarmouk geherrscht hat, waren es noch ungefähr 7.000 Zivilisten. Aber es sind immer weniger geworden – wegen der Politik des Kalifats, die die Menschen extrem unterdrückt hat.
Die Gewalt, die Daesh, das Regime und andere Kräfte gegen Yarmouk einsetzten, zielte darauf ab, es als Hauptstadt der palästinensischen Diaspora zu zerstören. Es hätte etliche Möglichkeiten gegeben, Daeshs Existenz in Yarmouk zu beenden, ohne einen Krieg der Auslöschung zu betreiben. Nachdem die menschliche Existenz in Yarmouk fast beendet wurde, geht es nun darum, die bauliche Infrastruktur zu zerstören. Das wäre in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen ohne die Ausrede des Krieges gegen Daesh.
Dabei werden die Ideen Daeshs und ihre Politik abgelehnt. Menschen wurden aber oft in diese Umstände gezwungen, nachdem Daesh ihre Heimatorte überfallen hat.
Der letzte Checkpoint wurde geschlossen
Der Angriff hat natürlich Auswirkungen auf ganz Süddamaskus – auf die politische, militärische und humanitäre Situation: Seit Mitte April die Offensive des Regimes auf Yarmouk und die anderen Bezirke begann, wurde bei uns im Süden der Checkpoint Babilla geschlossen. Das war der einzige Checkpoint, über den Nahrungsmittel in das belagerte Süddamaskus kamen. Zudem wurden auf Yalda gezielt Raketen und Mörsergranaten geschossen, was ebenfalls zu mehr als 15 Toten geführt hat. Das traf auch lokale FSA-Gruppen, die dort Süddamaskus gegen den Einfall von Daesh verteidigt haben. Diese hatten seit 2014 einen Waffenstillstand mit dem Regime – der somit faktisch gebrochen wurde. Auf politischer Ebene gibt es absoluten Stillstand, da das Regime und die russische Armee absolut darauf beharren, dass niemand das Gebiet verlassen kann, bevor Daesh nicht vernichtet ist. Aber 90 Prozent der Menschen, die bisher in Yarmouk ums Leben gekommen sind, sind Zivilisten.
Die Menschen hier in Süddamaskus sind panisch. Sie haben große Angst, dass Daesh sich bis hierher ausweiten wird, weil das Regime ja die erste Verteidigungslinie der FSA in Yalda vernichtet hat. Es gibt eine berechtigte Angst, dass das Regime Yalda angreifen wird. Hinzu kommt, dass die Gegend an Sayyida Zainab angrenzt, von wo schiitische Milizen versuchen könnten, ebenfalls die Gegend anzugreifen. Das zivile als auch das militärische Verhandlungskomitee haben versucht, eine Einigung mit dem Regime zu erzielen, aber das Regime hält sich an keine Abmachung.
Die einzige Lösung ist, dass sowohl die zivilen Aktivisten, als auch die bewaffnete Opposition die Gegend verlassen. Es gibt überhaupt keinen Sinn, in einen Krieg mit dem Regime zu treten. Aber den sicheren Abzug aus der Gegend zu verhandeln wird erst möglich sein, wenn die Causa Daesh abgeschlossen ist – so hat es das Regime beschlossen.
Keine medizinische Versorgung
Seit Beginn der Kämpfe ist es zu einer extremen Gewalteskalation gekommen: In den ersten Tagen war zwischen zwei Raketen eine Pause von 30 Sekunden. Heute ist es ein bisschen ruhiger – relativ gesehen. Meine jetzige Wohngegend schließt direkt an Yarmouk an. Das heißt wir spüren jeden Raketeneinschlag selber – nicht nur als Ton, sondern auch durch Vibration. Und auch Yalda wurde ja, wie gesagt, getroffen.
In Yarmouk sind immer noch Zivilisten. Es gibt dort keine medizinische Versorgung, es gibt kein Feldkrankenhaus, geschweige denn einen Arzt oder Sanitäter. Es gibt auch keine zivile Verteidigung, die die Leichen oder Verletzten unter den Trümmern bergen könnte. Es gibt dort weder humanitäre Organisationen noch Medienaktivisten, die die Lage dokumentieren und fotografieren könnten. Es gibt quasi eine Ausgangssperre, denn man könnte sich nicht bewegen bei diesem intensiven Beschuss. Den Menschen, die aus Yarmouk geflohen sind, versuchen wir Wohnraum zu beschaffen. Das ist nicht leicht. Zudem hat das Regime ja den Checkpoint, durch den die Nahrung nach Süddamaskus gekommen ist, geschlossen, das heißt wir können die Neuankömmlinge kaum versorgen, weil die Lebensmittel langsam vom Markt verschwinden. Davon ausgenommen ist nur das, was wir hier selber anpflanzen, also Erbsen, Bohnen, Salat und Radieschen.
Die Zivilgesellschaft hat bei den Verhandlungen keinen Raum bekommen. Teilweise nehmen sie als Individuen Einfluss, indem sie Empfehlungen an das politische Komitee aus Süddamaskus gegeben haben. Sie spielen aber keine Rolle als eigene zivile Kraft.
Fast alle Menschen, die heute noch in Yarmouk sind, sind dort geblieben aus Gründen, die mit ihrer Identität zu tun haben und ihrer Überzeugung, dass Yarmouk die Hauptstadt der palästinensischen Diaspora ist. Sie sind also in Yarmouk geblieben, um diese Identität, ihre Häuser und ihren Boden zu verteidigen durch ihre eigene körperliche Präsenz. Sie hätten in den letzten Wochen natürlich über den Checkpoint in Richtung Yalda rausgehen können, aber viele der Menschen, die nun noch in Yarmouk sind, haben eine Fluchterfahrung von 1948, sie sind also sehr alt. Sie bevorzugen es, in den Trümmern von Yarmouk zu sterben, statt noch einmal alles zu verlieren.
Jahrelang unterstützte Adopt a Revolution die Arbeit ziviler AktivistInnen in Yarmouk, etwa das zivile Zentrum Watad, das unter anderem in der Belagerung mit Urban Gardening Selbstversorgung ermöglicht hat. Zwar haben inzwischen alle PartnerInnen den palästinensischen Stadtteil verlassen müssen – aber an anderen Orten bauen sie ihr Projekt wieder auf. Helfen Sie mit, ermöglichen Sie die weitere Arbeit des Watad Zentrums!
Herzlichen Dank!