Plötzlich sind sich die Großmächte in Sachen Syrien einig: Assad soll in einer Woche seine Chemiewaffen hergeben und dann soll’s erstmal gut sein mit dem angedrohten Militärschlag. Doch woher kommt die plötzliche Harmonie zwischen Russland und Amerika?
Zunächst einmal dürfte das amerikanische Ultimatum an Assad auf beiden Seiten Erleichterung ausgelöst haben, scheint es doch einen rundum eleganten Ausweg aus der Militäraktion zu bieten, die weder die USA noch Russland tatsächlich wollen. Die amerikanische Öffentlichkeit ist strikt gegen einen Krieg, was Obama angesichts seiner vor einem Jahr wohl vorschnell hervorposaunten „Roten Linie“ seit Tagen vor ein Dilemma stellt. Wie soll er seine und Amerikas Glaubwürdigkeit behaupten und gleichzeitig eine unbeliebte Militäraktion abwenden? Das Ultimatum der Chemiewaffenabgabe hat ihm zumindest Zeit gekauft. Für Moskau passt es auch: Endlich kann es sich offiziell einmal gegen Assad stellen und das internationale Image polieren, in der ruhigen Gewissheit, dass es für den Konflikt zwischen Opposition und Regierung in Syrien keinen Deut Unterschied macht, ob Assad die Chemiewaffen abliefert oder nicht. Wird dadurch ein amerikanischer Militärschlag abgewendet, den Russland auf keinen Fall will: umso besser.
Das Ultimatum ist somit nur ein Ablenkungsmanöver, um über einige unangenehme Wahrheiten hinwegzutäuschen, nicht zuletzt der, dass das Morden, Flüchten und Sterben in Syrien einfach nicht von ausreichendem Interesse für den Westen ist, um wirkliche Anstrengungen zu unternehmen, all dies zu beenden. Warum sonst hat Obama das Ultimatum nicht mit nachdrücklichen Forderungen nach politischem Dialog aller Parteien und einem Waffenstillstand untermauert? Warum weigern sich die USA, sich mit Iran an einen Tisch zu setzen, um über Frieden in Syrien zu sprechen? Hier liegt doch der Hund begraben; um diesen dicken realpolitischen Fisch dreht es sich. Und alles Leid in Syrien ist für den Westen noch nicht genug, um die Sache offen anzugehen; stattdessen ist Taktieren angesagt. Moralisch bankrott und politisch unfähig; traurig, aber wahr.
Obamas Zögern, bevor er die Missiles losschickt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Im Vergleich zu seinem Vorgänger beweist er sich in dieser Situation als Demokrat und scheint auch das in Syrien weitverbreitete Unbehagen gegenüber einer weiteren amerikanischen Militäraktion im Nahen Osten ernst zu nehmen. Die USA und ihre demokratischen Verbündeten müssten jedoch viel mehr tun, um die syrischen und internationalen Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen – wenn es Ihnen tatsächlich daran gelegen wäre, den Konflikt und das Leiden zu beenden. Der Chemiewaffenangriff war der letzte Tropfen, der es allen klarmachen musste: kein Kompromiss, keine politischen Eitelkeiten sind jetzt zu teuer oder schade, um Friedensverhandlungen im Weg zu stehen. Das war die Chance, die diese Gräueltat wenigstens beinhaltete; die Chance des Innehaltens und der Einsicht, dass das Maximum an Hass und Gewalt erreicht war und nun wieder Platz für Politik geschaffen werden muss. Doch weder die USA noch Russland – keiner ist hier besser als der andere – zeigen sich bereit, Ressourcen zu investieren. Taktieren und Paktieren … es geht weiter.