„Gebt dem Regime nicht die Möglichkeit, uns auszuhungern“
„Wenn Bab al-Hawa geschlossen wird, zerschneidet das die Lebensader für fünf Millionen Menschen in der Region. Viele Menschen in der Region Idlib und im Umland von Aleppo hätten dann keinen Zugang mehr zu medizinischen und humanitären Hilfsgütern, außer durch den türkischen Staat. Praktisch würde das bedeuten, dem Assad-Regime die Kontrolle über diese Menschen zu geben, was sie in große Gefahr bringt, weil sie als „Oppositionelle“ gelten. Das Regime bekäme die Möglichkeit, uns auszuhungern, so wie es das in den letzten zehn Jahren mit seinen Gegner*innen überall in Syrien gemacht hat. Die Internationale Gemeinschaft darf an dieser Stelle nicht dem Druck Russlands nachgeben, schon muss humanitäre Grundsätze hochhalten!“
Sara vom Sawaedna-Frauenzentrum aus Ariha, Idlib. Zwei Tage bevor wir mit Sara gesprochen hatten, wurde eine enge Kollegin von ihr sowie deren vier Töchter bei Granatbeschuss verletzt, zwei der Kinder schwer. Der Krieg des Assad-Regimes gegen Aufständische ist nicht vorbei.
„Wer jetzt schon in Zelten lebt, wird sich überhaupt nichts mehr leisten können“
„Das Regime hat ein riesiges Interesse daran, dass humanitäre Hilfe nur noch über Damaskus abgewickelt werden kann. Denn die Lieferungen internationaler Organisationen ist einer der wenigen Wege, um Sanktionen zu umgehen. Das Regime versucht also, sich über humanitäre Hilfe selbst zu retten. Teile der Hilfsgüter landen nicht bei denjenigen, die Unterstützung am dringendsten benötigen, sondern sie werden einfach verkauft. Bei uns im Norden Syriens würde nichts davon ankommen. Wir sind jene, die sich gegen die Herrschaft Assads aufgelehnt haben. Deswegen sind wir so dringend auf UN-Hilfe aus der Türkei angewiesen.
Werden die Grenzübergänge aus der Türkei für UN-Hilfe geschlossen, würde der Schmuggel zunehmen und die Preise auf dem Schwarzmarkt explodieren. Schon jetzt sind die Preise wegen Wirtschaftskrise und Inflation immens gestiegen. Wer ohnehin schon in Zelten leben muss, wird sich überhaupt nichts mehr leisten können. Die deutsche Regierung muss eingreifen, damit es nicht so weit kommt!“
Souad von der Fraueninitiative Makers of Change. Die Aktivist*innen der Fraueninitiative wurden selbst aus ihrer Heimatstadt Kafranbel vertrieben. Jetzt leisten sie selbstorganisiert Unterstützung in Flüchtlingslagern mit einem besonderen Fokus auf Frauen. Sie nennen das feministische Nothilfe.
„Wir sind frustriert, dass eure Aufmerksamkeit nicht ausreicht, an einer Lösung des Konflikts zu arbeiten“
„Millionen von Menschen hier in Nordsyrien sind frustriert, weil es Russland und dem Assad-Regime zu gelingen scheint, mit die Frage nach humanitärer Hilfe einen militärischen und politischen Vorteil herauszuschlagen. Gemeinsam zwingen sie die ganze Welt dazu, sich nur noch mit humanitärer Hilfe zu befassen, statt eine politische Lösung für den Konflikt voran zu bringen. Wir brauchen nicht noch mehr temporäre Lösungen, sondern etwas, das der hiesigen Tragödie ein Ende setzt!
So wie die internationale Debatte läuft wird schnell deutlich: Das Leiden und die Unterdrückung der Menschen in Syrien zu beenden, hat längst keine Priorität mehr. Russland und das Regime sitzen einfach am längeren Hebel. Sie können abwarten und immer neue Verhandlungen verlangen, was Zeit braucht – Zeit, die die Hungernden in Nordsyrien nicht haben.“
Raed ist Journalist bei der Zaitoun Zeitung. Die unabhängige Zeitung musste wegen einer Offensive des Assad-Regimes schon einmal ihren Sitz wechseln. Seit beinahe acht Jahren berichtet die Redaktion über Zivilgesellschaft in der Region Idlib.
Sicherlich, die UN-Hilfen werden unsere Partner*innen in Nordsyrien nicht ersetzen können. Aber wo immer möglich, kümmern sich zivile Aktivist*innen in Selbstorganisation darum, den Bedürftigsten beizustehen. Helfen Sie mit, unterstützen Sie diese Arbeit mit Ihrer Spende!