Syrer*innen und Deutsche gemeinsam gegen Autoritarismus

Wie blicken syrische Oppositionelle auf 30 Jahre Mauerfall? Unser Gastautor Tarek Aziza versucht den Vergleich von der ehemaligen DDR und dem Assad Regime – und warnt vor einem wachsenden Autoritarismus.

Unsere Kindheit in Syrien war voll mit Ideologie und mit großen Worten, die ohne Bedeutung waren und doch ein dumpfes Gefühl der Angst erzeugten. Diese chronische gesellschaftliche Angst hatten wir früh von unseren Eltern und Verwandten aufgesaugt. Wir wurden älter und irgendwann verstanden wir, in welchem autoritären repressiven System wir leben. Wir dachten dann, dass solche Diktaturen nur bei uns existieren – in unseren „rückständigen Entwicklungsländern“, der „Dritten Welt“, wie damals die gängigen Bezeichnungen für unsere Länder waren. Wir begannen politische und historische Texte zu lesen und verstanden schließlich, dass auch die „fortschrittlichen Industrieländer“, etwa in Europa, unter ähnlichen Strukturen gelitten hatten – insbesondere aus dem “sozialistischen” Lager dieser Länder. Wir begriffen, dass die Kinder in der DDR etwa in ähnlich schlechten Bedingungen aufgewachsen waren wie wir selbst. Ihre Eltern hatten nicht weniger Angst gehabt als unsere.  

DDR und Syrien: Same Same but Different?

Natürlich gibt es viele Unterschiede zwischen der syrischen Gesellschaft und ihrem ostdeutschen Pendant. Und doch gibt es Merkmale, die die zwei diktatorischen Systeme gemeinsam haben – unter der Oberfläche ist ihr Wesenskern nämlich ein und derselbe. Die zwei grundsätzlichen Standsäulen eines autoritären Systems sind immer die politische Ideologie einerseits, sowie die Verbreitung von Angst und Schrecken bzw. „staatlich organisiertem Terrors“ gegen Bürger*innen andererseits. Die Ideologie stellt dabei die Identität des Regimes dar, welche sie nach außen präsentiert und in welche man den autoritäre Kern einhüllt. 

So waren die Ideologien vom “Arabischen Nationalismus” oder dem “Sozialismus” nicht mehr als ein schmückendes propagandistisches Beiwerk zur Verschönerung des Images vom Assad-Regimes und der Schaffung von Legitimität – genauso wie etwa das Wort “demokratisch” im Namen der “Deutschen Demokratischen Republik”. Statt dass die Macht vom Volke ausgeht und seiner Wahl unterliegt, finden wir sie in beiden Fällen – Assads Syrien und in der DDR – in der Hand eines repressiven Systems. Hinter der Fassade einer Einheitspartei üben die Sicherheits- und Geheimdienste an allen Stellen die Kontrolle aus.

Erstarkender Autoritarismus von Rechts?

 Im Jahr 1989 geriet die ehemalige Sowjetunion ins Wanken und der Wind des demokratischen Wandels wehte durch Ost-Europa. Schließlich erhoben sich auch die Bürger*innen der DDR und mit ihrer friedlichen Revolution gelang ihnen der Sturz des Regimes der Einheitspartei und der entsetzlichen Staatssicherheit. Die Mauer fiel und Deutschland wurde nach 40 Jahren Teilung wiedervereinigt. Der syrischen Revolution war dahingegen kein Erfolg vorbestimmt. Die friedliche Revolution hingegen, die im März 2011 ausgebrochen war, wandelte sich in einen offenen Krieg mit regionalen und internationalen Playern. Zusätzlich zur Willkürherrschaft Assads, in der die Syrer*innen ständig von Gemeindiensten, Verhaftung und Tod verfolgt wurden, übten schließlich auch terroristische Organisationen ihren religiösen Despotismus aus. 

Hand in Hand gegen Rechts!

Der Krieg, der sich aus der syrischen Revolution entwickelt hatte, führte zu großen Fluchtbewegungen. Ein großer Teil der Geflüchteten gelangte dabei nach Europa. In Deutschland, dem Land, das die größte Zahl an Schutzsuchenden in Europa aufnahm, fing die anfangs starke „Willkommenskultur“ an zu schwächeln und die radikale und rassistische Rechte erstarkte. Rechte Kräfte nahmen einen Diskurs auf, der Vielfalt und Pluralität ablehnte – so wie es bei jedem autoritären Diskurs Gang und Gebe ist. Das Paradoxe ist, dass die neuen Bundesländer, die vor dreißig Jahren sich in einer Revolution gegen Autoritarismus und für eine offene Gesellschaft erhoben hatten, heute die Region darstellt, in welche die neue rechte Strömung am meisten Zuspruch erfährt. Ihre politischen Repräsentant*innen schrecken dabei nicht davor zurück, sich in ihren Wahlkampagnen dem Geist friedlichen Revolution von 1989 zu bedienen – obwohl sie selbst das Gegenteil repräsentieren.  

Die Gefahr der erstarkenden Rechten beschränkt sich dabei nicht nur auf Geflüchtete und Migrant*innen, sondern bedroht die Freiheit, Pluralismus und Demokratie in der gesamten deutschen Gesellschaft. Weil das Streben der Syrer*innen nach Freiheit und Demokratie sich mit dem Kampf der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung in der DDR überschneidet, haben sich Aktivist*innen der zwei Seiten in einer Initiative zusammengetan, die von „Adopt a Revolution“ ins Leben gerufen wurde. Syrische und deutsche Aktive aus der ehemaligen DDR tauschen dabei ihre Erfahrungen aus und organisieren sich gemeinsam, um ihren Kampf für Demokratie und gegen die radikale Rechte zu vereinen. 

Der Kern des Autoritarismus ist ein und derselbe, egal wie vielfältig seine Formen und Titel auch sein mögen. Revolutionäre Bewegungen für Demokratie sind dahingegen oft fragmentiert – dabei ist das Anliegen, ob in Syrien, Deutschland oder anderen Ländern, letztlich ein transnationaler Kampf, trotz der unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Ländern und Gesellschaften. Unsere Mission dabei ist mühsam und ohne Zweifel liegt noch ein langer Weg vor uns. Aber wenn wir wirklich eine Welt mit weniger Schlechtem und eine bessere Zukunft für die Menschheit wollen, dann haben wir keine andere Chance, als es gemeinsam zu versuchen – was auch immer der Preis dafür sein mag.