Kinder leiden bei Krieg, Krisen und Katastrophen am meisten. Unsere Partnerinnen vom Frauenzentrum versuchen gegen die Traumata spielerisch anzuarbeiten.

Frische Wunden, alte Narben: Psychosoziale Unterstützung für Überlebende in Idlib

Die Menschen in Idlib leben in ständiger Angst vor dem nächsten Angriff, der nächsten Bombe, der nächsten erzwungenen Flucht. Mit den verheerenden Erdbeben kommt eine weitere schwer traumatische Erfahrung hinzu. Die psychische Belastung ist enorm. Unsere Partner*innen vom Frauenzentrum Idlib versuchen den Traumata entgegenzuwirken und Frauen sowie Kindern zu helfen, mit dem Erlebten umzugehen.

Kinder leiden bei Krieg, Krisen und Katastrophen am meisten. Unsere Partnerinnen vom Frauenzentrum versuchen gegen die Traumata spielerisch anzuarbeiten.

Häuser in Schutt und Asche gelegt, Zelte soweit das Auge blickt und frische Grabsteine. Das sind die sichtbaren Folgen der zerstörerischen Erdbeben Anfang Februar. Unsichtbar sind die schweren Traumata, die bei den Überlebenden zurückgeblieben sind. Die Angst ist ihre ständige Begleiterin, insbesondere Kinder leiden unter den Erlebnissen.

Aber auch Frauen sind besonders häufig von psychischen Folgen der katastrophalen Notsituation betroffen. Sie verbringen mehr Zeit isoliert Zuhause oder in den überfüllten Zelten der Not-Camps und sind generell eingeschränkter in ihrer sozialen Teilhabe.

Das Team vom Women Support and Empowerment Center in Idlib hat bereits weitreichende Erfahrung im Umgang und der Arbeit mit traumatisierten Menschen. Insbesondere seine Leiterin Huda: Sie hat nicht nur eine Ausbildung als psychosoziale Nothelferin und war in verschiedenen medizinischen Einrichtungen tätig. Noch in Ghouta gründete sie das sogenannte „Save House“, in dem von sexualisierter Gewalt Betroffene betreut wurden. In Idlib bieten sie und ihr Team seit langem Unterstützung für traumatisierte Frauen und nehmen selbst regelmäßig an Schulungen und Fortbildungen teil. Denn inmitten von Krieg und Vertreibung sind Traumata zur ständigen Begleiterin der Menschen geworden – der Bedarf an Unterstützung ist hoch. Erst Recht jetzt, nach den verheerenden Erdbeben.

Gemeinsam gegen die kollektiven Traumata: Zusammen sind wir stark

Derzeit ist das Team in einem Not-Camp aktiv und arbeitet hier gezielt mit Frauen, Älteren und Kindern zusammen – und zwar getrennt voneinander, weil jeweils unterschiedliche Therapieansätze zum Einsatz kommen. Für alle gleich ist aber die Form der Gruppentherapie.

„Es ist ja eine kollektive Verlusterfahrung, die wir hier mit den Erdbeben erlitten haben. Deshalb ist es am effektivsten, diese in einer Gruppe von Betroffenen zu bearbeiten. Denn zu erfahren, dass die Erlebnisse alle betreffen und sich über die traumatischen Erfahrungen auszutauschen, ist schon ein wichtiger Bestandteil der Aufarbeitung.“

Huda Khaity – Leiterin des Frauenzentrums Idlib

Die Erwachsenen haben so auch einen Raum, in dem sie nicht nur ihre Gefühle und Gedanken miteinander teilen können, sondern auch spezifische Schwierigkeiten und Herausforderungen im Alltag, welche die Ausnahmesituation in Folge der Beben mit sich bringt. Gemeinsam wird dann nach Lösungen gesucht, wodurch dem Gefühl von Ohnmacht etwas entgegengesetzt wird. Es werden auch bewusst kleinere Bezugsgruppen von Frauen gebildet, die sich gegenseitig im Alltag unterstützen und gemeinsamen Aktivitäten nachgehen, wenn das Team des Frauenzentrums nicht vor Ort ist..

Die Angst hat sich in die Kinderseelen eingebrannt

In den Therapiestunden werden den Frauen auch emotionale Entlastungsmechanismen für ihre Kinder nähergebracht und sie lernen, wie sie diese bei der Verarbeitung ihrer Traumata unterstützen können. Besonders wichtig ist etwa, sie ernst zu nehmen, möglichen Redebedarf nicht zu ignorieren, das Zeigen von Gefühlen zu erlauben sowie Aufmerksamkeit und Körperkontakt, beispielsweise indem sie ihre Kinder in den Arm nehmen. Genauso wichtig ist aber auch nicht nur auf das Verhalten von Kindern zu reagieren, sondern proaktiv auf sie zuzugehen und mit ihnen Gespräche über ihre Gefühle und Ängste zu eröffnen. Wem es aus der eigenen psychischen Belastungssituation nur schwer möglich ist, mit ihren  Kindern über das Erlebte zu sprechen, kann als Alternative beispielsweise Malen anbieten.

Die Bilder zeigen, wofür die Kinder keine Worte haben: Den Schrecken vom Erdbeben und dem Krieg.

Denn insbesondere bei Kindern reißen die schlimmen Erlebnisse tiefe seelische Wunden ein und führen zu irrationaler Angst. Häufig ist in Idlib beispielsweise zu beobachten, dass sich Kinder bei einem lauten Knall oft panisch unter einem Tisch verkriechen, weil sie Bombardierungen erlebt haben. Das Gehirn wird durch den Knall, zum Beispiel wenn eine Tür zuschlägt, getriggert und schaltet automatisch in einen Gefahr- oder Angst-Modus. Nach den Erdbeben ist es gerade für Kinder noch schwieriger zu differenzieren, wann sie in Sicherheit sind und wann nicht. Aufgrund der lange anhaltenden Nachbeben gestaltete sich deshalb auch die Bearbeitung der Erlebnisse zunächst schwierig.

Es braucht Zeit und viel Verständnis

Die Therapie dauert bei Kindern deutlich länger und muss kontinuierlich laufen. Deshalb ist Hudas Team mehrmals wöchentlich vor Ort. In ihrer Arbeit mit den Kindern setzen sie bewusst auf viel Bewegung und kreative Aktivitäten, wie beispielsweise Zeichnen, um die Angst aus dem Körper der Kinder herauszubekommen. Zudem begegnen sie ihnen mit viel Verständnis und Fürsorge, auch bei irrationalem Verhalten. Viele traumatisierte Kinder zeigen beispielsweise ein aggressives Verhalten, ziehen sich komplett zurück oder haben ein gesteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Bei manchen ist das Verhalten so auffällig, dass möglicherweise Hilfe über die Gruppentherapie hinaus nötig wird.

Bei allen Sitzungen ist deshalb immer auch eine ausgebildete Psychologin mit dabei. Diese kann am besten feststellen, ob eine Person weitreichendere Hilfe braucht. Für solche Fälle bietet das Team des Zentrums dann auch Einzelfallbetreuung an. Manche haben aber eine so schwere posttraumatische Belastungsstörung, dass sie ärztliche Hilfe und beispielsweise Antidepressiva brauchen. Für solch schwerwiegenden Fälle ist das Team nicht ausgebildet, organisiert aber die Vermittlung zu spezialisierten medizinischen Einrichtungen.

Krise, Krieg, Katastrophe

Derzeit arbeitet das Team vom Frauenzentrum 60 Frauen und 75 Kinder. Gerne würden sie auch in weiteren Camps arbeiten, eine große Ausweitung der Arbeit ist derzeit aber nicht geplant, um eine konstante Betreuung und Therapie für die aktuellen Betreuungsfälle sicherstellen zu können. Grundsätzlich ist das Projekt langfristig geplant, denn auch abseits der spezifischen Erdbeben-Erlebnisse ist die Grundsituation in den Camps so schlecht, dass ihre Bewohner*innen den psychosozialen Support generell brauchen.

„Unsere Arbeit ist auch losgelöst vom Erdbeben superwichtig, wurde aber durch die neuen Ereignisse nochmal dringlicher. Diese Aneinanderreihung von Krise, Krieg und Katastrophe ist überwältigend und von der menschlichen Psyche kaum zu fassen. Unsere Arbeit ist durch das Erdbeben noch  herausfordernder geworden, aber  eben auch umso wichtiger.“

Huda

BITTE UNTERSTÜTZEN SIE DIE WICHTIGE ARBEIT UNSERER VOM FRAUENZENTRUM IDLIB!