“Wir können in Salamiyya mehr bewirken als die FSA” – Bericht aus Salamiyya

Wie wir in anderen Berichten schon erklärt haben, ist Salamiyya eine religiös sehr durchmischte Stadt. Historisch bedingt leben hier in der Stadt besonders viele Ismailiten, eine der religiösen Minderheiten Syriens. Den Ismailiten wird nachgesagt, dass ihnen eine gute Ausbildung ihrer Kinder wichtig ist. Das merken wir in gewisser Weise auch bei uns im Komitee, denn […]

Wie wir in anderen Berichten schon erklärt haben, ist Salamiyya eine religiös sehr durchmischte Stadt. Historisch bedingt leben hier in der Stadt besonders viele Ismailiten, eine der religiösen Minderheiten Syriens. Den Ismailiten wird nachgesagt, dass ihnen eine gute Ausbildung ihrer Kinder wichtig ist. Das merken wir in gewisser Weise auch bei uns im Komitee, denn es gibt zahlreiche Mitglieder, die einen Hochschulabschluss haben. Wir gehören auch zu den ersten Komitees, die angefangen haben regelmäßig eine Zeitung herauszugeben. Sie heißt “Hinta” (Anm.: deutsch “Dinkel”) und wird mit einer Auflage von 4.000 bis 5.000 Exemplaren in der Türkei gedruckt. Eigentlich sind das nicht viele Zeitungen, dafür dass über 100.000 Menschen in der Stadt leben, aber wir gehen davon aus, dass jedes Exemplar mindestens zehn Mal gelesen wird – und dann erreichen wir damit doch wieder einen Großteil der Bevölkerung in und um Salamiyya.

Die Stadt Salamiyya selbst wird noch immer vom Militär des Regimes kontrolliert, deswegen müssen wir die Zeitungen, wenn sie aus dem Druck kommen, auch immer in die Stadt hinein schmuggeln. Das ist gar nicht so einfach, denn seit im Umland die Freie Syrische Armee (FSA) aktiv ist – kürzlich hatten wir Zusammenstöße nur sieben Kilometer vor den Toren der Stadt – sind auch die Soldaten und Milizen vorsichtiger geworden und kontrollieren die Stadt engmaschiger.


Video: Abenddemonstration in Salamiyya, 08.03.2013.

Als Komitee sind wir auch im Lokalen Rat vertreten, wo sich die verschiedenen aktiven oppositionellen Gruppen koordinieren. Der Rat hat mit der FSA die Vereinbarung getroffen, dass die Bewaffneten nicht in die Stadt kommen. Das hat für uns ganz einfach den Grund, dass wir fürchten, sonst massive Spannungen zwischen den religiösen Gruppen auszulösen. Es klingt vielleicht seltsam, aber wir können hier mit unseren Aktionen im Untergrund gerade mehr für die Überwindung der Diktatur erreichen, als die FSA, die militärisch agieren müsste. Wir können mit unseren Graffiti, Zeitungen, Diskussionsrunden und Flashmobs erreichen, dass die Menschen der verschiedenen Konfessionen die Gräben zwischen sich überwinden. Wenn die Stadt militärisch befreit würde, müssten wir außerdem mit massiven Angriffen der Armee des Regimes rechnen.


Video: Protestvideo der Aktivistinnen des Komitees Salamiyya.

Der große Nachteil davon, dass wir das Regime weiter in der Stadt haben ist natürlich, dass es weiterhin seine Verbrechen begehen und die AktivistInnen verfolgen kann. Zwei Beispiele: Einer unserer Aktivisten musste schon früh nach Beginn der Revolution untertauchen und konnte nicht mehr nach Hause gehen, weil er dort gesucht wurde – und das, obwohl seine Frau schwanger war. Erst nachdem seine Frau mit dem Kind die Stadt verlassen hatte, konnte er sein Kind das erste Mal sehen. Das Kind war da schon acht Monate alt, aber um nicht auch noch seine Frau und das Kind zu gefährden, konnte er in Salamiyya einfach nicht wieder zu Hause auftauchen.

Das andere Beispiel ist, dass kürzlich das Haus einer Aktivistin durchsucht wurde, die selbst eigentlich nicht auf den Fahndungslisten stand. Doch als bei ihr Spraydosen gefunden wurden, haben die Sicherheitskräfte sie mitgenommen, denn ihr wird jetzt angelastet, an Graffiti-Aktionen beteiligt gewesen zu sein. Meistens ergeht es Frauen in Haft etwas besser als Männern, aber trotzdem ist das natürlich ein schwerer Schlag für uns. Jedes Mal, wenn ein Mensch für seine Überzeugung oder eine kleine Aktion festgenommen wird, beschäftigt uns das sehr.


Video: Demonstration mit Kerzen, im Gedenken an die Toten der Revolution.

Natürlich wollen wir euch auch noch schreiben, wofür wir die Unterstützung nutzen, die wir von euch bekommen haben. Glücklicherweise haben wir für unsere Zeitung Geld von einer anderen NGO bekommen. Doch wir müssen noch immer dafür sorgen, dass unsere AktivistInnen mit Technik, Internet und Telefonen ausgestattet werden. Zusammen mit den Wohnungen, die wir als Verstecke anmieten, sind das unsere größten Ausgabenposten. Hinzu kommt noch das Material, das wir für unsere Aktionen brauchen: Banner, Farben, Lautsprecher, Spraydosen. Das sind alles ganz einfache Dinge, aber uns ermöglichen sie es, die Arbeit daran fortzusetzen, dass Syrien von der Diktatur befreit wird und dabei nicht in einen Konflikt zwischen den verschiedenen Religionen und Ethnien abrutscht. Danke also für eure Unterstützung!

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