Jim Muir berichtet für BBC News über die syrischen Flüchtlinge im Libanon sowie Jordanien, welche schon früher über ihren künftigen Präsidenten abstimmen können. Zum ersten Mal nach Jahrzehnten findet in Syrien eine Präsidentschaftswahl mit mehr als einem Kandidaten statt. Allerdings sind die beiden Konkurrenten von Assad wenig bekannt und kaum in der Lage, auf gleicher Augenhöhe mit dem amtierenden Präsidenten zu werben. Die Wahllokale in den syrischen Botschaften in Beirut und Amman sind am Mittwoch eröffnet worden. Es wird erwartet, dass der jetzige Präsident Bashar al-Assad die vom Westen als „Farce“ deklarierte Wahl gewinnen und seine dritte 7-Jahres-Amtszeit antreten wird.
Es sind jedoch v.a. im Libanon aufgrund des hohen Andrangs Szenen entstanden, wie sie eher selten vor Botschaften zu beobachten sind. Als einziges Wahllokal für den gesamten Libanon war es nicht verwunderlich, dass die Botschaft in Beirut überschwemmt wurde. Die Abstimmung hat vielen LibanesInnen noch einmal verdeutlicht, wie tief verwurzelt die syrische Krise mittlerweile im eigenen Land ist (siehe auch Bericht samt anschaulichem Bild bei Al-Monitor). Die Wahl in der jordanischen Hauptstadt Amman wurde wenige Tage nach der Ausweisung des syrischen Botschafters, Bahjat Suleiman, abgehalten. Grund sind wiederholte Beleidigungen gegen das haschemitische Königreich gewesen. Wie die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA berichtet, öffneten Wahllokale auch in anderen syrischen Botschaften, darunter in Russland, Malaysia und dem Sudan. Die Vereinigte Arabische Emirate, Frankreich und Deutschland haben die Abstimmung in den Botschaften verboten.
Nadine Elali setzt sich auf NOW mit der Frage auseinander, ob die anstehenden Präsidentschaftswahlen frei und fair sein werden. Lokale Zeitungen berichteten am [vergangenen] Sonntag aus Harouf, einer Kleinstadt im Libanon, dass dort lebende SyrerInnen von AnhängerInnen der Hisbollah angegriffen worden sind, nachdem Milizionäre der Partei bei einer Schlacht in Syrien ums Leben gekommen sind. Die Flüchtlinge wurden unter anderem aufgefordert, ihre Koffer zu packen und die Stadt bis zum Sonnenuntergang zu verlassen. Syrische Flüchtlinge, welche in den Hochburgen der Hisbollah Unterschlupf gefunden haben, berichten, dass sie verschiedensten Formen der Einschüchterung ausgeliefert sind. So werden sie dazu gezwungen, offen ihre Unterstützung für Bashar al-Assad zu zeigen. Die Syrische Soziale Nationalistische Partei (SSNP) im Libanon sowie AnhängerInnen des Baath-Regimes gehen von Tür zu Tür, um Informationen über die jeweiligen Staatsangehörigen zu sammeln und Aufzeichnungen zu führen, wer am Marsch zur Unterstützung von Assad teilnehmen wird. Viele leisten den Aufforderungen Folge und tragen Assads Bilder durch die Straßen, wohlwissend, dass sie keine andere Wahl haben. Die einzige Alternative wäre, die Repressalien zu ertragen. Einen Schutz durch die libanesische Regierung können sie nicht erwarten.
Ein weiterer Bericht auf NOW beschäftigt sich detaillierter mit der Rolle der Hisbollah während der Abstimmung. Die Partei, ein treuer Verbündeter des syrischen Präsidenten Assad, scheint momentan allgegenwärtig zu sein. Sie gewährleistet die Sicherheit in und um die syrische Botschaft in Yarzeh, einer kleinen Vorstadt von Beirut. Präsent ist sie ebenfalls durch Bilder und Fahnen von der Partei sowie ihrem Generalsekretär, Hassan Nasrallah. Neben diesem Aspekt bietet die Hisbollah auch den Transport nach Yarzeh für jene SyrerInnen an, welche im Südlibanon sowie der Bekaa-Ebene wohnen. Die Idee, mehrere Wahllokale in den verschiedenen Landesteilen zu eröffnen, wurde von der syrischen Regierung abgelehnt, da sich so alle WählerInnen auf ein einziges Wahllokal konzentrieren und somit eine hohe Wahlbeteiligung suggeriert wird.
Sadruddin Kino hat für ARA News mit einer Reihe von Menschen in der Stadt Kobane gesprochen, um ihre Haltung zu den Präsidentschaftswahlen einzufangen. Der Direktor der kurdischen Studierendenunion in der Stadt, Ahmad Sheikho, nannte die Nominierung von Bashar al-Assad für eine dritte Amtszeit als den „größten Beweis für die Demütigung des syrischen Volkes“. Diejenigen, die an der Wahl teilnehmen, seien „Assads Partner in der Ermordung des syrischen Volkes und der Zerstörung des Landes“. Mirghana Jouma, eine Frauenrechtsaktivistin, wird die Wahlen komplett ablehnen, da Assad in ihren Augen das Land zerstört und dabei die Vertreibung von Millionen SyrerInnen sowie die Tötung von Tausenden von Kindern billigend in Kauf nahm. Sherwan Talas, Mitglied des Lokalkomitees des kurdischen Nationalrates (KNC) in Kobane, geht von einem „schlechtem Witz“ aus. Seiner Meinung nach muss der amtierende Präsident für die von ihm begangenen Verbrechen in das Gefängnis. Dijbar Ali, ein Soziologie-Student, rief alle Kurden dazu auf, sich nicht an der „Wahl der Schande“ zu beteiligen. Mohammed Bozan hält fest, dass die Politik des Regimes erfolgreich war. Als Grund sieht er die bisher erfolgreiche Abhaltung der Präsidentschaftswahlen in den kurdischen Gebieten. Es bedeute gleichzeitig auch, dass die Kurden in der Revolution gescheitert sind und sich nicht vollständig emanzipieren konnten.
Rodi Ahmad berichtet auf ARA News ebenfalls über die Wahlen, in Bezug auf Qamishli. Aufgrund der bevorstehenden Abstimmung läuft auch hier die Wahlkampagne für Assad auf Hochtouren. Die Stadt wird teilweise durch das Regime kontrolliert, weshalb mehrere Medienkampagnen für eine Teilnahme an der Wahl unter dem Banner „Die Zukunft Syriens erbauen“ werben. AktivistInnen berichten, dass das Regime in Qamishli – trotz der vielen Anti-Assad-Proteste – immer noch einen starken Einfluss ausübe. Obwohl die meisten BewohnerInnen der Stadt die Änderung der Verfassung anno 2012 boykottierten, werden viele von ihnen an der Wahl teilnehmen. Das syrische Regime versucht hierbei, die Menschen durch mehrere Aktionen zur Wahl anzuregen. Die Gehälter für staatliche Beamte werden früher ausbezahlt, die Prüfungstermine an Schulen und Universitäten verschoben.
Die Bloggerin Razan Ghazzawi hat sich in einem Artikel über die Kampagne #Douma4 geäußert. Es ist mittlerweile ein halbes Jahr her, dass Razan Zeitouneh und ihre KollegInnen durch eine bewaffnete Gruppe in Douma entführt wurden. Es handelt sich bei #Douma4 um eine Medienkampagne, die es seit dieser Woche gibt. Mit ihr soll der Druck auf die (bislang unbekannten) Kidnapper erhöht werden, um Informationen über den momentanen Zustand und genauen Aufenthaltsort der Entführten zu erhalten – sowie letztendlich deren Freilassung zu ermöglichen.
Unter dem Motto „Was wir getan haben, ist illegal, aber legitim“ erzählen Antonio Augugliaro, Gabriele del Grande und Khaled Soliman al Nassiry PRO AYSL über ihr Projekt, syrische Flüchtlinge von Italien nach Schweden zu schmuggeln. Die AktivistInnen haben die SyrerInnen am Mailänder Hauptbahnhof kennengelernt und entschieden, ihnen auf kreative Art und Weise weiterzuhelfen. Aufgrund der Dublin-II-Logik haben diese in Europa keine Bewegungsfreiheit, obwohl ihre Familie und Freunde in Schweden leben. In Italien bleiben sie sich selbst überlassen. Es kam die Idee auf, eine Hochzeitsgesellschaft zu inszenieren, in der Hoffnung, dass diese nicht gestoppt wird. Die ganze Aktion wurde filmisch festgehalten. Für die Veröffentlichung als Film wird nun mittels Crowdfunding-Projekt Geld gesammelt. Hier geht es zum Trailer des Films „On the Bride’s side“.
Wie lange wird sich Assad noch an der Macht halten können? Richard Sale berichtet auf Al-Monitor über die (Fehl-)Einschätzungen der (westlichen) Regierungen. Während Bashar al-Assad sich auf seine Wiederwahl vorbereitet, ist es kein Geheimnis, dass die Administration von Barack Obama seine Ausdauer unterschätzt hat. Im August 2011 sagte der US-Präsident öffentlich, dass Assad zurücktreten solle. Im Februar 2012 änderte sich sein Ton. Seiner Einschätzung nach waren Assads Tage gezählt. Es sei keine Frage des ob, sondern des wann. 2012 sagte David Shedd, Analyst in der Defense Intelligence Agency (DIA), voraus, dass Assad sich bis mindestens Anfang 2013 an der Macht halten werde. Joshua Landis, Leiter des Center for Middle Eastern Studies an der Universität von Oklahoma, machte darauf aufmerksam, dass solche Ansichten gefährlich seien. Zwar seien früh einige hochrangige Generäle übergelaufen, jedoch sage dies nichts über die wirkliche Moral in der Armee aus. Wayne White, stellvertretender Direktor des INR/NESA, fügte hinzu, dass zwar einige Armee-Einheiten desertiert seien, jedoch genug loyale Einheiten und Milizen zur Verfügung standen, um diese Ausfälle zu kompensieren. Die Hisbollah sowie irakische Einheiten kamen zudem zu Hilfe.
Im Frühling 2013 begann sich die Lage zugunsten des Assad-Regimes zu verschieben. Die Gründe hierfür sind die fehlende militärische Unterstützung der bewaffneten Opposition durch den Westen sowie den Aufstieg islamistischer Dschihad-Gruppierungen. Bereits 2012 begann die Hisbollah, auf Seiten des Regimes eine unterstützende Rolle zu spielen. Sie bildete in Damaskus sowie in Aleppo und der umliegenden Provinz syrische Soldaten aus. Col. Pat Lang, ehemaliger Leiter der DIA, sagte, dass die syrische Armee durch diesen Zusammenschluss effizienter wurde und weitere Ressourcen erhielt. Inzwischen sind die Stimmen über den Verbleib Assads gemäßigter geworden. Laut White ist es nicht möglich, eine Zeitspanne für die restliche Amtszeit des Präsidenten zu nennen. Mit anderen Worten: Es sieht nach einem langen Krieg aus.
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