Nach der Veröffentlichung des von medico international und Adopt a Revolution initiierten Aufrufs „Freiheit braucht Beistand“ am letzten Montag ist eine größere Debatte um den Appell entstanden. Der Aufruf fordert zur Unterstützung der zivilen Kräfte auf, die sich für ein demokratisches, soziales und multiethnisches wie multireligiöses Syrien einsetzen.
Wir freuen uns sehr, dass nur wenige Tage nach der Veröffentlichung schon über 1300 Leute den Appell unterzeichnet haben. Neben vielen lobenden Zuschriften für diese Initiative, gab es aber auch Kritik: So wurde einerseits bemängelt, dass wir nicht die Bewaffnung der Rebellen fordern und damit das Blutvergießen in Syrien nur verlängern. Andererseits gab es die Kritik, dass wir den Dialog und eine Übergangsregierung unter Assads Führung ausschließen würden. Neben dieser Kritik, auf die wir unten eingehen möchten, gab es leider auch einige Falschmeldungen: So wurde aus einem unfertigen Entwurf unseres Aufrufs zitiert, den die Unterzeichner gar nicht kannten. Andere zitierten aus einem völlig anderen Aufruf, mit dem wir nichts zu tun hatten, nämlich dem offenen Brief an Bashar Al Assad der Vereinigung der Schriftsteller für den Frieden. Auch die Behauptung ein Unterzeichner wäre wegen seiner Unterschrift nicht angefragt worden, ist falsch.
Neben einigen für uns schwer verständlichen Beiträgen erreichte uns auch ausführliche und ernsthafte Kritik etwa von dem Professor für Friedens- und Konfliktforschung Mohssen Massarrat. Wir haben uns über den sachlichen Ton gefreut und wollen deshalb hier gerne darauf antworten. Im folgenden dokumentieren wir die Stellungnahme von Mohssen Massarrat kursiv und unsere Antworten zu den jeweiligen Punkten:
Warum ich den Syrien-Aufruf von medico international und adopt a revolution „Freiheit braucht Beistand“ nicht unterschreiben kann
Mohssen Massarrat, 17. Dezember 2012
Als ich den Syrien-Aufruf ( https://adoptrevolution.org/aufruf/ ) las und sah, dass viele namhafte Persönlichkeiten aus dem Lager der Friedensbewegung ihn unterschrieben haben, der mir persönlich aber sehr merkwürdig vorkam, teilte ich einem kleinen Freundeskreis aus der Friedensbewegung meine starken Bedenken dagegen mit. Durch eingegangene Rückmeldungen fühlte ich mich in meiner Ablehnung des Aufrufs mehr als bestätigt. Hans-Peter Dürr, einer der prominentesten Unterzeichner des Aufrufs, wundert sich in seiner Rückmeldung an mich, wieso sein Name unter diesen Aufruf gelangt ist. Konstantin Wecker hat offensichtlich seine Unterschrift zurückgezogen. Elmar Altvater warb um Verständnis für seine Unterschrift, er hätte mangels Alternativen und weil er der Auffassung sei, dass man etwas gegen das schlimme Blutvergießen tun müsse, den Aufruf trotz Bedenken unterschrieben. Inzwischen weiß ich von sehr vielen, die diesen Aufruf nicht unterschreiben werden.
Adopt: Der Kritik, ein Erstunterzeichner habe nichts von seiner Unterzeichnung gewusst, sind wir nachgegangen. Wir haben den Rücklauf der angeschriebenen ErstunterzeichnerInnen des Aufrufes „Freiheit braucht Beistand“ überprüft und können versichern, dass kein Name einer Person veröffentlicht wurde, deren Einverständnis für eine Unterschrift nicht vorlag.
Die Unsicherheit in der Friedensbewegung scheint ziemlich groß zu sein, zumal der Aufruf von medico international, einer namhaften NGO, die sich u. a. sehr intensiv für die Freiheit der Kurden im Mittleren Osten einsetzt, mit initiiert worden ist. Gerade deshalb muss genauer erklärt werden, worin das Hauptproblem dieses Aufrufes besteht, mit dem jeder Kriegsgegner sich aufrichtig auseinandersetzen sollte. Der Aufruf wendet sich dezidiert gegen Waffenlieferungen und die Einmischung von allen Seiten in den Syrien-Konflikt und plädiert für die Unterstützung der nicht bewaffneten Oppositionsgruppen gegen das Assad-Regime. Er formuliert damit auf den ersten Blick positive Positionen, denen normalerweise jede/r Friedensbewegte zustimmen könnte. Auffällig sind allerdings folgende Aspekte:
1) Die ganze politische Stoßrichtung des Aufrufs zielt ausschließlich auf die Gräueltaten des Assad-Regimes und lässt damit einen regime change suggestiv als alternativlos erscheinen. Dies wird zusätzlich mit der Behauptung untermauert, das Assad-Regime hätte sämtliche Dialogmöglichkeiten mit der Opposition ignoriert. Immerhin gab es den russischen Vorschlag der Schaffung einer Übergangsregierung unter Mitwirkung des Assad-Lagers, der jedoch an der Ablehnung durch die syrischen Oppositionsgruppen und der sie unterstützenden Staaten (Saudi-Arabien und USA) gescheitert ist. Im übrigen bleibt der Aufruf hinsichtlich der Identität der unbewaffneten syrischen Oppositionsgruppen und wie man sie vom Ausland aus unterstützen kann unkonkret.
Adopt: Es ist richtig, dass Adopt a Revolution den Sturz des Assad-Regimes befürwortet. Wie schon unser Name sagt, unterstützen wir die Revolution. Dass der Aufruf jedoch ausschliesslich auf die Gräueltaten des Regimes zielt ist falsch – u.a. wird die Gegengewalt der Rebellen und insbesondere die Angst, die salafistische Milizen verbreiten ebenfalls erwähnt. Was die sogenannten Dialogangebote des Assad-Regimes betrifft, halten wir sie nicht nur für unzureichend, sondern vor allem auch für unglaubwürdig. Denn jedes Dialogangebot ging einher mit weiteren gezielten Tötungen friedlicher DemonstrantInnen, Verhaftungen, Folter und Mord an politischen OpponentInnen. Wer einmal auf der Website von Adopt a Revolution war, weiß, dass wir sehr klar benennen, wen wir unterstützen. In Berichten kann jeder nachlesen, was genau die von uns unterstützten Komitees machen. Auch über ihre politischen Ansichten schreiben die Komitees. Selbstredend sind das bei meist jugendlichen AktivistInnen keine ausgefeilten Weltanschauungen. Wer etwas anderes erwartet, verkennt Charakter und Dynamik einer Revolution. Die Berichte der Komitees stehen alle online: https://adoptrevolution.org/category/berichte-der-komitees/
2) Will man aber wirklich ein weiteres Blutvergießen und eine Ausweitung des Bürgerkrieges und eine mögliche militärische Intervention der NATO verhindern, dann wäre gerade ein Übergangsregime, selbstverständlich unter Mitwirkung des gegenwärtig herrschenden Regimes, friedenspolitisch die einzig zielführende Alternative, die auch am besten geeignet wäre, Massakern an Aleviten, die durch einen Sturz des Assad-Regimes wahrscheinlich wären, vorzubeugen. Die positiven Beispiele Südafrikas und Chiles sind historische Belege für die alternative „Übergangsregierung“ als friedenspolitisch beste Lösung des Konflikts, die auch in Syrien hätten nachgeahmt werden können. Hier hätte so und unter der Aufsicht der UNO ein Prozess eingeleitet werden können, an dessen Ende freie Wahlen und eine neue Verfassung möglich würden. Von dieser Alternative würde gerade die unbewaffnete syrische Opposition am meisten profitieren können, für die sich der Aufruf stark macht. Aber merkwürdigerweise wird im Aufruf ausgerechnet dieser russische Vorschlag, dem das Assad-Regime zugestimmt hatte, unterschlagen. Damit wird der scheinbar positive Ansatz des Aufrufs, der unbewaffneten Opposition eine Stimme geben zu wollen, unglaubwürdig.
Adopt: Der Vergleich mit den Übergangsmodellen in Südafrika und Chile ist weit hergeholt, die historische Situation in Syrien ist eine völlig andere. Richtig ist aber, dass ein großer Teil der Opposition zu Beginn der Proteste im März 2011 darauf gesetzt hat, dass der „Reformer“ Assad auf die Protestbewegung zugehen und einen demokratischen Übergang einleiten würde. Anders als in Tunesien und Ägypten, wo die vagen Reformankündigungen Ben Alis und Mubaraks, nur zu größeren Protesten führten, haben viele Menschen in Syrien Assads anfängliche Versprechen begrüßt und Hoffnungen in ihn gesetzt. Doch sie wurden brutal enttäuscht. Monate lang gab es immer wieder Angebote von großen Teilen der Opposition, mit dem Regime zu verhandeln. Die einzige Vorbedingung war, das Töten und die Verhaftungen von AktivistInnen auszusetzen. Trotzdem ließ sich das Regime darauf an keinem Tag in den letzten 20 Monaten ein. Inzwischen hat sich das Assad-Regime mit seiner anfangs fast gänzlich einseitigen Gewalt, seinen skrupellosen Menschenrechtsverletzungen und seinem tiefen Zynismus gegenüber Leben und Willen der eigenen Bürger so weit diskreditiert, dass nur für einen winzigen Teil der Opposition ein Dialog mit Assad überhaupt in Betracht kommt, allerdings unter genannten Vorbedingungen, die das Regime bisher nicht bereit war zu erfüllen. Eine Übergangsregierung unter Beteiligung Assads würde den Konflikt insofern keineswegs beenden. Auch Menschen, denen es allein um die Verhinderung von Blutvergießen geht, egal zu welchen Bedingungen, können dies nicht sinnvollerweise fordern, wenn sie sich mit der Situation in Syrien beschäftigt haben. Voraussetzung für eine Übergangsregierung müsste ein Rücktritt Assads sein, wie es seine Kollegen Ben Ali und Mubarak vorgemacht haben. Leider hat Assad mehrfach betont, dass er lieber sterben wolle. Persönlich geben wir die Hoffnung nicht auf, dass Russland es schafft, einen solchen Abgang zu organisieren.
3) Mit keinem Wort – und das ist für mich das Allerwichtigste bei diesem Aufruf – werden die offensichtlichen Bestrebungen einer koordinierten Intervention von Außen erwähnt, die ja zur Zeit zwischen den arabischen Ölstaaten (Saudi-Arabien und Katar) einerseits und der NATO durch die Aufstellung von Patriot-Raketen in der Türkei andererseits im Gange sind. Hinzu kommt die westliche Propaganda im Vorfeld einer möglichen militärischen Intervention, das Assad-Regime bereite sich auf den Einsatz von chemischen Waffen gegen das eigene Volk vor. Die täglichen Warnungen westlicher Politiker an das Assad-Regime, keine Chemiewaffen gegen das eigene Volk einzusetzen und die angeblichen Geheimdienstberichte, das Assad- Regime sei dabei, das Nervengift Sarin herzustellen, um sie in Syrien einzusetzen, erinnern an die Lügenpropaganda vor dem Irakkrieg von Colin Powell, das Saddam Hossein-Regime verfüge nachweislich über Massenvernichtungswaffen. Die Unterstellung, das Assad-Regime wolle Chemiewaffen gegen das eigene Volk einsetzen, grenzt an eine Absurdität, die man sich nur in interessierten Geheimdienstkreisen ausdenken kann.
Adopt: In dem Aufruf ging es uns nicht darum die vielfältigen geostrategischen Interessen aufzuschlüsseln. Wir tun das in unserer vierseitigen Zeitung, die am Samstag,den 22.12.2012 in der taz erscheinen wird (und ab dann auch auf unserer Webseite abrufbar ist). Deshalb haben wir es bei einem Satz belassen: „In Syrien kreuzen sich nicht nur türkische, iranische und saudi-arabische Interessen, sondern auch „östliche“ und „westliche“ Außenpolitik.“ Zum Thema Giftgas hat sich Adopt a Revolution-Mitbegründer Elias Perabo bereits im August 2012 in der taz geäußert (http://www.taz.de/!100100/ ). Allerdings widersprechen wir Mohssen Massarrat insofern, als es sich keinesfalls nur um westliche Geheimdienstberichte zu handeln scheint, die einen Einsatz von Giftgas befürchten. Denn auch der Iran hat Assad davor gewarnt, Giftgas einzusetzen.
4) Der Aufruf hüllt sich über die spürbare psychologische Kriegsvorbereitung und die einseitige Berichterstattung im Westen völlig in Schweigen. Jegliche konkrete Forderung, wie der Konflikt ohne Krieg beendet werden kann, was ja eigentlich ein zentrales Anliegen eines friedenspolitischen Aufrufes sein müsste, fehlt im Aufruf. Er enthält auch keine Hinweise, wie wir vom Ausland einen Beitrag für den Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft in Syrien leisten könnten. Die kritischen Hinweise auf Waffenlieferungen und Einmischung von Außen erscheint in diesem Kontext eher als Alibi, um das Wesentliche nicht beim Namen zu nennen.
Adopt: Im Aufruf heißt es „Wir, die UnterzeichnerInnen, hoffen weiterhin auf eine friedliche Lösung. Wir wissen, wie begrenzt unsere Möglichkeiten sind. Doch wir können versuchen, verantwortungsvoll zu handeln.“ Gleichzeitig stellen wir in dem Aufruf detailliert dar, welchen Beitrag die AktivistInnen in den BürgerInnenkomitees leisten und wie eine Hilfe aussehen könnte. Adopt a Revolution unterstützt sie dabei, denn wir halten ihre Basisarbeit für die beste Grundlage für eine demokratische, freie und pluralistische Gesellschaft.
5) Man fragt sich, was medico international mit diesem Aufruf erreichen will. Hat die Fokussierung auf das Assad-Regime mit dem verständlichen Wunsch der Kurden in Syrien zu tun, die nichts gegen eine militärische Intervention der NATO hätten, wenn dadurch dieses Regime fallen würde? Im Irak war es nämlich so! Und kann sich dann die Friedensbewegung bei einem so komplexen Konflikt im Mittleren Osten auf die Solidarität mit einer der Konfliktparteien einlassen und dabei die Möglichkeit eines Krieges, wie er im Falle des Irak mit allen seinen Folgen stattfand, gänzlich ausblenden? Es ist allerdings das gute Recht einer NGO, sich so zu positionieren. Es ist aber mehr als fraglich, diese Haltung nicht offen in einem Aufruf für jedermann erkenntlich zu formulieren. Alle diejenigen, die den Aufruf im guten Glauben unterschrieben haben, sie würden dadurch gegen Krieg als Lösung im Syrienkonflikt Position beziehen (viele mir bekannten Namen unter dem Aufruf deuten auf eben eine solche Antikriegshaltung hin), würden sich massiv hinters Licht geführt fühlen, wenn dieser Aufruf letztlich indirekt eine mögliche NATO-Intervention rechtfertigt.
Adopt: Adopt a Revolution hat sich immer klar gegen eine Nato-Intervention ausgesprochen. Belege dafür sind auf der Website zu finden, aber auch in einem Kommentar in der taz vom 19.10.2012 (https://adoptrevolution.org/taz1910/ ). Das hat sich auch mit diesem Aufruf nicht geändert. Am Rande ist anzumerken, dass die Mehrheit der Kurden in Syrien anders als 2003 im Irak eine Intervention ablehnt.
(Die Position von Adopt a Revolution gibt die Meinung des Kernteams wieder. Wir sprechen damit nicht für Beiratsmitglieder. Medico International hat für sich auf ihrer Website ebenfalls Stellung bezogen: Diskussion um Syrien und Antworten, die gültig bleiben.)