Am 09. Oktober startete die Türkei ihre Offensive in Nordost-Syrien, um ihre geplante “Sicherheitszone” in der Region zu errichten. Das Ziel: Die hier dominierende SDF, die von der Türkei als „Terrorgruppe“ angesehen wird, will Erdogan bekämpfen und in der „Sicherheitszone“ etwa zwei Millionen syrische Geflüchtete, die derzeit noch in der Türkei leben, abschieben.
Am 22. Oktober trafen sich Putin und Erdogan in Sotschi, um über den weiteren Verlauf des Konflikts in Nordost-Syrien zu verhandeln. Das Treffen kam pünktlich zum Ende der fünftägigen Waffenruhe in der Region zustande. Ein Ergebnis des Deals: Die SDF bekommt 150 weitere Stunden Zeit, um sich aus der umkämpften Region zurückzuziehen.
Zudem soll die Türkei nun ein 120 km langes und 32 km breites Gebiet zwischen den Städten Tell Abyad/Girê Sipi und Sere Kaniye/Ras Al-Ain kontrollieren. Das ist zwar weniger, als die ursprünglich von Ankara geplante 444 km weite Sicherheitszone, bietet aber genug Raum für Erdogans Zwangsumsiedlungspläne. Nach dem Rückzug der SDF innerhalb der 150 Stunden sollen türkische und russische Einsatzkräfte die Zone gemeinsam patrouillieren. Außerdem einigten sich die beiden Präsidenten darauf, dass sich die SDF mit ihren Waffen aus Manbij und Tell Rifaat westlich des Euphrat zurückziehen müssen. Dort waren zuvor auf Bitten der SDF syrische Truppen einmarschiert, um die Türkei fernzuhalten.
Win-Win-Situation?
Schaut man sich demnach die Lage an, könnte man meinen, dass aus dem Russland-Türkei-Deal beide Länder als Gewinner hervorgehen. Russland kann sicherstellen, dass einige der Städte im Nordosten Syriens wieder unter die Kontrolle von Assad kommen. Gleichzeitig bekommt die Türkei von Russland die Billigung für ihren Feldzug in Nordost-Syrien. Die SDF muss sich aus großen Teilen des Gebiets zurückziehen, die Errichtung der von der Türkei gewünschten “Sicherheitszone” kann beginnen.
Außerdem einigten sich beide Machthaber auf die “politische Einheit und Integrität” Syriens: Erdogan erkennt Assad damit als rechtmäßigen Präsidenten Syriens an. Für Erdogan ist das eine Niederlage – allerdings eine, sie sich schon lange abzeichnete. Die Anerkennung durch Erdogan erleichtert es dem Regime, sich international zu rehabilitieren.
“Ich glaube, dass das nur eine Vereinbarung war, die den Weg für viele weitere ebnen soll. Die Situation ist demnach sehr schlecht. Dass die Türkei und das Regime sich die Kontrolle nun teilen: Etwas Schlimmeres kann es gar nicht geben”, meint einer unserer Partner aus Qamischli.
Überleben des SDF steht auf der Kippe
Unklar bleibt, wie es mit der SDF und der zivilen PYD-Regierung weitergeht. Die militärische Kontrollfunktion von SDF in der Region ist mit diesem Deal nun sehr fragil. Wohin sich die SDF innerhalb der 150 Stunden zurückziehen wird und ob sie dann tatsächlich noch relevante Kontrolle ausüben kann, ist fraglich. Denn gegenüber Russland und dem Regime hat sie keine Druckmittel mehr. Keiner der Großmächte ist ein Freund der kurdischen YPG, die die SDF mehrheitlich dominiert. Die kurdische Stadt Qamischli soll nun an das Regime übergeben werden. Russland betonte, Gespräche mit den kurdischen Gruppen soll Assad in Zukunft direkt führen. Wie ein mögliches Arrangement zwischen der SDF bzw. der PYD und Assad aussehen könnte, ist noch nicht klar.
Unser Partner aus Qamischli fragt sich derweil, “ob die Institutionen der Selbstverwaltung bestehen bleiben“. Er glaubt, dass „nun alles nach russischem Muster gehen wird. Eine Show-Regierung nach russischen Vorstellungen. Im Klartext: Syrien im Russischen Gewand.”
Putin grinst am breitesten
Für Russland als Schutzmacht von Assads Syrien ist diese Situation ideal. Assad kann nun nicht nur viele strategisch wichtige Teile Nordost-Syriens wieder unter seine Kontrolle bringen. Auch kann Putin sich als friedensstiftende Kraft darstellen als derjenige, der Erdogans Einfluss auf Syrien zumindest eingedämmt hat. Gleichzeitig konnte Putin ihm genügend Zugeständnisse machen, sodass auch Erdogan mit dem Ergebnis zufrieden sein kann.
Das Verhältnis zwischen Russland und der Türkei wirkt damit längst besser als das Verhältnis des Nato-Mitglieds Türkei zu den anderen Staaten dieses Bündnisses sowie zur EU. Putin hat es geschafft, einen Keil in die Nato zu treiben, die Türkei auf seine Seite zu ziehen und den Westen aus Syrien herauszudrängen – wobei für Letzteres vor allem die USA und die EU-Staaten selbst verantwortlich sind. So negativ sich der Einfluss westlicher Staaten in Westasien in den letzten Jahrzehnten auch ausgewirkt hat – der Einfluss Putins, Erdogans und Rohanis wird die Menschenrechtslage in der Region kaum verbessern – ganz im Gegenteil.