Die Not in Idlib ist groß, aber Solidarität und Hilfsbereitschaft sind größer

Ein Tag in Idlib …

… mit unserer Partnerin Souad. Sie ist trotz ihrer Familie und ihres neugeborenen Babys unermüdlich unterwegs, um sich um die Geflüchteten zu kümmern.

Die Not in Idlib ist groß, aber Solidarität und Hilfsbereitschaft sind größer

„Vor ein paar Tagen wurde uns mitgeteilt, dass es eine neue Flüchtlingsunterkunft gibt – ein ehemaliges Gefängnis. Seit der Befreiung von Idlib vor ein paar Jahren wurde dieses ehemalige Regime-Gefängnis nicht mehr genutzt – die Türen wurden herausgeschlagen. Die Situation kann man nur als katastrophal bezeichnen. Das Gefängnis hat sehr hohe Wände, die Decke ist durch Eisenstangen geschlossen. Das allein ist schon beängstigend. Trotzdem hat hier ein kleiner geflüchteter Junge allein Unterschlupf gefunden und schläft in einer der Zellen. An den Wänden findet er immer noch die Botschaften der ehemaligen Gefangenen.

Ein weiteres Problem: Es gibt hier keine Waschmöglichkeiten. Kein Badezimmer oder ähnliches, denn ein Gefängnis ist ja ein Ort der Bestrafung und nicht dazu bestimmt Wohlfühlort zu sein. Alle Zimmer sind dicht nebeneinander, überall sind diese Eisenstangen. Die Atmosphäre an diesem Ort ist bedrückend. Ich glaube, in einem Zelt wären die Menschen besser untergebracht. Dort hätten sie wenigstens etwas Privatsphäre.

In einer Zelle sind jeweils 3-4 Familien untergebracht. Egal wie erschöpft, müde oder krank sie sind – es ist hier unmöglich sich zu erholen, immer sind Menschen um dich herum. Deswegen finde ich ein Zelt gnädiger. Außerdem ist unmittelbar neben dem Gefängnis eine Art Tankstelle. Dort tanken die Menschen, die weiter zur Grenze fliehen wollen, ihre Autos auf. Dadurch ist hier besonders viel Trubel und extrem laut. Von hier bis zur Grenze sind einfach so viele Menschen, ich kann die Dichte an Menschen überall gar nicht richtig beschreiben.

Die Frauen in dem Gefängnis haben mich gebeten, ihre Kinder zu scheren, weil es dort kein Bad gibt. Eine Möglichkeit wäre Wasser mit Feuer warm zu machen, um seine Kinder und sich selbst zu baden. Aber auch dabei hat man einfach keine Privatsphäre. Deshalb bin ich dem Wunsch nachgekommen und habe einen Friseur organisiert, der den Kindern die Haare kurz geschnitten und geschert hat – auch den Mädchen.

Das einzige, das ich dann noch tun konnte, war ein bisschen Geld an die Menschen zu verteilen. Die Leute auf der Flucht haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse und konnten sehr unterschiedliche Dinge mit sich nehmen. Daher brauchen einige Nahrung, andere nur Kindermilch und wieder andere eine Decke. Bei den vielen Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen haben wir uns dafür entschieden ihnen direkt finanzielle Hilfe zu geben. Dazu habe ich eine Liste über die großen (10 Personen) und kleineren (5 Personen) Familien erstellt. Entsprechend der Familiengröße verteilen wir die Unterstützung.

Vom Gefängnis aus bin ich zu einem Camp gefahren, in dem nur Neuankömmlinge untergebracht sind. Die meisten von ihnen konnten endlich fliehen, nachdem ihnen der Weg mehr als zwei Tage versperrt war – sie waren quasi belagert. Denn diese stark bombardierten Orte haben keine Bäckereien oder Supermärkte mehr. Die Menschen sind ohne Proviant geflohen. Sie waren hungrig und wir haben sie mit Essen und Lebensmitteln versorgt. Das trifft vor allem auf die Kinder zu. Die fangen an sich zu beruhigen, wenn man aus der Gefahrenzone raus ist, sobald du ihnen Essen gibst. Ich weiß das noch, als ich vor ein paar Monaten mit meinen Kindern geflohen bin. Sie haben so lange durchgehalten, bis wir den Bombardierungen entflohen waren. Danach war ich wie verrückt damit beschäftigt, Essen für sie zu finden.

Auch dort im Camp ist die Situation total schlimm, die Kinder waren total dreckig als sie dort ankamen. Wir wissen, dass das nicht die Schuld der Mütter ist, wenn die Kinder total verlaust und dreckig sind. Es sind die schwierigen Umstände, die dazu führen. Aus diesem Grund – und weil es hier ebenfalls kein Badezimmer gibt – haben wir auch hier die Kinder geschoren.

Diese Orte sind einfach zu anfällig für die Ausbreitung von Krankheiten, wie beispielsweise Krätze. Es sind einfach zu viele Menschen an einem Ort und niemand kann sich ausreichend hygienisch versorgen. Was ist da anderes zu erwarten?

Das was wir gerade erleben, kann nicht gelöst werden außer, dass die Leute in ihre Häuser zurückkehren dürfen. Es sind zu viele Menschen, wie sollen wir das schaffen? Und wie lange soll diese Situation noch so andauern? Die Internationale Gemeinschaft muss Druck ausüben, damit wir alle sicher in unsere Häuser zurückkehren können. Ich sage das, obwohl ich keinerlei Vertrauen mehr in die International Gemeinschaft habe. Es gibt aber keine andere Lösung. Sollen die Menschen jahrelang unter diesen Umständen und Bedingungen leben? Als die Vertriebenen aus Ghouta, Homs und Daraa hierherkamen, waren die Umstände noch etwas besser. Sie konnten Häuser finden und weiterleben. Aber jetzt ist die Situation anders. Und so viele Menschen hier sind schon mehrmals geflohen.“