Eine junge Leserin der Bibliothek (Quelle: http://www.enabbaladi.org/archives/34061)

Eine Initiative zur Förderung der Lesekultur: die Bibliothek Bayt al-Hikma im belagerten Douma

 “Wir alle sind Gefangene, aber manche von uns haben Zellen mit Fenstern und manche nicht“ Dieses Zitat wurde in eins der Bücher der Bayt al-Hikma Bibliothek in der Stadt Douma geschrieben, die sich in der östlichen Ghouta in den Vororten von Damaskus befindet. Hanin, eine Begründerin der Bibliothek, in der sich Hunderte von Büchern in den […]

Eine junge Leserin der Bibliothek (Quelle: http://www.enabbaladi.org/archives/34061)

 “Wir alle sind Gefangene, aber manche von uns haben Zellen mit Fenstern und manche nicht“

Dieses Zitat wurde in eins der Bücher der Bayt al-Hikma Bibliothek in der Stadt Douma geschrieben, die sich in der östlichen Ghouta in den Vororten von Damaskus befindet. Hanin, eine Begründerin der Bibliothek, in der sich Hunderte von Büchern in den Regalen stapeln, erzählt, dass das Zitat von Abdul-Rahman geschrieben wurde, der ähnliche Zitate mit seiner Geliebten austauschte, indem er sie in Dutzende von Büchern schrieb. „Ich weiß nicht, wie diese Bücher hierhergekommen sind, ob Abdul-Rahman sie verkaufte, bevor er immigriert ist wie viele andere, oder ob er sie gespendet hat“, sagt Hanin.

„Die Art und Weise, wie er kommunizierte, weckte in mir die Vorstellung, dass Abdul-Rahman vielleicht ein Bibliotheksassistent war, und Scheherazade, seine Geliebte, eine regelmäßige Besucherin“, fügt Hanin hinzu. „Wir befanden uns unter Beschuss, aber es war wundervoll diese mit Liebe gefüllten Bücher zu lesen, die schönen Erinnerungen von zwei Menschen zu lesen, die höchst wahrscheinlich aus ihrem Land fliehen mussten“.

Vom Straßenrand in die Regale: Mehr als 3000 Bücher waren der Anfang

Khawla, Verantwortliche für die Bibliothek und Vorstandsvorsitzende, sagt, dass die andauernden Stromausfälle und die Abwesenheit von Kommunikationsmitteln der Auslöser dafür seien, dass die Jugend in Douma nach „gleichzeitig interessanten und nützlichen“ Freizeitbeschäftigungen sucht. Khawla erklärt Enab Baladi, dass die Bibliothek durch die Sammlung von etwa 3000 Büchern entstand, die „kategorisiert und archiviert wurden; die Quelle eines jeden Buches wurde zusammen mit dem Titel und weiteren Informationen verzeichnet. Das Projekt konnte nach zwei Monaten kontinuierlicher Arbeit und Mühe endlich starten; die Bücherei wurde am 6. Juli 2013 eröffnet“.

Laut Khawla ist die Aufgabe der Bibliothek nicht nur, Bücher zur Verfügung zu stellen und ihre Türen für die Leser zu öffnen; eine Reihe von Aktivitäten und Veranstaltungen werden vom Team der Bibliothek organisiert. Der Vorstand ist dabei einen Bücherbasar einzuführen, ähnlich des im letzten Juni stattgefundenen „Spring & Book“. Das Ziel hinter Durchführung eines Bücherbasars ist, den „Büchern ihren wahren Wert zurückzugeben“, sagt Khawla, „indem man sie den Leuten in der besetzten Ghouta zu sozialen Preisen, gemessen am sich verschlechternden Lebensstandard, zugänglich macht. Bücher wurden am Straßenrand verkauft, als die Lebenserhaltungskosten drastisch anstiegen“. Der Zweck des Bücherbasars ist „die Lesekultur zu fördern, Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit von Büchern zu lenken und eine friedliche und zivile Atmosphäre im besetzten Gebiet zu erschaffen; außerdem ist es ein kultureller Meilenstein für das künftige Syrien, ein Schritt in Richtung Wiederaufbau“.

Kulturelles Projekt im „frühen Aufschwung“

Die Bibliothek wurde anfangs von mehreren Organisationen gesponsert; momentan wird sie jedoch nur noch von „Adopt a revolution“ unterstützt, eine 2012 von syrischen und deutschen Aktivisten gegründete Organisation, die zivile Projekte in Syrien fördert.

Der Eingang zur Bibliothek "Bayt al-Hikma" (Quelle: http://www.enabbaladi.org/archives/34061)
Der Eingang zur Bibliothek „Bayt al-Hikma“

Eine der ProjektkoordinatorInnen von Adopt a Revolution betont die Wichtigkeit kultureller Projekte in der sich verschlechternden Situation Syriens; sie bieten „einen alternativen Rückzugsort, fern von den Erlebnissen und Erinnerungen des andauernden Krieges von Assad gegen die Zivilisten in Ghouta; sie fördern die Meinungsvielfalt“.

Weiterhin fügt sie hinzu, dass der Effekt des frühen kulturellen Wiederaufbaus, den die Bibliothek bietet, eine Basis für alle zukünftigen positiven Initiativen darstellt. Es ist „ein nachhaltiges Projekt, und das Team besteht aus wunderbaren Leuten“.

Für alle Wissbegierigen

Bayt al-Hikma erreicht als erste Bibliothek in der östlichen Ghouta an einem „normalen“ Tag (ohne Bombardierungen) durchschnittlich 80 Leser, erzählt Khawla. Die Besuchszeiten sind in zwei Abschnitte unterteilt, eine von 9 bis 15 Uhr für Frauen, die andere von 15 bis 20 Uhr für Männer. Nada, eine regelmäßige Besucherin der Bibliothek und Studentin der Arabischen Literatur, sagt: „Bayt al-Hikma ist der Zielort für alle Wissbegierigen; es ist eine inklusive Bibliothek“, und fügt hinzu, dass die Buchcover den unterschiedlichen Interessen der Leser entsprechen. Ein anderer Besucher der Bibliothek weist darauf hin, dass die Informationen in der medizinischen Abteilung der Bibliothek genutzt werden könnten, um Verletzten in der Stadt zu helfen – die sich seit 36 Monaten unter kontinuierlicher Bombardierung befindet. Andere Besucher drücken ihre Wertschätzung der Bibliothek und anderer kultureller Projekte aus, denn „sie befreien uns von der Belagerung, unter der wir uns befinden; sie ermöglichen uns zu Lesen, zu Lernen und uns weiterzuentwickeln“.

Nicht nur Lesen

Khawla betont, dass die Bibliothek auch jedem zur Verfügung steht, der einen Vortrag halten will oder eine Besprechung abhalten möchte. Verschiedene Organisationen haben die Bibliothek bereits für Veranstaltungen gemietet. Es ist ein Platz, der hervorragend geeignet ist für Zusammenkünfte, zugleich verströmt er kulturelles Flair. „Bei allen Buchungen wird vereinbart, die Örtlichkeit so zu hinterlassen, wie man sie vorgefunden hatte“, fügt Khawla hinzu.

Der Geschäftsführer des Tanmiya-Centers Muhammad Khier Albaghal bestätigt: „Das Center profitiert von der Bibliothek, weil die mit dem notwendigen Equipment ausgestattet ist, das für Vorlesungen, Veranstaltungen und das Abhalten von Kursen benötigt wird. Albaghal erachtet die Bibliothek und die anderen Projekte als ein “innovatives Buch-Konzept, das sich entfernt hat von dem traditionellen Konzept des Bücherstapelns auf Regalen.“

Private Bibliotheken in weiter Ferne
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Es gibt viel Auswahl für die LeserInnen

Abo Adnan, ein Lehrer und Kalligraph aus Douma, betont, dass die Bibliothek Bayt al-Hikma “innovative und vielfältige Lehrwerke über Erziehung und Pädagogik zur Verfügung stellt“. Er appelliert an das lokale Komitee und an Bildungseinrichtungen der Stadt die Projekte der Schulbibliothek zu unterstützen da „die privaten Bibliotheken für die Studenten nicht zugänglich sind.“ Ali Alkahhal, ein Lehrer am Rowad Alhuda Educational Institute, sagt, dass die Studenten vom Institut die Bibliothek häufig besuchen um „ihr Wissen zu erweitern.“ Dies – so Alkahhal – sei für die Studenten ein zusätzlicher Zugang zu Information in einem Klima des Macht- und Kommunikationsvakuums. „Ich wünsche mir, dass derlei kulturelle Projekte ausgedehnt werden auf die östliche Ghouta und andere vom Regime befreite Gebiete in Syrien.“

Samer Bwidani, stellvertretender Vorsitzender des lokalen Komitees in Douma, streicht heraus, dass die Bibliothek eine großartige Initiative sei und empfiehlt allen Studenten, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und diese wertvolle Quelle zu nutzen. Bwidani bemerkt weiterhin, dass das lokale Komitee in Douma derzeit „ein Kultur- und Sportzentrum errichtet, das später auch in der restlichen Ghouta installiert werden soll.“

Projekte des Ministeriums und Haushaltsdefizite
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Samah Hidaya, Ministerin für Kultur und Familie der syrischen Interimsregierung

Das Ministerium für Kultur und Sport der Syrischen Übergangsregierung organisiert eine ganze Reihe von kulturellen Veranstaltungen in den türkischen Grenzstädten wie Ghaziantep und Kilis, zusätzlich sponsert es eine Reihe an Projekten innerhalb Syriens. Samah Hidaya, Ministerin für Kultur und Familie, sagt, dass das Ministerium sehr gut über die durchgeführten Projekte in Syrien informiert sei. „Allerdings stellt sich das Ministerium die Frage, ob es möglich ist, mit den Initiatoren der Projekte so zu kooperieren, dass diese unterstützt werden können.“

So erläutert Samah Hidaya: „Das Ministerium sucht nach Wegen, Projekte sowohl in der östlichen Ghouta als auch in der westlichen zu verwirklichen.“ Die Ministerin – die erst vor vier Monaten ihr Amt antrat – führt das Fehlen von Initiativen des Ministeriums in diesen Gebieten auf den eingeschränkten Aktionsradius sowie auf die sich stetig verschlechternde Finanzsituation während den letzten vier Monaten zurück. Gleichzeitig betonte die Ministerin, dass “Bayt al-Hikma mit dem Ausgangspunkt in dem Damaszener Vorort Douma ein Teil unseres Projektes in dieser Gegend rund um die Ghouta werden könnte. Hidaya kündigt an, dass die Arbeit in den befreiten Gebieten Syriens bald beginnen werde. „Wir haben vorgeschlagen ein Kulturreferat zu errichten, das das syrische Kulturministerium repräsentieren soll. Aktivitäten wie Kunstausstellungen, Sport, Kino oder Lesungen bis hin zu Frauen- und Jugendfürsorge könnten dort koordiniert werden.“

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Gefüllte Regale stehen den Wissbegierigen hier offen

“Das Projekt wird durch das Ministerium beaufsichtigt; die Projektstudie ist fertig und wir erwarten die benötigten Gelder um loszulegen“ sagt Hidaya. Bayt al-Hikma ist ein wichtiges Projekt für den Wissenstransfer und stellt eine machbare Alternative zur Universität dar, so beschreiben es viele Studenten, denen mit der Eskalation des Krieges die Fortsetzung ihres Studiums unmöglich geworden war.

Abschließend richtet sich Hanin an Abdul-Rahman und Scheherazade: “Ich weiß nicht, wo Ihr jetzt seid, aber ich hoffe wirklich, dass Eure faszinierende Geschichte ein Ende findet, das genauso tiefgründig wie Eure Seelen ist. Ich hoffe, wir werden uns eines Tages treffen und dann will ich Euch Eure wertvollen Bücher zurückgeben. Passt auf Euch auf und fühlt Euch in Liebe umschlungen.“

Die Bibliothek „Bayt al-Hikma“ unterstützt Adopt a Revolution seit Frühjahr vergangenen Jahres. Damit ist sie eines von den seit 2011 durch Adopt a Revolution geförderten Projekten, mit denen die AktivistInnen in Syrien den Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Bewegung für Demokratie und Freiheit vorantreiben. Sie stellen sich mit ihren Projekten genauso gegen die Assad-Diktatur wie gegen dschihadistischen Terror. Helfen Sie mit!

Zivilgesellschaft in Syrien stärken!

Bei Interesse gibt es hier die arabische Multimedia Version.

Dieser Beitrag ist eine Übersetzung der englischen Version dieses Artikels, der von der Zeitung “Enab Baladi” aus Daraya verfasst wurde. Der Artikel erschien in der Onlineversion der “Enab Baladi” am 26.05.2015, die hier verwendeten Bilder sind diesem entnommen. Wir veröffentlichen die Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Zeitung, die eine der ersten “Untergrundzeitungen” der Syrischen Revolution war. Damit war “Enab Baladi” eine der ersten alternativen Stimmen in Syrien.