Entvölkerung von „Rebellen-Gebieten“ als Kriegsstrategie- Presseschau vom 10. März 2011

Joshua Hersch analysiert in The New Republic die Auswirkungen der jüngsten Bombardierungskampagne des syrischen Regimes auf Aleppo. Das ultimative Ziel des Regimes sei es, die Zivilbevölkerung in von Rebellen gehaltenen Gebieten durch die Anwendung von Gewalt (Bombardierungen und Aushungern) zu vertreiben und diese Gebiete anschließend einzunehmen. Der Mitarbeiter einer humanitären Organisation beschreibt die Auswirkungen auf […]

Joshua Hersch analysiert in The New Republic die Auswirkungen der jüngsten Bombardierungskampagne des syrischen Regimes auf Aleppo. Das ultimative Ziel des Regimes sei es, die Zivilbevölkerung in von Rebellen gehaltenen Gebieten durch die Anwendung von Gewalt (Bombardierungen und Aushungern) zu vertreiben und diese Gebiete anschließend einzunehmen. Der Mitarbeiter einer humanitären Organisation beschreibt die Auswirkungen auf Aleppo als „largest movement of population since the war began“. Bis zu einer Viertel Millionen Menschen seien aus dem Osten der Stadt Aleppo Richtung Norden geflohen- teilweise in vom Regime kontrollierte Gegenden. Die gesamte Infrastruktur in den von Rebellen kontrollierten Gegenden in und um Aleppo sei zusammengebrochen: Lokale Räte, welche dabei halfen, die Stadt zu verwalten; Hilfsorganisationen; Bäckereien: „There’s been areas that are just completely emptied out—not a living soul“, berichtet der Mitarbeiter weiter.

Mit dem Rückzug von Regierungsstrukturen wie etwa im Bildungssektor sind in Syriens „befreiten Gebieten“ neue Räume entstanden. Die libanesische Zeitung Al-Akhbar, welche entlang der syrischen Regimeperspektive berichtet, zeichnet ein eher dunkles Bild der alternativen Bildungsstrukturen. Laith al-Khatib behauptet, dass in den meisten Gebieten um Damaskus die Bildungsarbeit zum Stillstand gekommen sei. Nur in Ost-Ghouta würde noch unterrichtet- und das von Islamist_innen. Die Schüler_innen bekämen nun religiöse Predigten statt regulärer Bildung vermittelt. Eine Lehrerin berichtet zudem, dass die Kämpfer_innen der FSA falsche Prioritäten gesetzt hätten, wenn es ihnen eine Zeit lang nur darum gegangen sei, dass die Kinder nicht in Regimeschulen gingen und deswegen Schulbusse vom Passieren abgehalten hätten.

Die mit Unterstützung von adopt a revolution abgehaltene Veranstaltung zu alternativen Bildungsstrukturen in Syrien im Februar 2014 gibt ein differenzierteres Bild. Das Video der Veranstaltung (Teil 1, Teil 2, Teil 3) gibt Einblicke in die Bildungssituation im Süddamaszener Viertel Yarmouk. In den vielen alternativen Schulen werden Jungs und Mädchen gemeinsam unterrichtet. Abdallah al-Khatib berichtet im Videointerview aus Yarmouk, wie die Schüler_innen durch die neuen Möglichkeiten an Ausdrucksfreiheit etc. eine neue Einstellung zur Institution Schule gewinnen. Im zweiten Videointerview aus Aleppo berichtet Ziad Hamoud über die Herausforderungen, die für die alternativen Strukturen durch Islamist_innen besteht. Trotzdem bleibt er optimistisch: „Es kann sein, dass diese aktuellen Bildungsstrukturen, viele negative Erfahrungen mit sich gebracht haben. Gleichzeitig hat sie aber auch viele positive Erfahrungen hervorgebracht. Wir sind ja immer noch am Ausprobieren. Ich vermute, dass diese hoffnungsgebenden Erfahrungen, eine vorläufige Bildungsstruktur erzeugen, an welcher man in der nächsten Phase arbeiten kann.“

Der palästinensische Filmdirektor Muhammad Bakri (Regisseur des Film Jenin Jenin) hat nun seinen neusten Kurzfilm veröffentlicht (Link zum Film hier). Der 8-minütige Film trägt den Titel „Yarmouk“ und zeigt wie eine Familie aus Yarmouk unter den Umständen des Kriegs in Syrien lebt. Der Film beginnt mit den Worten: „The bloody events of Syria 2011, caused hundreds of thousands to flee facing possible starvation.” Im Zuge der Geschichte des Films verkauft der Vater seine Tochter. Anschließend- wohl vom nun erhaltenen Geld- bringt er seiner Familie Tüten mit Essen nach Hause. Der Film schließt mit den Worten „to the Arab nation“. Dem Film ist heftige Kritik entgegen geschlagen. Die Geschichte des Verkaufs der Tochter sei „eine Verkürzung der Katastrophe, die das Volk angesichts von Belagerung, Tötung, Verhaftungen, und der Politik des Aushungerns erlebt“. Nach drei Jahren Schweigen sei der Film eher eine Verzerrung der Tatsachen und man fordere eine Entschuldigung.

Die Aktivist_innen in Yarmouk setzen aber auf ein anderes Werkzeug, um ihre Kritik auszudrücken. Mit ihrer Kampagne setzen sie darauf, ihr Bild der Ereignisse in Yarmouk zu präsentieren: „Lasst uns auf unsere Weise [auf den Film] reagieren und die Arbeit des Künstlers Hassan Hassan aus dem Camp verbreiten“. Der syrisch-palästinensische Künstler aus Camp Yarmouk war Ende 2013 in einem Regimegefängnis zu Tode gefoltert worden (Nachruf auf Hassan Hassan hier). Er hatte mit der Gruppe Ridd Fa´il in Sketchen immer wieder den [Kriegs]Alltag des Camps auf seine Weise porträtiert. Die Kampagne ruft dazu auf, dass man auf der eignen Facebook-Seite die Worte „Hassan antwortet dir“ schreibt und anschließend den Link zum eigenen Lieblingssketchs Hassan Hassans zu Yarmouk. Der Alltag in der Belagerung wird in diesem Video geschickt aufs Korn genommen.

Für Jadaliyya hat Malihe Razazan mit dem syrischen Frontline-Korrespondenten Muhammad Ali über dessen jüngste Reportage gesprochen. Ali berichtete über seinen Trip nach al-Atarib, in der Nähe von Aleppo, welchen er als „Selbstmord-Mission“ charakterisiert. Hier kann man sich das 30-minütige Interview anhören.

Fajar-Press, eine Gruppe von Medienaktivist_innen aus Yarmouk, zeigt einen Report über die Friedhofsmitarbeiter_innen des lokalen Friedhofs. Sie berichten darüber, dass sie alleine in Januar und Februar 2014 200 Leichen begraben mussten. In einigen Teilen des Friedhofs sind 90% der Todesursachen auf Unterernährung und Hunger zurückzuführen, erklärt einer der Mitarbeiter. Gerade letztere Todesursache hat dazu geführt, dass es auf dem Friedhof immer mehr Massengräber gibt.

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