Die drei Gründerinnen von Sawiska: Ebtisal Alhasan, Andera Wlika, Najla Temo (v.l.n.r.)

„Frauen sind das Ziel ihrer Gewalt!“

Frauenorganisationen und ihre Arbeit in Nordostsyrien sind der Türkei ein Dorn im Auge. Doch die drei Gründerinnen von Sawiska lassen sich davon nicht einschüchtern. Wie wichtig ihr Engagement ist, zeigen sie im Interview.

Die drei Gründerinnen von Sawiska: Ebtisal Alhasan, Andera Wlika, Najla Temo (v.l.n.r.)

Ihr habt 2011 das Frauenzentrum Sawiska gegründet. Wie kam es dazu und welche Rolle spielt das Frauenzentrum in Nordostsyrien heute?

Wir haben Sawiska im Zuge des Revolutionsausbruchs und der darauffolgenden gewaltsamen Reaktion des Assad-Regimes gegründet. Damals entstanden viele organisierte Frauengruppen, weil uns allen klar war: Krieg wird die Situation insbesondere für Frauen und Kinder verschlimmern. Das gilt damals wie heute. Wir haben uns seitdem stark professionalisiert. Heute ist unser Frauenzentrum im Nordosten Syriens nahe der türkischen Grenze eine wichtige Institution für Frauen in der Region. Es dient als Treffpunkt, Schulungszentrum und Basis für die zahlreichen Aktivistinnen, die von hier aus in entlegene Dörfer und Camps reisen, um Frauen lang- und kurzfristig zu unterstützen.

Ein Fokus eurer Arbeit liegt auf der ökonomischen Stärkung von Frauen. Warum ist das so wichtig?

Viele Männer haben den Krieg nicht überlebt. Das macht Frauen oft zu Alleinversorgerinnen. Viele haben keine beruflichen Qualifikationen, deshalb bieten wir praktische Kurse an, um ihnen die finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen. Dabei achten wir darauf, die Schulungen an die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen und die Frauen da abzuholen, wo sie stehen. Manchmal sind es Computerkurse, manchmal handwerkliche Trainings. 

Arbeitet ihr dafür auch mit anderen lokalen Organisationen zusammen? 

Das tun wir. Im vergangenen Jahr haben wir zusammen mit anderen Organisationen eine Kampagne gestartet, um arbeitende Frauen in der Privatwirtschaft zu unterstützen. Dort gibt es keine klaren Strukturen, viele von ihnen haben keine Arbeitsverträge, weil die Unternehmen nicht dazu verpflichtet sind. Unsere Aufklärungskampagne verbreitete sich wie ein Lauffeuer.  Seitdem wächst der Druck auf verschiedenen Ebenen, auch medial und politisch. Wir fordern reguläre Arbeitsverträge, einen Mindestlohn und sowohl eine Kranken- als auch eine Sozialversicherung. 

Wie weit seid ihr damit gekommen? 

Wir haben direkte Gespräche mit der Selbstverwaltung auf verschiedenen Ebenen geführt, darunter mit den Zuständigen für Frauenrechte und Arbeitsrechte. Beide Institutionen haben Lücken im Gesetz und Handlungsbedarf anerkannt. Der Schutz von Frauenrechten ist nun im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben, aber die Umsetzung steht noch aus. 

Wie stärkt ihr die politische Wirksamkeit von Frauen?  

Wir bieten Kurse im Themenbereich “Frieden und Dialog” an und informieren über regionale Landesgesetze und internationale Abkommen. Uns geht es darum, Frauen nicht nur ihre Rechte zu vermitteln, sondern auch, wie sie aktiv an politischen Prozessen teilnehmen können. Das beinhaltet praktische Fähigkeiten wie Verhandlungsführung und Kompromissfindung.

Auf der einen Seite kämpft ihr darum, Frauenrechte festzuschreiben. Auf der anderen Seite müssen diese dann auch beachtet werden. Gibt es Optionen bei Rechtsverstößen?

Wir ermutigen Frauen, sich juristisch zu wehren, wenn ihre Rechte verletzt werden. Wir werden dafür noch in diesem Jahr eine Rechtsberatung in unserem Zentrum einrichten, damit jederzeit Anwält*innen vor Ort sind, die Frauen in Gerichtsprozessen umfassend unterstützen.  In jedem Projekt denken wir immer die rechtliche Dimension mit und bieten Workshops dazu an. Dabei achten wir auf die unterschiedlichen Bildungsniveaus und Hintergründe der Teilnehmerinnen, damit der Inhalt für alle zugänglich und verständlich ist. Themen bei denen juristische Aufklärung unabdingbar sind, sind z. B. Ehrenmord, Erbrecht, Heirat und Scheidung. Unser vorrangiges Ziel ist es, insbesondere in den Dörfern und Flüchtlingscamps präsent zu sein, wo Frauenrechte oft vernachlässigt werden und kaum existieren.

Die Lebensumstände sind gerade in den Flüchtlingslagern äußerst schwierig. Wie vermittelt ihr Frauen, die buchstäblich um ihr Überleben kämpfen, die Bedeutung von Frauenrechten in einer solch prekären Situation?

Frauenrechte sind bei unseren ersten Kontakten mit Campbewohnerinnen kein Thema. Wir legen erst einmal großen Wert darauf zuzuhören und die Herausforderungen der jeweiligen Frau zu verstehen. Sprechen ist sehr wichtig. Deshalb initiieren wir intensive Gespräche darüber, wie die Frau mit der aktuellen Situation umgehen kann – sei es in Bezug auf Kindererziehung oder andere Aspekte. Wir bieten psychosozialen Support an und stellen auch Hilfspakete bereit. Es ist ein Türöffner für einen nachhaltigen Prozess. Über Frauenrechte sprechen wir erst nach und nach miteinander.

Ihr habt schon viel bewegen können in den vergangenen Jahren. Seht ihr die Errungenschaften für Frauen und die weitere Arbeit in Nordostsyrien in Gefahr durch die kontinuierlichen Angriffe der Türkei?

Es kommt durchaus immer wieder vor, dass wir aufgrund der türkischen Angriffe unsere Tätigkeiten pausieren müssen. Aber unsere Arbeit war noch nie einfach.  Die türkische Besatzung in Afrin gewährt Frauen kaum Rechte. Uns erreichen immer wieder Berichte über Vergewaltigung, Entführung, Folter und andere Formen der Gewalt durch die türkischen Besatzer und ihre islamistischen Söldner. Auch hier bei uns im Nordosten sind Frauen nicht sicher vor dem langen Arm der Türkei. Einige wurden bereits durch Drohnenangriffe getötet. Wer Frauen so ins Visier nimmt, hat im Grunde Angst vor ihrer Stärke.  Wir haben uns hier viele Freiheiten erkämpft: gegen den IS und patriarchale Machtstrukturen. Wir werden nicht ruhen, bis überall Gleichberechtigung herrscht.