Gasangriffe ohne Folgen, Kampagnen gegen Verbrechen

Einhundert Jahre, nachdem deutsche Truppen während des Ersten Weltkriegs in Ypern zum ersten mal Chlorgas einsetzten, stellt das Syrian Network for Human Rights in einem kürzlich veröffentlichten Bericht nicht weniger als 28 Giftgasangriffe allein in diesem Jahr fest. Die Organisation zählte ebenfalls über 87 Attacken mit insgesamt 59 Toten und 1480 Verletzten, seit der UN-Sicherheitsrat […]

Einhundert Jahre, nachdem deutsche Truppen während des Ersten Weltkriegs in Ypern zum ersten mal Chlorgas einsetzten, stellt das Syrian Network for Human Rights in einem kürzlich veröffentlichten Bericht nicht weniger als 28 Giftgasangriffe allein in diesem Jahr fest. Die Organisation zählte ebenfalls über 87 Attacken mit insgesamt 59 Toten und 1480 Verletzten, seit der UN-Sicherheitsrat am 27. September 2013 die Resolution 2118 verabschiedete, welche bei einer Weigerung des syrischen Regimes, auf Chemiewaffen zu verzichten, Zwangsmaßnahmen in Aussicht stellt. Die ernüchternde Schlussfolgerung der Aktivisten ist, dass – solange die Regierung immer nur geringe Mengen an Gas einsetzt, die nicht wie 2013 in Ghouta 1100 Menschen auf einmal töten – der Sicherheitsrat nicht gewillt ist, zu handeln.

Auf die anhaltenden Gasangriffe in Syrien weist auch die Kampagne #Breathless hin, die zum Ypern-Gedenktag einen offenen Brief von Überlebenden von Giftgasattacken in Syrien, Irak, Iran und Kurdistan veröffentlichte. Darin appellieren die Unterzeichnenden an die europäischen Regierungen, Maßnahmen zu treffen, die für ein Ende der Giftgasangriffe in Syrien und Hilfe für Ghouta und andere betroffene Städte sorgen. Außerdem sollen europäische Firmen zukünftig davon abgehalten werden, mit Materialien und Technik zum Bau von Chemiewaffen zu handeln.

Besonders in Idlib werde nach den jüngsten Verlusten der Regierungstruppen vermehrt Chlorgas eingesetzt, wie Foreign Policy berichtet. Ein Augenzeuge beschreibt dort, wie eine Familie in Sarmin vor den Fassbomben des Regimes in ihren Keller flüchtete. Da das Giftgas schwerer ist als Luft, sank es in ihr Versteck und wurde allen sechs FamilienmitgliederInnen zum Verhängnis. Zusätzlich sehen sich die wenigen Ärzte, welche unter schwierigsten Bedingungen die Opfer solcher Angriffe behandeln, gezielten Angriffen auf Krankenhäuser und Feldlazarette ausgesetzt, wie Physicians for Human Rights dokumentieren. In einer konservativen Schätzung weist die Organisation darauf hin, dass seit Beginn des Krieges mindestens 610 Tote beim medizinischen Personal sowie 233 Attacken auf medizinische Einrichtungen zu beklagen sind.

In Deir ez-Zor wurde kürzlich die Kampagne Deir ez-Zor Under Fire gestartet. AktivistInnen wollen Verbrechen gegen Zivilisten dokumentieren und publik machen. Seit die Stadt im Osten Syriens im Juli vergangenen Jahres von Truppen des Islamischen Staates eingenommen wurde, werden zivilgesellschaftliches Engagement unterdrückt und AktivistInnen gezielt verfolgt. Durch Berichte, Fotos und Videos will Deir ez-Zor Under Fire die Nachrichtensperre, welche durch IS über de facto die gesamte Stadt verhängt wurde, brechen, und zu Solidarität aufrufen.

Am vergangenen Freitag gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass sie ab dem 4. Mai in Genf getrennte Gespräche mit den Konfliktparteien führen wollen, wie die Zeit berichtet. Vor bald drei Jahren waren die ersten gemeinsamen Gespräche mit Vertretern der Regierung und der Opposition ergebnislos verlaufen.

Zeitgleich haben die Kämpfe in den letzten Tagen den Regierungstruppen im Nordwesten Syriens weitere Verluste eingebracht. Unter der Führung von Jabhat An-Nusra sollen über zehntausend Kämpfer der Jaish al Fath, ein breiter Zusammenschlusses mehrerer islamistischer Brigaden, eine Offensive auf die Nachschublinie des Regimes zwischen Latakia an der Küste und der Provinz Idlib begonnen haben, so NOW News. Sollte der Angriff erfolgreich sein, könnten die Truppen der Jaish al Fath weiter in die Provinzen Hama oder Latakia vorstoßen. Freitagnacht war das erste Ziel der Offensive, die strategisch bedeutsame Stadt Jisr ash-Shughur, von den oppositionellen Kräften erobert worden, wie das Syrian Observatory for Human Rights dem Beiruter Daily Star bestätigte. Die Stadt hatte der Regierung als provisorische Hauptstadt der Provinz Idlib gedient, nachdem die Stadt Idlib selbst Ende letzten Monats unter die Kontrolle der An-Nusra – Front geriet.

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