Ist die neue Opposition Träger der Hoffnung, Marionette der USA oder Hort des Islamismus? Ein Überblick

Syriens Opposition hat eine neue Vertretung. Wie gut die ist, darüber scheiden sich die Geister. Zumindest repräsentiert sie die Opposition im Land deutlich besser als der Syrische Nationalrat (SNC), der bisher als offzielle Vertretung agierte, aber immer mehr an Autorität verlor. Prominente Vertreter des SNC waren zurückgetreten, weil Absprachen nicht eingehalten wurden. Auch die Dominanz […]

Syriens Opposition hat eine neue Vertretung. Wie gut die ist, darüber scheiden sich die Geister. Zumindest repräsentiert sie die Opposition im Land deutlich besser als der Syrische Nationalrat (SNC), der bisher als offzielle Vertretung agierte, aber immer mehr an Autorität verlor.

Prominente Vertreter des SNC waren zurückgetreten, weil Absprachen nicht eingehalten wurden. Auch die Dominanz der Muslimbrüder innerhalb des SNC, bemängelten viele. Die Kritik an der Uneinigkeit innerhalb der syrischen Opposition war in den vergangenen Wochen immer lauter geworden. Schließlich kündigte die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton ihre Unterstützung für den SNC auf. Die Lokalen Koordinierungskomitees, die als wichtigsten Basis im Land bisher im SNC organisiert woren, verließen das Netzwerk. In ihrer Erklärung kritisierten sie allerdings auch das Eingreifen von Clinton.

Nun haben sich vergangene Woche unter der Schirmherrschaft der USA und Qatars zahlreiche Oppositionsgruppen in Doha getroffen, um eine neue offizielle Vertretung zu schaffen. Am 11. November gründeten sie die “Nationale Koalition syrischer Revolutionäre und Oppositions-Kräfte”. Als Präsident wurde der Imam Moaz Al Khatib gewählt. Die Vizepräsidenten sind die säkulare Menschenrechtsaktivistin Suhair al Atassi und der liberale Unternehmer Riyad Seif. Das Amt eines dritten Vizepräsidenten soll mit einem Kurden besetzt werden.

Die arabische Liga und Frankreich haben die Nationale Koalition bereits als legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt. In Presse und Blogs sind die Reaktionen gemischt. Einige halten das Präsidenten-Team für ausgewogen und eine echte Repräsentanz der Revolution. Andere kritisieren den starken US-Einfluss. Wieder andere halten Al Khatib für zu islamistisch. Und schließlich gibt es auch Kritik an den Wahlen.

Der Blogger Qunfuz hält die drei Köpfe der Koalition für eine ausgewogene Wahl: Der Imam Moaz Al Khatib sei islamistisch genug, um gemäßigte Salafisten anzusprechen und liberal genug, um Säkulare nicht zu verschrecken. Für die andere Seite stehe Suhair al Atassi, Tochter eines Gründers der Baath-Partei, Menschenrechtsaktivistin, säkulare Feministin und seit Anfang an innerhalb der Lokalen Koordinierungskomitees Revolutionsaktivistin. Qunfuz Urteil: Jemand von ihrer Sorte hätte die Revolution von Anfang an vertreten sollen. Zum ersten Mal seit Langem empfinde er Hoffnung. Beschämend findet Qunfuz allerdings, dass es äußeren Druck auf die syrischen Eliten brauchte, um endlich eine echte Vertretung der Revolution zusammenzustellen.

Der Blog The Arabist hat eine Analyse von Haitham Al Manaa vom Nationalkomitee für demokratischen Wandel ins Englische übersetzt. Was Al Manaa über Al Khatibs Ansichten schreibt, hört sich weniger gut an: Al Khatib habe die Kairoer Erklärung abgelehnt mit der Begründung: “I will be the first person to withdraw when there is an item that contradicts the creed of the enduring Umma.” Damit meine er, so Al Manaa die Entweihung der öffentlichen Aktion durch die Anerkennung, dass Menschen verantwortlich sind für ihre Handlungen und die rechtliche Gleichstellung aller syrischen Bürger. Außerdem beunruhigt Al Manaa, dass Al Khatib seine friedliche und auf Verhandlungen gerichtete Haltung nach seiner Wahl geändert habe.

Mohanad Hage Ali hat sich Al Khatibs Website angesehen und ist noch deutlicher alarmiert. In Foreign Policy schreibt er, darauf fänden sich antisemitische Aussagen, wie dass die Juden “Anbeter des Goldes” seien, sowie anti-schiitsche Äußerungen, die Schiiten Lügen und Ablehnung (des Islam?) unterstellen. Zudem sei Khatib ein großer Anhänger des umstrittenen Fernsehpredigers Jusuf Al Qaradawi, der Selbstmordattentate rechtfertigt.

Dem widerspricht Amar Abdulhamid auf seinem Blog Syrian Revolution Digest nicht, findet es aber weniger problematisch: “For a culture steeped in confessional prejudice, moderation does not mean complete lack of prejudice, but the ability to rise above it and advocate policies that can work for all communities. Mouaz might have made, at one point or another in the course of his public career, or even recently, statements that smack of anti-Semitism or confessional bias, but his entire public career so far has been a constant attempt to try to rise above prejudice and reach out to the other sides of the equation, while maintaining influence and relevance in his own camp.”

Der Blog Syrian Revolts zitiert zwei Mitglieder des SNC, die in der neuen Vertretung allein den Plan der USA verwirklicht sehen. Der Blogger selbst scheint für die USA Verständnis zu haben. Die USA hätten Angst vor einer Zunahme von Al Qaida-Gruppen und wollten vor allem das Chaos reduzieren.

Ganz andere Kritikpunkte hat der Geschichtsprofessor Amr Al Azm. Der neuen Koalition fehlten Programm und Strategie und die Organisationsstruktur berge noch viele Herausforderungen, schreibt er auf Syrian Comment. So sei die echte Anzahl der SNC-Mitglieder größer als die vereinbarte Zahl (22 Sitze von 65), da viele wie Riyad Saif nicht offiziell als Mitglieder gelistet seien, dem SNC aber angehörten. Zudem wären die Regionen unzufrieden mit ihrer nun gewählten Vertretung (14 Sitze), weil die Menschen vor Ort nicht gefragt wurden. Und schließlich seien einige wichtige Oppositionsgruppen wie das Nationale Koordinierungskomiteee nicht Teil der Koalition.

Die Antrittrede von Scheikh Moaz Al Khatib ist auf dem Blog Levantine Dreamhouse ins Englische übersetzt. Darin spricht er die Frage der Islamisierung der Revolution an und kündigt Gerichte an, die mit extremen Verhalten umgehen: “Oh brothers, and I take full responsibility for what I say, every fighter is looking for freedom but some are driven to extremes by the savagery of the regime’s forces. Efforts are underway by legal councils to regulate the behavior of the rebel fighters even when it comes to their dealings with enemies.  This revolution uses “takbir”(the chanting of Allah is great) in all its corners, not to push anyone away for our brothers from all faiths are our partners. Many of our Christian brothers have joined us as we started demonstrating from within mosques and chanted “Allahu Akbar” in the face of the tyrant. (..) At the wake of the first martyrs in Douma, it was made very clear that we are demanding freedom for every Sunni and Alawi, every Christian and Durzi, every Ismaili and Syriani.  We feel the pain of every one of them, from the injustices perpetrated against our Arabism to the injustices perpetrated against the great Kurdish people and to the injustices dealt to every segment of our society. (..) Thirdly, the revolution distances itself from the idea of revenge against anyone and there will be judiciary committees to hold accountable anyone who commits crimes against innocent citizens.  I also plea, knowing that many Syrian army officers and soldiers are honorable people suppressed by iron and fire as we all were.

Zum Schluss wendet Al Khatib sich an die internationale Gemeinschaft und bittet um humanitäre, politische und wirtschaftliche Hilfe: “We call on the international community, on its governments to honor pledges of help to our people.  Our people, Oh brothers, are not a primitive or marginal people, they are the makers of a great civilization and when our people’s rights are returned they will rise again and create a great civilization after the fall of the regime.  We ask for all forms of humanitarian, political and economic support.” In diesem Sinne dankt er den Regierungen von Qatar, Saudi Arabien und den Vereinigten Emiraten, sowie “unseren türkischen Brüdern” und “unseren Brüdern” in Libyen, Jordanien und Ägypten.
feed_iconUnsere tägliche Syrien-Presseschau als RSS-Feed abonnieren.

Für eine wöchentliche Zusammenfassung unserer Beiträge im Syrischer Frühling-Blog schicken Sie uns doch einfach eine Email an: newsletter[ätt]adoptrevolution.org.

Dieser Beitrag ist lizensiert als Creative Commons zur freien Verwendung bei Namensnennung. Bei kommerzieller Weiterverwendung bitten wir um eine Spende an Adopt a Revolution.