Kunst inmitten des syrischen Bürgerkriegs

Die Revolution in Syrien jährt sich am 22.03.2014 nun zum dritten Mal. Die mediale Berichterstattung über den Bürgerkrieg ist von gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und dem Regime geprägt. Dabei gehen oft die unter, die sich auf eine andere Art Gehör verschaffen: Filmkünstler, die die Geschehnisse in Filmen und Videoaufnahmen verarbeiten und dokumentieren. Als im März […]

Die Revolution in Syrien jährt sich am 22.03.2014 nun zum dritten Mal. Die mediale Berichterstattung über den Bürgerkrieg ist von gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und dem Regime geprägt. Dabei gehen oft die unter, die sich auf eine andere Art Gehör verschaffen: Filmkünstler, die die Geschehnisse in Filmen und Videoaufnahmen verarbeiten und dokumentieren.

Als im März 2011 die friedlichen Proteste in Syrien anfingen, versuchten regierungsnahe Medien diese als terroristische Gefahr zu verunglimpfen. Die Medienlandschaft war voll von Falschaussagen und einseitiger Berichterstattung, die viele Oppositionelle dazu motivierte, eine andere Seite des Aufstandes zu präsentieren. Viele nahmen die friedlichen Demonstrationen, aber auch die Gewalt gegen ebendiese, auf und veröffentlichten sie auf Youtube oder verbreiteten sie in sozialen Netzwerken. Man wollte die Grausamkeiten, die in dem Land herrschten, aufzeigen und der Weltöffentlichkeit zur Verfügung stellen. Beide Seiten begannen eine Art „Wettkampf um die Bilder“. Öffentlichkeit ist ein wirksames Machtinstrument. Wer kontrolliert oder beeinflusst, welche Informationen getauscht, welche Darstellungen gegeben und welche Fragen gestellt werden, der/die kontrolliert oder beeinflusst auch das Handeln. Öffentlichkeit ist daher umkämpft. Die Medienschaffenden stellten sich die Frage, wie man das Leid der syrischen Bevölkerung am ehesten darstellen kann und wie man dramatische Bilder am besten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

Der „Wettkampf um die Bilder“ motivierte mehrere Gruppen junger syrischer Künstler_innen selbst auch aktiv zu werden und das Leid innerhalb des Landes zu dokumentieren und darüber zu berichten, fernab von religiöser oder politischer Zugehörigkeit. Die Kollektive „Bidayyat“ und „Abounaddara“ haben sich vorgenommen Bildern wieder einer neuen Geltung zu verschaffen, in dem sie Individuen und Einzelschicksale darstellen und Bilder nicht mehr als politische Waffe einsetzen. Die beiden Gruppen übernahmen die Ästhetik von Kinofilmen und Dokumentationen, um eine Art „Gegenöffentlichkeit“ zu bilden, die keinen propagandistischen oder voyeuristischen Anspruch hat. „Bidayyat“ und „Abounaddara“ nahmen sich vor, durch ihre Filme Freiheit und Gerechtigkeit zu verbreiten, weniger aber Beweise zu finden, welche der Parteien in Syrien schuldig bzw. unschuldig ist.

Und das anscheinend mit großem Erfolg: Der Kurzfilm „Of God and Dogs“ vom Filmkollektiv „Abounaddara“ wurde zu Beginn des Jahres beim „Sundance Film Festival“ zum besten Kurzfilm gekürt. Schon im Jahr 2010 gründete sich die Gruppe und nahm sich damals zum Ziel, den Blick des Westens auf Syrien, der vor allem religiös-kulturalistisch und geopolitisch geprägt war, zu verändern und eine andere Perspektive aufzuzeigen. Man wollte das normale Leben der Syrer_innen, mit ihren alltäglichen Problemen, in Form von kurzen Dokumentationen darstellen. Seitdem produziert „Abounaddara“ (auf Deutsch „Der Mann mit der Brille“) wöchentlich Kurzfilme, die sie jeden Freitag auf ihrer Facebook-Seite hochladen. Die Videos von „Abounaddara“ werden mit Handkameras bei natürlichem Licht gedreht. Sie filmen spontane Situationen und verzichten dabei auf durchstrukturierte Szenarien – quasi „das Leben so wie es ist“. Durch die Aufnahmen eines (friedlichen) Alltags in Syrien, versucht „Abounaddara“ den Impuls zu einer Zukunft frei von Gewalt bildlich darzustellen.

Der zweiteilige Kurzfilm „The Lady of Syria“ (eine Anspielung auf Asma Al-Assad, der Ehefrau von Bashar) von „Abounaddara“ erzählt beispielsweise von einer Friseurin in Syrien, die versucht jungen Mädchen in einer Kellerschule ihr Handwerk zu lehren, damit die Mädchen künftig arbeiten und unabhängig sein können. Der Film zeigt, wie eine riesige Gruppe von Mädchen der Lehrerin im Keller beim Föhnen und Frisieren zuschaut und von ihr lernen möchte – Impulse für eine neue Zukunft?! Dieses und viele weitere Videos befinden sich auf der Vimeo-Seite von „Abounaddara“.

Das Film- und Kunstkollektiv „Bidayyat“ entstand Anfang 2013, um syrische Dokumentationen von Künstler_innen zu unterstützen und zu produzieren. Anders als „Abounaddara“ stellt „Bidayyat“ noch experimentelle Filme her, wie beispielsweise der Film „99°“. Zudem bietet „Bidayyat“ Filmkurse für künstlerisch interessierte Syrer_innen an.
Der Film „99°“ macht den Unterschied zu „Abounaddaras“ Filmen deutlich: Während „Abounaddara“ spontane Szenen und Momentaufnahmen beleuchtet, ist bei „Bidayyat“ vieles durchkalkuliert und eingeübt. Doch auch „Bidayyat“ produziert ähnlich konzipierte Dokumentationen wie „Abounaddara“. Einer von ihnen ist „Kitchen of Revolution“, der über die Nahrungsmittelversorgung der FSA-Kämpfer spricht. „Bidayyat“ stellt sich in dieser Dokumentation die Frage, wie der Alltag der Kämpfer aussieht, wer sich um die Verpflegung kümmert und was hinter den Kullisen des Krieges abläuft – ein Bericht, ebenfalls fernab vom Informationskrieg vieler Medien.

Der experimentelle Kurzfilm von „Bidayyat“ namens „Happiness and Bliss“ versucht, eine jugendliche Generation Syriens darzustellen, die mit ständigen Tabus und Freiheitseinschränkungen leben musste. Der Filmtitel beruft sich auf eine Rede Hafez Al-Assads im Jahre 1993, die besagt, dass „jede_r, der/die Liebe mit sich trägt, würde somit Glück und Liebe um sich herum verbreiten und für sich selbst finden können“. Humorvoll und mit viel Sarkasmus greift „Bidayyat“ diese Rede auf und zeigt, wie wenig von dem versprochenen Glück und der Liebe tatsächlich aufzufinden war bzw. immer noch ist. „Bidayyat“ lädt regelmäßig die selbstproduzierten Videos auf seine Facebook-Seite und Youtube-Kanal hoch.

„Bidayyat“ und „Abounaddara“ sind nur zwei von vielen weiteren Künstler_innenkollektiven, die versuchen, eine andere Seite des Syrienkonfliktes zu präsentieren und darzustellen. Es ist eine Seite, die keine Aufmerksamkeit erlangt, da sie „dem Westen“ geopolitisch nicht relevant erscheint und die die unterschiedlichen politischen Kräfte in Syrien (regimetreue oder religiös-extremistische) nicht sehen wollen. Der Informationskrieg – und somit auch der Krieg um Handeln und Macht – lässt diese kritischen und bewusst kleingehaltenen Stimmen nicht zu. Umso erstaunlicher ist es, dass die Kollektive trotz (oder vielleicht auch aufgrund) des Krieges bestehen und stets aktiv sind. Sie zeichnen mit ihrer Kunst Bilder von Syrien, die nicht von Krieg und Leid geprägt sind, sondern von den individuellen Geschichten der Syrer_innen.

Hinweis: Arte zeigte am Dienstag, dem 04.03.2014, um 23:05 Uhr, eine Filmreihe syrischer Künstler_innen, zu denen auch „Abounaddara“ gehört. Hier finden Sie den Trailer. Die Filmreihe kann bei Arte im Archiv angesehen werden: Jenseits von Syrien – Eine Kurzfilm-Collage

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