Kurz erklärt: Die türkische Intervention gegen die Kurden in Syrien

Die militärische Offensive der Türkei gegen die syrisch-kurdische Enklave Afrin hat begonnen. Was genau ist geschehen? Wer ist dran beteiligt und was für Folgen hat dieser Krieg? Ein Überblick über die Fakten.

Wo liegt Afrin und wie war die Lage vor der Intervention?

Afrin ist eine Region im Nordosten Syriens. Sie gehört zum Gouvernement Aleppo und hat eine lange Grenze mit der Türkei. Schätzungen zufolge sollen in Afrin mittlerweile rund 600.000 Menschen leben. Die Vorkriegsbevölkerung lag bei rund 200.000, dabei war die Bevölkerung zum großen Teil kurdisch. Bislang blieb Afrin von kriegerischen Auseinandersetzungen weitgehend verschont. Eine Ausnahme stellte der gelegentliche Beschuss durch arabische Rebellengruppen oder die türkische Armee dar. Seitdem sich 2012 das Assad-Regime aus dem Distrikt zurückzog, obliegt die politische Kontrolle den gewählten Volksräten, die militärische bei den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Beiden wird nachgesagt, dass die kurdische Partei PYD (die syrische Schwesterpartei der PKK) maßgeblichen Einfluss hat.

Ist ganz Rojava vom Krieg betroffen?

Afrin ist ein Kanton Rojavas, geographisch ist es jedoch von den anderen Regionen der nordsyrischen Selbstverwaltung getrennt. 2016 wiederum eroberte die YPG von Afrin aus einige von Rebellen kontrollierte, mehrheitlich arabische Gebiete, darunter die Stadt Tall Rifaat. Der Angriff der Türkei richtet sich momentan primär gegen Afrin, für welches Russland die Garantiemacht war. Am Montag gab es jedoch auch Meldungen, dass einige andere Orte im Osten Rojavas beschossen wurden, deren Schutzmacht die USA sind.

Was genau bedeutet die Intervention gegen Afrin?

Die „Operation Olivenzweig“, wie die Türkei ihre Intervention in Afrin nennt, hat am Wochenende begonnen. Allein am Samstag wurden mehr als 100 Ziele von der türkischen Luftwaffe bombardiert, zudem rückten am Boden die türkische Armee und mit ihr verbündete syrische Rebellenmilizen vor. Mehrere Zivilisten starben, weitere wurden verletzt. Erklärtes Ziel der Operation ist es, die PKK-nahe YPG zu bekämpfen und eine Ausweitung der türkischen Besatzungszone in Syrien zu erreichen. Die Frage, wer Afrin jedoch im Falle eines Sieges der Türkei verwalten würde, ist offen. Sollte der Angriff auf Afrin für die Türkei erfolgreich sein, könnte insbesondere die Stadt Manbij im Osten der Provinz Aleppo zum nächsten Angriffsziel werden. Im Gegenzug beschossen Kämpfer der YPG Ortschaften in der türkischen Besatzungszone, mehrere Zivilisten wurden verletzt.

Wie lange wird dieser Krieg dauern?

Ungewiss. Afrin ist geographisch gesehen schwieriges Gelände, die YPG hat in den letzten Jahren zudem erhebliche Kampferfahrung im Krieg gegen den IS und einige Rebellengruppen gewonnen. Letzteren sind die kurdischen Kämpfer fraglos überlegen, doch war die YPG bislang keinen Luftangriffen ausgeliefert, wie das nun beim Angriff der türkischen Armee der Fall ist. Auf der anderen Seite hat sich die YPG lange auf eine solche Offensive vorbereitet. Die Erfahrung zeigt, dass das Bombardement erhebliche Schäden und viele Toten mit sich bringen wird – aber ob eine Bodenoffensive wirklich erfolgreich sein kann, ist fraglich.

Wie verhält sich Russland?

Eigentlich war bislang russisches Militär in Afrin stationiert, um solche Angriffe wie jene vom Wochenende zu verhindern und die Stabilität zu garantieren. Die russischen Truppen wurden jedoch am Samstag aus den umstrittenen Gebieten abgezogen und machten so den Weg für die türkische Offensive frei. Dem hochrangige syrisch-kurdischen Politiker Aldar Xelil zufolge, soll Russland von den Kurden die Übergabe Afrins an das Assad-Regime gefordert haben, dann würde man den türkischen Angriff stoppen – ein Angebot, das seitens der nordsyrischen Selbstverwaltung abgelehnt wurde. Unter Berufung auf einen Beamten im türkischen Außenministerium berichtet die Zeitung Gulf News, dass stattdessen die Türkei das gleiche Angebot angenommen habe. Eine einzige Quelle ist jedoch kein sauberer Journalismus. Möglich ist auch, dass Ankara das russische Einverständnis damit erkauft hat, dass es Moskau und dem Assad-Regime bei deren ebenfalls laufenden Offensive auf die „Deeskalationszone“ Idlib freie Hand lässt. In einem Statement macht die YPG Russland im gleichen Maße für die Verbrechen verantwortlich wie die Türkei.

Und die USA?

Anders als Russland hatten die USA keine Truppen in Afrin. Außenminister Rex Tillerson hat das Vorgehen der Türkei bedenklich genannt und den NATO-Partner (der mit seinem Vorgehen gegen Artikel 1 des NATO-Vertrags verstößt) dazu aufgerufen, Zurückhaltung walten zu lassen. Anscheinend spekuliert man in Washington darauf, dass die Türkei nur die mehrheitlich arabischen Gebiete bei Tall Rifaat einnehmen wird, was es Ankara erlauben würde, das Gesicht zu wahren und den Einsatz als Erfolg zu verkaufen. Das tatsächliche bisherige militärische Vorgehen spricht jedoch nicht dafür. Dass auch die USA die YPG, ihre Alliierten im Krieg gegen den Terror, fallen lassen werden, ist eine seit langem von kurdischen Aktivisten und Politikern gehegte Befürchtung. Ob es wirklich dazu kommen wird, werden die kommenden Tage zeigen.

Die YPG bezichtigte derweil auch die USA des Verrats.

Wer sind die Rebellen, die an der Seite der Türkei kämpfen?

Auf Seiten der Türkei kämpfen mehrere tausend arabische und turkmenische Rebellen aus unterschiedlichsten Milizen. Sie firmieren als „Freie Syrische Armee“, was jedoch mehr als allgemeines Label zu begreifen ist – mit der ursprünglichen 2012 gegründeten FSA haben sie nicht mehr viel zu tun. Im Vorfeld des Einmarsches sangen einige der Milizionäre Loblieder auf den irakischen Diktator Saddam Hussein, der in den 1980er Jahren einen Genozid an den Kurden im Nordirak begangen hatte. Eine bedenkliche Demonstration von anti-kurdischem Rassismus.

Was tut die Bundesregierung?

Während auf türkischer Seite deutsche Leopard-Panzer zum Einsatz kommen, erklärte Außenminister Sigmar Gabriel lediglich seine Besorgnis angesichts der Situation und rief dazu auf, die Probleme während der nächsten Genfer Verhandlungsrunde zu klären – dorthin sind jedoch keine relevanten kurdischen Fraktionen eingeladen. Selbst einer völkerrechtlichen Einordnung des türkischen Vorgehens verweigerte sich die Bundesregierung mit der Begründung, sie habe keine ausreichenden Kenntnisse der Lage.

Seit Ende 2011 unterstützt Adopt a Revolution zivilgesellschaftliche Initiativen in allen Teilen Syriens, die sich für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen einsetzen. So etwa das Mandela Haus im mehrheitlich kurdisch bewohnten Qamishli. Gelegen an der Grenze zwischen Stadtteilen mit unterschiedlicher Bevölkerungsmehrheit, ist das Haus ein Begegnungsraum, um konfessionelle und ethnische Konflikte abzubauen. Helfen Sie mit Ihrer Spende mit, den Dialog zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufrecht zu erhalten!

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