Kurz erklärt: Wer kontrolliert Ost-Ghouta?

Seit Anfang der Woche starben rund 300 Menschen durch Luftangriffe und Granatbeschuss in Ost-Ghouta bei Damaskus. Das Assad-Regime und Russland legitimieren ihre Angriffe mit dem Hinweis, sie gingen gegen Terroristen vor. Ungeachtet der Tatsache, dass die Angriffe offensichtlich vor allem ziviler Infrastruktur gelten und damit humanitäres Völkerrecht brechen: Wer sind die bewaffneten Gruppen, die Ost-Ghouta kontrollieren?

Was sind die stärksten militärischen Gruppen in Ost-Ghouta und wofür stehen sie?

Ost-Ghouta wird militärisch dominiert von den Milizen Jaysh al-Islam, Faylaq al-Rahman und Ahrar al-Sham. Sie sind teils untereinander verfeindet, in der Vergangenheit lieferten sie sich heftige Kämpfe.

Jaysh al-Islam ist eine islamistische, maßgeblich von Saudi-Arabien unterstützte Miliz. Sie ist mit Abstand die mächtigste Gruppierung in Ost-Ghouta. Sie kontrolliert Douma, die größte Stadt der Region. Jaysh al-Islam ist an den UN-geführten Friedensgesprächen in Genf und am so genannten Astana-Prozess unter russischer Führung beteiligt. Als erste bewaffnete Gruppe Ost-Ghoutas trat sie dem von Russland ausgehandelten Abkommen über die so genannten “Deeskalationszonen” bei.

Teile der Zivilbevölkerung werfen der Miliz vor, von der Belagerungssituation zu profitieren: Jaysh al-Islam kontrolliert die Geldzufuhr in die Enklave und steht im Ruf, sich im Rahmen der Kriegs- und Schmuggelwirtschaft zu bereichern. Dass Jaysh al-Islam an der Front bis heute eher zurückhaltend agiert, wird von vielen als Zeichen gesehen, dass die Miliz an einer Veränderung der Lage nur wenig Interesse hat.

Gegen KritikerInnen und zivilgesellschaftliche Akteure, die sich dem Willen der Miliz nicht beugen, geht Jaysh al-Islam mit harter Repression vor. Die Entführung der MenschenrechtsaktivistInnen Razan Zeitouneh, Wael Hammadeh, Samira al-Khalil und Nazem Hammadi (“Douma 4”) im Dezember 2013 geht mutmaßlich auf das Konto von Jaysh al-Islam.

Faylaq al-Rahman, ein mit der FSA verbandelter islamistischer Kampfverband, ist die militärisch zweitstärkste Gruppe in Ost-Ghouta und kontrolliert aktuell die Stadt Erbin. Ebenso wie Jaysh al-Islam ist die al-Rahman-Miliz an den Genfer Friedensgesprächen beteiligt und hat der von Jaysh al-Islam, Russland und Assad ausgehandelten Einrichtung einer Deeskalationszone für Ost-Ghouta zugestimmt. Zwar ist Faylaq al-Rahman ideologisch opportunistisch, geht aber ebenso wie Jaysh al-Islam repressiv gegen die Zivilgesellschaft vor.

Ahrar al-Sham ist eine weitere in Ost-Ghouta präsente islamistische Gruppe. 2015 wurde ein Großteil von Ahrar al-Shams Kämpfern von Faylaq al-Rhaman “aufgekauft”, also durch bessere Bedingungen für die neue Miliz gewonnen. Nur wenige Hundert Hardliner blieben zurück. Diese kleine Gruppe kontrolliert das Gebiet um Harasta, dem aufgrund einer Militärbasis des Assad-Regimes jedoch strategisch eine große Bedeutung zukommt.

Die aktuelle Eskalation erklärt sich unter anderem dadurch, dass es Faylaq al-Rahman und Ahrar al-Sham im Dezember 2017 zeitweise gelang, eine Militärstation des Regimes bei Harasta einzunehmen. Als Vergeltung verstärkten das Regime und Russland ihre Luft- und Granatangriffe auf die zivile Infrastruktur Ost-Ghoutas.

Sind in Ost-Ghouta auch Kämpfer des »IS« oder der Nusra-Front präsent?

Bild von MrPenguin20 via WikipediaDas Assad-Regime und seine russischen Verbündeten legitimieren Angriffe stets mit dem Vorwand der Terrorbekämpfung. Als Terrorgruppen gelten insbesondere der »IS« und der syrische al-Qaida-Ableger Hai’at Tahrir al-Sham (HTS, vormals bekannt als Jabhat al-Nusra), die alle von den UN als Terrororganisationen gelistet werden. Sie sind die einzigen bewaffneten Gruppe, die von Waffenstillstandsabkommen in Syrien, auch dem im Rahmen des Astana-Prozesses, ausgenommen wurden. Sie dürfen auch in den vereinbarten „Deeskalationszonen“ wie Idlib oder Ost-Ghouta angegriffen werden.

In Ost-Ghouta ist der »IS« nicht präsent. HTS ist mancherorts noch mit wenigen Kämpfern präsent, hat aber in Ost-Ghouta keine nennenswerten Territorien unter ihrer Kontrolle. Die drei großen militärischen Fraktionen in Ost-Ghouta stehen nicht auf der UN-Terrorliste.

Begehen auch die oppositionellen Milizen Ost-Ghoutas Kriegsverbrechen?

Vor allem Faylaq al-Rahman und Ahrar al-Sham, deren Territorien nahe am Stadtzentrum von Damaskus liegen, feuern ihrerseits immer wieder Granaten und Raketen auf die vom Assad-Regime kontrollierte Hauptstadt ab. Auch dabei kommen immer wieder ZivilistInnen ums Leben. Nach Informationen des Syrian Observatory for Human Rights wurden in Damaskus seit Mitte November 2017 112 Menschen durch Granatbeschuss getötet.

Nutzen die Milizen Ost-Ghoutas die Zivilbevölkerung als „menschliches Schutzschild“?

Während der Belagerung von Ost-Aleppo Ende 2016 häuften sich Berichte, wonach islamistische Milizen die Zivilbevölkerung daran hinderte, die Stadt zu verlassen. Auch den in Ost-Ghouta vorherrschenden Milizen wäre eine solche Taktik durchaus zuzutrauen. Derzeit gibt es jedoch keine Hinweise, dass die Milizen die Zivilbevölkerung an der Flucht aus der belagerten und bombardierten Region abhalten würden. Vielmehr erklären zahlreiche Menschen auf sozialen Medien, dass sie das Gebiet aufgrund des Belagerungsrings des Assad-Regimes und seiner Verbündeter nicht verlassen könnten.

Das gilt selbst für Schwerkranke: Bis vor kurzem führte die Syrian-American Medical Association eine Liste mit zuletzt über 1000 Personen, dringend aus Ost-Ghouta evakuiert werden müssen. Ihre Krankheiten oder Verletzungen sind lebensbedrohlich, aber die medizinische Versorgung in Ost-Ghouta unzureichend. In fast allen Fällen versagte das Assad-Regime den Totkranken den lebensrettenden Transport in ein Damaszener Krankenhaus, obwohl das Stadtzentrum gerade nicht einmal zehn Kilometer entfernt liegt. Lediglich 29 Menschen wurde bislang eine Evakuierung gewährt – jedoch im Tausch gegen die Freilassung von Soldaten des Assad-Regimes, die in Ost-Ghouta von Jaysh al-Islam inhaftiert waren.

Derzeit unterstützt Adopt a Revolution sieben zivilgesellschaftliche Projekte im belagerten und beschossenen Ost-Ghouta. Mit ihren Projekten, ob Frauenzentrum, oppositionelles Tonstudio oder freie Schulen, setzen sich die AktivistInnen sowohl gegen das Assad-Regime als auch gegen islamistische Milizen zur Wehr. Helfen Sie mit Ihrer Spende mit, die Arbeit dieser Projekte zu ermöglichen!

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