Wie ergeht es den Zivilisten?
Bis zu 400.000 Menschen leben noch immer in Ost-Ghouta. Ihre Lage ist furchtbar. Seit Jahren schon ist das Gebiet belagert, doch dank eines komplexen korrupten Systems und mehreren Tunneln sowie Agrarland im Inneren des Gebiets war die Situation lange nicht so dramatisch wie in anderen belagerten Städten. Doch seit einer Regime-Offensive im Februar dieses Jahres sind die Tunnel nicht mehr nutzbar, die letzten korrupten Checkpoints geschlossen, das Agrarland ist schon lange durch die vorrückende Armee dezimiert. Die Versorgungslage spitzt sich also zu – ganz im Sinne des Assad-Regimes, dass wohl auf seine in Aleppo, Daraya und Moadamiyah erprobte Vertreibungsstrategie setzt.
Auch durch die heftigen internen Kämpfe sterben Zivilisten. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen klagt zudem an, dass die Milizionäre die Neutralität der medizinischen Einrichtungen verletzten – sie seien in Krankenhäuser eingedrungen, um nach bestimmten Verletzten zu suchen.
Derweil geht auch das heftige Bombardement durch die syrische Armee weiter, dem Ost-Ghouta ständig ausgesetzt ist. Das Krankenhaus von Erbin wurde beispielsweise gleich mehrfach durch Angriffe getroffen.
Die Zivilgesellschaft formierte sich in mehreren Städten zu Protesten gegen die internen Kämpfe – allein in Erbin sind nach Angaben von Medienaktivisten Tausende auf der Straße gewesen. Doch wie schon in der Vergangenheit ging die Miliz Jaysh al-Islam mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vor.
Welche Milizen sind an den Kämpfen beteiligt?
Die Kämpfe finden vor allem zwischen Hai’at Tahrir al-Sham (HTS), deren führende Kraft die Dschihadisten von Jabhat al-Nusra (aka Fatah al-Sham) sind, und der islamistischen Miliz Jaysh al-Islam statt. Aber auch andere Kräfte wie die ideologisch eher opportunistische aber sehr repressive Gruppe Faylaq al-Rahman sind involviert. Letztere sprang HTS zur Seite, nachdem Jaysh al-Islam sie in Erbin beinahe zerschlagen hätte.
Was ist die Vorgeschichte?
Schon im April 2016 kam es zu ähnlichen Kämpfen zwischen den Milizen. Zu diesem Zeitpunkt war die radikalislamistische Miliz Jaysh al-Islam die hegemoniale Kraft in der Region. Nach dem Tod ihres Anführers Zahran Alloush Ende 2015 witterten die weniger mächtigen Gruppen Morgenluft und griffen an – unter ihnen Jabhat al-Nusra, Ahrar al-Sham und Faylaq al-Rahman. Rund 500 Kämpfer starben auf beiden Seiten, die Vormacht Jaysh al-Islams wurde zumindest in Teilen eingehegt, Faylaq al-Rahman etwa konnte einige Tunnel übernehmen – das Gemetzel endete nach einem Monat mit einem von Katar ausgehandelten Deal.
Nachdem das Regime im Februar 2017 Schmuggelrouten nach Ghouta geschlossen hatte, hatten die 2016 an der Offensive gegen Jaysh al-Islam beteiligten Gruppen eine Gegenoffensive auf Stellungen des Regimes gestartet. Für wenige Tage drangen die Milizen tief ins Regimegebiet vor, wurden dann jedoch zurückgeschlagen. Jaysh al-Islam agierte zurückhaltend.
Warum kämpfen die Milizen nun erneut gegeneinander?
Sowohl HTS und Faylaq al-Rahman als auch Jaysh al-Islam schieben einander gegenseitig die Schuld für den Konflikt zu, die Lage ist unübersichtlich. Allem Anschein nach geht es Jaysh al-Islam darum, verlorene Macht zurückzugewinnen und konkurrierende Kräfte – vor allem HTS – auszuschalten.
Jaysh al-Islams wichtigster Financier ist Saudi-Arabien, Faylaq al-Rahmans Mäzene sitzen in Ankara und Katar – welche Rolle die Interessen der Sponsoren in diesem blutigen Schlagabtausch spielen kann nur spekuliert werden. Klar ist nur eines: Der Fall Ost-Ghoutas wird damit wahrscheinlicher – die internen Kämpfe spielen dem Assad-Regime in die Hände, das schon von den Kämpfen 2016 zu profitieren wusste und erhebliche Gebietsgewinne machte.
Die bewaffneten Aufständigen in Ost-Ghouta führen einander ins eigene Verderben – das Leid das sie damit entfachen, trifft vor allem die Zivilbevölkerung. Es droht, dass sich die Situation in Ghouta in den nächsten Monaten weiter verschlechtert – und letztlich, dass die Zivilbevölkerung Ghoutas vom Assad-Regime aus ihrer Region vertrieben wird.