Die Journalistin Heba Shibani musste 2014 das Land verlassen, nachdem Tripolis von Milizen eingenommen wurde und ihr Fernsehsender aufgrund der Kämpfe geschlossen werden musste. Seither lebt sie im Exil und pflegt von dort aus ihre Kontakte nach Libyen, die von der verzweifelten Lage der Zivilbevölkerung berichten.
Du hast regelmäßig Kontakt nach Libyen. Kannst Du uns etwas sagen zur Situation der Zivilbevölkerung?
Die Situation ist von Stadt zu Stadt verschieden. Ich habe vor allem Kontakt nach Tripoli. Nach den letzten Kämpfen zwischen Haftars Milizen und den Milizen von Saradj sind große Teile der Stadt zerstört. Aktuell ist die Grenze zu Tunesien geschlossen, was zu einem Mangel an wirklich Allem führt. Die Leute sind das zwar gewohnt, aber gerade Medikamente kommen nicht mehr in die Stadt, was ein riesen Problem darstellt. Die Stromversorgung lief monatelang nur wenige Stunden am Tag, auch wenn das zuletzt etwas besser wurde. Vor allem kommen die Menschen nicht an Bargeld, die Leute warten stundenlang vor den Banken. Es gibt einen Schwarzmarkt für alles. Die Situation ist für die Zivilbevölkerung sehr schwierig.
Vor Kurzem gab es Proteste in Bengasi und anderen Städten im Osten des Landes, wo Haftars Milizen das sagen haben. Auch in Tripoli gab es vor nicht langer Zeit Proteste.
In Tripoli wurde es sofort blutig, Milizen eröffneten das Feuer auf die Protestierenden. Dass es auch in Bengasi und anderen Städten im Osten solche Proteste gab finde ich bezeichnend, da das Regime Haftars freie Meinungsäußerung verfolgt, ob von Journalist*innen, Aktivist*innen oder Künstler*innen. Der Hintergrund der Proteste im Osten als auch in Tripoli ist derselbe: Die Verzweiflung angesichts der schwierigen Lebensbedingungen.
Gibt es zivile Initiativen, die das Versagen des Staates ein Stück weit kompensieren oder auch versuchen, auf die politischen Entwicklungen Einfluss zu nehmen?
Ich habe durch meine Arbeit mehrere beeindruckende Fraueninitiativen kennen lernen dürfen, die aus allen Teilen des Landes kommen und die vor Ort etwa psychosoziale Hilfe, Gesundheitsversorgung, Bildung und sogar Rechtsberatung anbieten. Dass in diesem Land überhaupt noch etwas funktioniert, ist sehr oft Frauen zu verdanken. Diese Fraueninitiativen arbeiten aber gleichsam „unter dem Tisch“. Sie suchen keine Aufmerksamkeit, weil sie das nur gefährden würde. Sie versuchen im Schatten der Gewalt ihre Dörfer, Städte oder Regionen zu stabilisieren. Es gibt sogar Fraueninitiativen, die lokale Waffenstillstandsabkommen zwischen unterschiedlichen bewaffneten Gruppen ausgehandelt haben. Ich bewundere ihre Arbeit.
Wenn Du die Entwicklungen seit 2011 rekapitulierst – wie haben sich die Freiheiten für zivile Selbstorganisation und insbesondere die Freiheiten von Frauen entwickelt?
Vor 2011 hatte niemand irgendeine Art von Freiheit – außer vielleicht Gaddafi, seine Söhne und die Entourage des Regimes. Frauen hatten zwar rechtlich gesehen mehr Freiheiten als in anderen Ländern der Region, aber faktisch konnten sie sie aufgrund der sehr patriarchalen Kultur gar nicht ausüben. Nach der Revolution von 2011 gab es gewaltigen Fortschritt in Sachen Frauenrechte, Frauen wurden gesellschaftlich sehr aktiv und ihre Stimmen wurden wirklich gehört und machten einen Unterschied, das war ein echter Aufbruch.
Am Ende des Tages sind die Männer, die jetzt in Libyen Macht haben, abhängig von internationalen Mächten, die ihre Konflikte in Libyen austragen.
Heba Shibami
Aber so ab 2013, 2014, mit dem Ausbruch der Kämpfe, der Spaltung des Landes, all den Bewaffneten, wurden Frauen und ziviler Aktivismus stark marginalisiert. Mancherorts bedrohten islamistische Bewaffnete Frauen, wenn sie kein Kopftuch trugen oder Auto fuhren. Mittlerweile aber gibt es wieder Aktivismus von Frauen, aber eben gleichsam „unter dem Tisch“, damit sie unbehelligt bleiben. Ihre Prioritäten sind Gesundheitsversorgung, Schulbildung für ihre Kinder, ökonomisches Auskommen. Politisch wollen sie vor allem, dass die Kämpfe endlich aufhören und dass Libyen eine stabile Regierung erhält mit einer funktionierenden Verwaltung. Gerade ist es schon ein Alptraum etwa einen Pass zu beantragen.
Aktuell sind wieder Verhandlungen angesetzt, für die sich auch die deutsche Bundesregierung eingesetzt hat. In Tunesien sollen wieder Vertreter beider konkurrierender Regierungen des Landes zusammenkommen. Hast Du Hoffnung, dass sich dadurch etwas ändert?
Ich bin dankbar für den Einsatz Deutschlands, aber nach der letzten Konferenz ist nicht viel passiert. Und ehrlich gesagt: Ich habe viele Verhandlungen miterlebt, in Genf oder in Skhirat. Deshalb mache ich mir keine großen Hoffnungen. Die Libyer*innen haben gelernt, dass das Reden, die Verhandlungen und das Herumreisen dieser Leute nichts verändert, solange die in den Konflikt involvierten internationalen Mächte die Dinge nicht ändern wollen.
Am Ende des Tages sind die Männer, die jetzt in Libyen Macht haben, abhängig von internationalen Mächten, die ihre Konflikte in Libyen austragen. Solange diese Länder sich nicht entscheiden, ihren Kampf zu beenden, und weiter Waffen ins Land geliefert werden, werden die Kämpfe in Libyen nicht enden. Deshalb ist es für mich relativ gleichgültig, ob Haftar und Sarradj in irgendwelchen Verhandlungen sitzen. Wenn es Verhandlungen jener Mächte gäbe, die ihre Hände in Libyen im Spiel haben, das würde mich schon eher interessieren.
Wenn Du von Europa etwas wünschen könntest – etwa in Bezug auf diese Verhandlungen –, was wäre das?
Dass sie dafür sorgen, dass an diesen Verhandlungen die Frauen und die Jugend gehört werden. Zivile Initiativen und insbesondere Frauen und durften in diesen Verhandlungen nie teilnehmen, es gab gerade mal zwei Frauen bei den bisherigen Verhandlungen, und eine davon hatte direkte Verbindungen zu einem der Warloards. Das ist lächerlich.
Die EU spielt in Libyen allerdings nicht nur als Vermittler eine Rolle, sondern bezahlt die lybische Küstenwache, damit sie Flüchtlinge von der Flucht nach Europa abhält.
Ich frage mich: Wie kann man dieser Küstenwache Geld geben, ohne zu überprüfen, was damit geschieht und was diese Küstenwache tut? Die Küstenwache ist teilweise in das Geschäft der Schleuser involviert. Und wenn man sich ansieht, wie Geflüchtete behandelt werden, nachdem sie von der Küstenwache zurück nach Libyen gebracht werden! Diese Menschen sitzen jahrelang unter schrecklichen Bedingungen in irgendwelchen Lagern. Wer dieser Küstenwache Geld gibt, sollte sich sehr schämen.