Sehr geehrter Herr Staatsminister Prof. Dr. Roland Wöller,
im Rahmen der kommenden Innenministerkonferenz (IMK) vom 9.-11. Dezember in Erfurt werden Sie über den Abschiebungsstopp nach Syrien mitentscheiden. Sie haben bereits bekundet, dass Sie diesen nicht mittragen werden. Ihre Argumentation zielt auf die Messerattacke eines syrischen Geflüchteten in Dresden ab. Es erscheint naheliegend, dass Straftäter und Gefährder „einfach“ außer Landes gebracht werden. Eine Lösung ist es aber nicht – ganz im Gegenteil: Es ist brandgefährlich!
Syrien ist ein Land im Krieg – auch wenn derzeit nicht mehr überall Bomben fallen. Syrien ist darüber hinaus ein Land, in dem Menschenrechte und Menschenleben nichts zählen. Hunderttausend Menschen gelten als „verschwunden“ die meisten von ihnen sitzen unter erbärmlichsten Bedingungen in Gefängnissen, in denen regelmäßig gefoltert wird – sofern sie überhaupt noch leben. Wer auch nur in Verdacht gerät gegen das Assad-Regime zu sein, wird inhaftiert, gefoltert, getötet. Insbesondere Rückkehrende – ob freiwillig oder nicht – werden verdächtigt gegen das Regime zu sein. Eine Abschiebung in unmenschliche Haft oder gar Folter ist hier äußerst naheliegend, wie auch das Auswärtige Amt in seinen letzten Lageberichten zu Syrien bestätigt hat.
Der Beginn von Abschiebungen nach Syrien würde de facto eine Kooperation zwischen deutschen Behörden und syrischen Sicherheitsbehörden bedeuten. Gleichzeitig ermittelt die deutsche Justiz gegen Mitglieder dieser Sicherheitsdienste – zwei Folterer des Regimes stehen derzeit in Koblenz vor Gericht, ein Strukturermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt hat auch Angehörige des syrischen Regimes bis in höchste Ämter im Visier, manche von ihnen werden bereits per internationalem Haftbefehl gesucht. Auch die EU verhängt regelmäßig Sanktionen gegen neue Minister des Assad-Regimes. Mit Behörden des Assad-Regimes zusammenzuarbeiten wäre keineswegs ein Erfolg des Rechtsstaats, sondern vielmehr dessen Aushöhlung. Mit diesem Verbrecherregime darf es keine Zusammenarbeit geben!
Das Auswärtige Amt ist angesichts dieser Lage klar in seiner Beurteilung: Syrien ist nicht sicher, nirgends. Abschiebungen dorthin sind nicht möglich, was schon die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet: Das Verbot von Folter und erniedrigender Behandlung ist absolut und auch nicht für einzelne Personengruppen einschränkbar! Wer dennoch Abschiebungen nach Syrien fordert, muss erklären, dass für ihn Menschenrechte offenbar nicht unteilbar sind. Beides, die nötige Kooperation mit dem Verbrecherregime in Syrien, wie auch das Schleifen von Grundrechten, auf die wir in Europa zurecht stolz sind, wären ein hoher Preis, um eine kleine Gruppe Gefährder nach Syrien abschieben zu können. Ein zu hoher Preis!
Zudem kann das Ziel, die innere Sicherheit Deutschlands zu erhöhen durch Abschiebungen nach Syrien nicht verwirklicht werden. Die deutschen Sicherheitsbehörden werden jegliche Kontrolle oder Überwachung jener verlieren, die Anschläge in Europa verüben wollen. Einige Funktionäre des Islamischen Staat kamen aus den syrischen Gefängnissen durch Amnestien frei und planten sowie koordinierten später Anschläge in Europa, wie der Fall von Amr Al-Absi zeigt: Die Führungsperson des IS rekrutierte Dschihadisten aus Europa, die u.a. an den Terroranschlägen in Paris 2015 und am Brüsseler Flughafen 2016 beteiligt waren.
Wir geben Ihnen recht: Es ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln, warum Anschläge und Angriffe wie am Einheitswochenende in Dresden nicht zu verhindern sein sollen. Doch deshalb reflexhaft nach Abschiebungen zu rufen, wohl wissend, dass diese nicht mit Menschenrechtsstandards und der Glaubwürdigkeit unserer Außenpolitik vereinbar sind, ist grundfalsch. Vielmehr wäre zu ermitteln, wie es dazu kommen konnte, dass die Sicherheitsbehörden den Täter auf dem Schirm hatten und selbst am Tag der Tat beobachtet hatten, ihn aber nicht von dem grauenhaften Mord abgehalten haben. Und bitte bedenken Sie: Abschiebungen von Gefährdern nach Syrien würden die Kontroll- und Beobachtungsfähigkeiten der deutschen Sicherheitsbehörden unterminieren. Statt Abschiebungen nach Syrien zu fordern, die sowohl menschenrechtsverletzend als auch kontraproduktiv sind, sollten Sie das Behördenversagen in diesem Fall aufarbeiten und daraus die richtigen Schlüsse für einen wehrhaften Rechtsstaat ziehen, der die Menschenrechte aller schützt, statt sie verhandelbar zu machen.
Wir fordern Sie deshalb auf: Geben Sie nicht länger den politischen Scharfmacher gegen europäische Menschenrechtsstandards, sondern klären Sie auf, was Sicherheitsbehörden falsch gemacht haben und ziehen Sie daraus die richtigen Schlüsse!